Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Anita Grüneis · 30. Jän 2020 · Theater

«Zwei Tage, eine Nacht» im TAK - Tausend Euro für die Menschenwürde

Wollt ihr Sandra oder euren Bonus – diese Frage steht im Zentrum des Spielfilmdramas von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Der 64-jährige Regisseur Martin Nimz hat den Film für die Bühne adaptiert, die Uraufführung fand am 18. Januar 2020 im Stadttheater Konstanz statt. Nun gastierte das Stück im TAK.

Der Satz erinnert an jene Worte: «Welchen wollt ihr, dass ich euch losgebe? Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei Christus?» Die Entscheidungsfrage aus dem Stück «Zwei Tage, eine Nacht» hat zwar kein biblisches Ausmaß, legt aber doch die Würde eines Menschen auf die Waagschale. 16 Mitarbeiter sollen über den Firmenverbleib der Arbeiterin Sandra entscheiden, jedes «Nein» bedeutet einen Bonus von 1.000 Euro. Bis auf zwei votieren alle für den Bonus. Doch Sandra bekommt eine zweite, diesmal geheime Abstimmung. Sie hat zwei Tage und eine Nacht Zeit, um ihre Kollegen umzustimmen. Und so zieht die erschöpfte Frau von Haus zu Haus, unterstützt von ihrem Ehemann. 

Die Welt der Handys

Das Publikum schaut ihr dabei zu und wird in eine Welt hineingezogen, in der die Kommunikation vor allem über das Handy funktioniert und sich die Menschen gerne in ihren vier Wänden verkriechen. Bühnenbildner Bernd Schneider hat dafür Drehhäuser gebaut, deren verschiedene Fassaden stets neue Welten suggerieren und deren Inneres rasch mit Vorhängen verhüllt werden kann. Wichtig sind die Klingeln an den Türen. An diesen steht Sandra und meistens bleibt sie «draußen vor der Tür». Die Schauspielerin Johanna Link erinnert in ihrer existentiellen Not, ihrer Verlorenheit und ihrer Verletzlichkeit an Borcherts Beckmann, und doch ist sie eine Person aus dem Heute. Eine junge Frau, die alles richtig machen möchte, ihren Mann (Dan Glazer) und ihre Kinder aufrichtig liebt, aber mit ihren Depressionen nicht klarkommt. Alles überfordert sie, der Haushalt, die handy-affinen Kinder, Geldsorgen, dazu der dunkle Kopf. Doch die Verzweiflung verleiht ihr Stärke und sie bringt die Kraft zum Klinkenputzen auf.

Niemand ist gut, niemand schlecht

Und so bittet sie die KollegInnen, fragt schüchtern an, hat Verständnis für jedes «Nein», denn Tausend Euro sind viel Geld. Die Miete muss bezahlt, das Haus geflickt und der Sohn zum Studium geschickt werden. Solidarität kann sich niemand leisten. Jeder ist sich selbst der Nächste - niemand ist gut, niemand ist schlecht, das ist die Natur des Menschen. Man möchte Sandra zurufen: Gib auf, lass dir nicht den Rest deiner Würde nehmen, und muss doch zuschauen, wie sie verzweifelt versucht, irgendwo anzudocken, und sei es sexuell. Doch sie wird überall abgewiesen. Das tut weh. In ihrer Verzweiflung schluckt sie alle Antidepressiva und wird gerettet. Die zweite Abstimmung ergibt ein Patt und damit hat sie gewonnen. Doch sie wird die Firma verlassen – aus eigener Entscheidung. Johanna Link gelingt eine ungemein differenzierte Darstellung der Sandra, sie gibt ihr Verlorenheit, Verzweiflung aber auch Stärke, Kraft und Hunger nach Leben.

Die volle Leistung und das Schwächeln

Regisseur Martin Nimz zeigt eine triste Welt, in der oft und lange geschwiegen wird, eine nahezu autistische Welt mit vielen Handys und Kopfhörern, in der jeder für sich lebt und jeder Angst um seinen Job hat. «Eat – sleep – game – repeat» steht auf dem Pullover des Sohnes von Sandra. Mehr ist nicht, so ist das Leben. Eine starke Ensemble-Leistung von Antonia Jungwirth, Katharina Stehr, Thomas Fritz Jung, Axel Julius Fündeling, die alle ihre verschiedenen Rollen perfekt ausfüllen und so gemeinsam mit Johanna Link und Dan Glazer dieses Stück tragen. Sie alle bringen «die volle Leistung» und zeigen dabei eine sehr menschliche Welt, in der jeder in seiner Art schwächelt und zugleich stark ist.

Zweite und letzte Vorstellung im TAK, Schaan: Do, 30.1., 20.09 Uhr