Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Niedermair · 21. Mär 2021 · Theater

„Wunschloses Unglück“ von Peter Handke im Theater Kosmos

Winterlich kalt war es gestern, am Samstagnachmittag, in Bregenz und blieb es auch, als die BesucherInnen der Premiere von Handkes „Wunschloses Unglück“ um 18.30 Uhr in den frühen Abend hinausgingen. In den eineinhalb Stunden dazwischen erlebte das Publikum eine überzeugende Inszenierung mit einer grandiosen schauspielerischen Leistung von Daniela Gaets als Mutter und Simon Alois Huber als deren Sohn. Die Premiere in der Regie von Theater-Kosmos-Leiter Augustin Jagg war die erste Premiere in Vorarlberg in diesem 2021-er-Theaterjahr. „Wunschloses Unglück“ war die Station einer spätwinterlichen Reise, eines Aufbruchs, ein Zeichen, dass wir wieder weiterziehen, mit der Literatur als Kompass. Der Magnet ist die Sehnsucht nach Auseinandersetzung mit Theater, mit Kunst, die Sehnsucht, Menschen zu treffen, mit Freunden zu reden.

Die Fassung basiert auf der Erzählung von Peter Handke aus dem Jahr 1972. In diesem halb-biographischen Buch beschreibt der Autor das Leben seiner Mutter Maria. Sieben Wochen nach dem Suizid seiner Mutter am 19. November 1971 beginnt Handke, „Wunschloses Unglück“ zu schreiben, im Februar 1972 beendet er seine Arbeit an dem Buch. Er beschreibt das Leben seiner Mutter mit allen Höhen und Tiefen, aber gleichzeitig verarbeitet er zahlreiche autobiographische Aspekte und reflektiert seine Empfindungen während des Schreibens. Im großen Bild beschreibt die Erzählung den Werdegang einer Frau aus einem ärmlichen österreichischen Milieu, die sich aus den Verhältnisse zu emanzipieren versucht und sich verwirklichen will.

Eine exemplarische Biographie

Handkes Mutter Maria wächst mit vier Geschwistern in einem kleinen Ort in Kärnten auf, wird von ihrem Vater miserabel behandelt und in ihrer Integrität ständig verletzt. In der Schule ist sie sehr begabt und ist auch sonst eine fröhliche und hilfsbereite Person. Sie will einen Beruf erlernen, doch ihr Vater verbietet ihr dies, und so verlässt sie mit 15 Jahren ihr Zuhause. Sie arbeitet als Abwaschhilfe, Stubenmädchen und Buchhalterin, findet eine Arbeit in einem Hotel, wo sie als Hauptköchin arbeitet. Dort verliebt sie sich in einen verheirateten Deutschen, ein NSDAP-Mitglied, und wird von ihm schwanger. Vor der Geburt heiratet sie einen Unteroffizier der deutschen Wehrmacht, den sie nicht liebt, aber dem noch ungeborenen Kind einen Vater geben will. Sie zieht mit ihm und ihrem Kind Peter, dem Autor des Buches, nach Berlin. Maria bleibt bei ihrem Mann, weil es zu schwer gewesen wäre, ein uneheliches Kind alleine großzuziehen. Während des Krieges lebt sie allein auf dem Land. Eines Tages schreibt Maria Abschiedsbriefe an alle Angehörigen und nimmt sich mit Schlaftabletten und Antidepressiva 51-jährig das Leben.
Es ist die Geschichte von Handkes Mutter, ihres Lebens in einem Dorf in Unterkärnten in der Vorkriegszeit, während des Krieges und danach. Handke erzählt von ihren zahlreichen Versuchen, aus dieser Enge des bäuerlich-kleinbürgerlichen Milieus auszubrechen, jene Enge, an der sie zerbricht und den Freitod sucht. Wunschloses Unglück ist aber auch die Geschichte einer Region und der dort lebenden Menschen, die exemplarisch für ein ganzes Land und eine ganze Generation steht. Diese Geschichte, so vermute ich, ergreift auch die BesucherInnen des Stücks emotional, weil nicht wenige von uns diese Formen der Verzweiflung auch aus den Biographien unserer Elterngeneration kennen. Dieses erschütternde Schicksal der Frau, die zwar lebt, aber nicht wirklich ins Leben hineinfindet, die zwar liebt, aber nicht wirklich geliebt wird, die wünscht, aber eigentlich nichts zu wünschen hat, diese Biographie ist prototypisch und exemplarisch für die Generation von Frauen, die in den Zwanzigerjahren geboren sind und nach dem Krieg, als die Männer nicht mehr da oder noch gar nicht zurückgekehrt waren, den Wiederaufbau bewerkstelligten, aber größtenteils auch in der zeitkritischen Geschichtsforschung zu einem großen Teil unsichtbar geblieben sind. Sie erscheint als „selten wunschlos und irgendwie glücklich, meistens wunschlos und ein bißchen unglücklich“.

Reflektierte Prosa in Selbstgesprächen und Dialogen

Mutter: „Als Frau in diese Umstände geboren zu werden, ist von vornherein schon tödlich gewesen. Man kann es aber auch beruhigend nennen; jedenfalls keine Zukunftsangst. Die Wahrsagerinnen auf den Kirchtagen lasen nur den Burschen ernsthaft die Zukunft aus den Händen; bei den Frauen war diese Zukunft ohnehin nichts als ein Witz.“
Sohn: „Eine Äußerung von weiblichem Eigenleben in diesem ländlich-katholischen Sinnzusammenhang war überhaupt vorlaut und unbeherrscht; schiefe Blicke, so lange, bis die Beschämung nicht mehr nur noch possierlich gemimt wurde, sondern schon ganz innen die elementarsten Empfindungen abschreckte.“ Und „Meine Mutter hieß Maria und wurde vor über fünfzig Jahren im gleichen Ort geboren, in dem sie dann auch gestorben ist. Was von der Gegend nutzbar war, gehörte damals der Kirche oder adeligen Grundbesitzern; ein Teil davon war an die Bevölkerung verpachtet, die vor allem aus Handwerkern und kleinen Bauern bestand. Die allgemeine Mittellosigkeit war so groß, daß Kleinbesitz an Grundstücken noch ganz selten war. Praktisch herrschten noch die Zustände von vor 1848, gerade, daß die formelle Leibeigenschaft aufgehoben war.“

Die Erzählung ist mehr literarische Biographie und Autobiographie als fiktionaler Text, Texte wie sie in den 70er Jahren auch von anderen Autorinnen, Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Barbara Frischmuth und Autoren, Canetti, Frisch, Grass geschrieben wurden.  Beim Zuhören während des faszinierenden Theaterspiels von Daniela Gaets und Simon Huber war es mir oft so, dass ich meinte, den gesprochenen, geschauspielerten Text wie aus Echokammern zu hören, so sehr waren viele der Sätze von Peter Handke bereits in eine kollektive literarische Erinnerung übergegangen. Die Bühne mit dem auf einem Podest positionierten Vogelkäfig, der einen Baum mit abgesägten Ästen und umwachsenem Schilf umhüllt, sehr reduziert und ins Schauspiel integriert, die beiden, Mutter und Sohn, gingen mehrfach um diesen Vogelkäfig, als wollten sie ihn und sich selbst ein- und umkreisen. Aus dem in Quellen in der Nationalbibliothek zugänglichen Entstehungskontext gibt es ein interessantes Briefdokument. Am 6. März 1972 schrieb Handke an Alfred Kolleritsch über diese Titelfindung: „Für meine Geschichte habe ich einen komischen Titel: Interesseloser Überdruß.“

„Später werde ich über das alles Genaueres schreiben“

„Es ist inzwischen fast sieben Wochen her, seit meine Mutter tot ist, und ich möchte mich an die Arbeit machen, bevor das Bedürfnis, über sie zu schreiben, das bei der Beerdigung so stark war, sich in stumpfsinnige Sprachlosigkeit zurückverwandelt, mit der ich auf die Nachricht von dem Selbstmord reagierte.“ Mit diesen Sätzen beginnt Peter Handkes kurzer und poetisch dicht gewobener, dialogisch hochkomplexer Text, „Wunschloses Unglück“.
Als am Ende der Aufführung Hubert Dragaschnig, künstlerischer Leiter und Theater-Kosmos-Gründer, sich beim Publikum fürs Kommen bedankte, für den Besuch der kleinen „Testspiele“ und für die Toleranz gegenüber den politisch-behördlichen Auflagen, („Wir brauchen Sie.“) klang im Applaus dieser Dank als Echo an die Theatermacher, das Theaterteam hinter und auf Bühne zurück. Im März gibt es bereits ausverkaufte Aufführungen von „Wunschloses Unglück“, auf der Homepage des Theater werden die Apriltermine kommuniziert. Ein Besuch ist möglich mit FFP2-Maske und Zutrittstest. Gleich beim Theater hat die St. Gebhard Apotheke eine Teststation eingerichtet.

Die Ausstellung im Foyer

Kuratiert von Edgar Leissing ist die Ausstellung „Im Verborgenen“ von Gerti Hopp und Margot Meraner zu sehen. Die beiden Künstlerinnen arbeiten mit einer eigenen Sgraffito-Technik auf Samt. Schicht für Schicht, mit feinen Licht- und Farbveränderungen, erscheint die Form im Bild. Beide sind leidenschaftliche Pilzsammlerinnen. Pilze wachsen im Geheimen, im Dunkeln, und wollen gefunden werden. Ähnliches geschieht hier im Bild-Raum: Erst im langsamen Annähern und Vorübergehen wird Unsichtbares sichtbar. Der Pilz steht stellvertretend für Naturzyklen, für Auftauchen und Verschwinden, Wachstum und Veränderung. Handke hätte mit den gezeigten Kunstwerken seine Freude. Die Ausstellung ist an allen Vorstellungstagen von „Wunschloses Unglück“ 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn geöffnet.

Regie: Augustin Jagg, Bühnenbild und Lichtdesign: Stefan Pfeistlinger, Kostüme: Nicole Wehinger, Musik: Herwig Zamernik, Technik: Alex Kölbl, Mandy Hanke, Beleuchtung: Nino Walser, Ton: Stefan Klapper, Maske: Ariane Gmeiner, Garderobe: Monika Helbok, Inspizienz: Suat Ünaldi, Kommunikation: Katharina Leissing, Produktionsleitung: Hubert Dragaschnig.

Premiere Sa 20. März 2021, weitere Vorstellungen im März 21. und 27. März jeweils 17 Uhr, 28. März, Beginn 11 Uhr und 17 Uhr. Termine im April: www.theaterkosmos.at