Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Liberata M · 25. Jul 2021 · Theater

„Wir entlarven sein Gefangensein in einem Männersystem“ - Gespräch mit Andreas Kriegenburg über seine Inszenierung von „Michael Kohlhaas“

„Michael Kohlhaas“ feierte am 23.7.2021 bei den Bregenzer Festspielen in Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg Premiere. Manuela Liberata Schwärzler traf sich mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg, der als einer der stilprägendsten und bildstärksten Regisseure seiner Generation gilt, am Tag nach der Premiere zu einem Gespräch.

Manuela Liberata Schwärzler: Als Kleistforscherin interessiert mich natürlich die Transformation vom Text zur Bühne. Wie sind Sie in ihrer Bühnenfassung mit der komplexen Sprache Kleists umgegangen? Und wie ist sie als Bühnensprache zu bewältigen? 
Andreas Kriegenburg: Wir haben uns gegen eine Vereinfachung der Syntax und Trivialisierung der Sprache gewehrt. Mit dem Eröffnungsdialog zwischen Luther und Famulus, der so nicht in der Novelle steht, versuchen wir Kleists Sprache anzukündigen, die Angst davor zu nehmen und atmosphärisch vorzubereiten. Grundsätzlich setzen wir uns dieser komplexen Sprache aber aus. Die Kleist‘sche Verssprache dient der Sinnvermittlung. Man muss sie mutig und fast rücksichtslos sprechen. Die Kultur des Sprechens ist die einzige Stütze von Kohlhaas. Max Simonischek als Kohlhaas changiert zwischen Figurenspiel und Rezitation.
M. L. Schwärzler: Die Kleist'sche Novelle ergreift trotz des offensichtlichen Unrechts, das an Michael Kohlhaas verübt wird, nicht Partei für ihn, sondern zeigt ihn im Laufe der Ereignisse als Gerechtigkeitsfanatiker und Überzeugungstäter. Die Titelfigur Michael Kohlhaas ist im Original keine Identifikationsfigur. Wie ist Ihr Ansatz?
A. Kriegenburg: Unsere Inszenierung dreht sich nicht um die Frage, ob Kohlhaas gerecht oder ungerecht handelt, sondern bringt ein Dilemma auf die Bühne. Kohlhaas erfährt auch keine Trivialisierung als Wutbürger. Wir entlarven sein Gefangensein in einem Männersystem. Es gilt, seine Figur als Teil eines Machtsystems abzuarbeiten. Wir tun das aus verschiedenen Perspektiven und heutiger Sicht. Und polemisieren dagegen. Kohlhaas ist eine komplexe, unbequeme Erzählung, die einen nicht erlöst, keine Antwort auf Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit gibt und sich auf keine Seite stellt.
M. L. Schwärzler: Die Novelle fordert zum selbständigen Denken heraus. Ihr Ansatz streicht in Form eines Verhörs – geführt von den zwei weiblichen Figuren des Stücks – heraus, was schon im Kleist‘schen Text zur Debatte gestellt wird. Braucht es diese zusätzliche weibliche Perspektive wirklich, um die romantisierende Rezeption des Kohlhaas als lonely rider aufzubrechen?
A. Kriegenburg: Für mich schon. Von den beiden Frauenfiguren als zentrale Erzählerposition kommt entlarvender Spott ohne Anerkennung. So entgeht man einer geschlechterbedingten Solidarisierung.
M. L. Schwärzler: Indem die SchauspielerInnen in verschiedene Rollen schlüpfen und sich neben sie stellen, schaffen sie eine Distanz zu den Figuren. Das birgt ja von vornherein Potential für Veränderung. Man denke nur an das epische Theater. Der Schluss Ihrer Inszenierung eröffnet die Möglichkeit eines Ausstiegs aus der Gewaltspirale. Aus der Vorhersehbarkeit. Das gefällt mir.
A. Kriegenburg: Die Frauen begehren gegen den Wortlaut der festgeschriebenen Geschichte auf. Sie gönnen Kohlhaas die heroische Attitüde nicht, wollen ihm den Schlussmonolog am Richtblock versauen. Lorena, Erzählerin und Wahrsagerin, verblüfft Kohlhaas, indem sie sagt: „Dass du in den Tod gehst, ist nicht heroisch, sondern eitel.“
M. L. Schwärzler: Welchen Vorteil hat die 'Größe' des Theaters am Kornmarkt?
A. Kriegenburg: Für das Schauspiel eines Sprachmonolithen wie Kleist bietet es die Möglichkeit, auf Sprache und die kleine Geste zu fokussieren.
M. L. Schwärzler: Noch eine letzte Frage: Welche Perspektive würden Sie bei einem Treffen mit Michael Kohlhaas einnehmen? Wie würden Sie ihn ansprechen?
A. Kriegenburg: Da müsste man genauer fragen, zu welchem Zeitpunkt. In der Zeit vor der Hinrichtung würde ich ihn nicht besuchen wollen. Kleist zeigt auf fast obszöne Weise die Wiederherstellung der Ordnung, die Kohlhaas so verzweifelt gesucht hat. Davon wäre ich nicht gerne Teil gewesen. Wahrscheinlich hätte ich den Moment am Grab seiner Frau gewählt. Wäre ihm gerne begegnet, wenn ihn seine Höflichkeit zwingen würde, sich mit mir zu unterhalten.
M. L. Schwärzler: Welch(e) Fragen hätten Sie ihm gestellt?
A. Kriegenburg: Ich hätte versucht, über meine und seine Kinder mit ihm zu reden, über Wetterwechsel, die Zukunft. Ihn von der Spur abzubringen, so getunnelt zu sein im Moment des Schmerzes. Ich hätte versucht, ihn wegzulocken vom Fatalen.

„Michael Kohlhaas“ v. H. v. Kleist
weitere Aufführung: 25.7., 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz