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Dagmar Ullmann-Bautz · 24. Jul 2021 · Theater

Weibliche Strahlkraft dominiert Andreas Kriegenburgs „Michael Kohlhaas“ in Bregenz

Am Freitag feierte "Michael Kohlhaas", eine Koproduktion der Bregenzer Festspiele mit dem Deutschen Theater Berlin und dem Les Théàtres de la Ville de Luxembourg, seine Premiere und Uraufführung im Theater am Kornmarkt in Bregenz. Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Team adaptierten die Novelle von Heinrich von Kleist für die Bühne und überzeugten mit einem fesselnden, unter die Haut gehenden Theaterereignis mit Nachhall. So wurde auf der Bregenzer Bühne das Stück ohne Aktualisierung aber mit ganz klaren Bezügen ins Heute oder Morgen dargestellt.

Heinrich von Kleists Erzählung "Michael Kohlhaas" spielt im 16. Jahrhundert an der Schwelle des endenden Mittelalters zur beginnenden Neuzeit, einer Zeit der Reformation und des neu erstarkenden Humanismus mit all den einhergehenden Verwerfungen. Geschrieben hat er sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Klare neue Akzente

Sehr klug bedient sich der Regisseur Kleists großartiger Sprache, setzt jedoch ganz klare, neue Akzente und schildert so den Kampf um Recht und Gerechtigkeit höchst zeitgemäß.
Dass die Geschichte von zwei Frauen erzählt wird, dass die Rollen der Figuren um Kohlhaas von den sieben Spielern auch gewechselt werden, dass die sieben Kapitel, in die die Erzählung eingeteilt wurde, nicht chronologisch ablaufen - all das macht diesen Theaterabend neben dem wunderbaren Ensemble so großartig und spannend. Trotz der düsteren apokalyptischen Bilder verschließt man sich nie der tragischen Handlung, was zum Teil ganz sicher den akzentuierten, humoristischen Einfällen geschuldet ist.

Frauen zukunftsweisend besetzt

Es sind die Frauen, die in Kriegenburgs Umsetzung eine wichtige und zukunftsweisende Rolle spielen, und es ist die Symbolik der Zahl Sieben, die auf weiterführende Gedanken verweist, die sich Kriegenburg und sein Team gemacht haben. Die Betitelung der Kapitel - "Goldwaage", "Feuer und Wut" bis "Schmutzige Politik" - sind ebenso bedachte wie interessante Verweise. Die Emotionen, in die uns Michael Kohlhaas mitnimmt, gleichen einer Berg- und Talfahrt. Hat man in dem einen Moment größtes Verständnis und Mitgefühl, überfällt einen sogleich wieder unbändige Wut ob so großer Sturheit und männlicher Gewalt.
Und auch die Bilder erzeugen unterschiedlichste Assoziationen - fühlt man sich gerade noch in grauer Vergangenheit, wird man urplötzlich und sehr klar an die gegenwärtigen, politischen Machenschaften erinnert. Die choreographierten und chorischen Passagen erzeugen eine immense Sogkraft und sind in ihrer Gestaltung genau und kreativ in Szene gesetzt und ausgeführt.

Unbändige Energie

Zwei und eine halbe Stunde - solange dauert dieser Theaterabend - können eine lange Zeit sein, an diesem Premierenabend vergingen sie wie im Fluge, Dank einer durchdachten und spannenden Inszenierung und einem Ensemble, das sowohl Spielfreude, unbändige Energie, Authentizität und Bühnenpräsenz ausstrahlten. Max Simonischek verleiht dem Michael Kohlhaas eine ganz eigene Aura, die uns tiefe Einblicke in diese männliche, von seiner Sturheit getriebene und mit überraschender Naivität ausgestattete Welt gewährt.
Selbstbewusst erzeugen die Erzählerinnen Lorena Handschin (auch als Wahrsagerin) und Brigitte Urhausen (auch als Elisabeth Kohlhaas) eine zukunftsgerichtete weibliche Strahlkraft, Handschin präsent und ausdrucksstark, Urhausen wahrhaftig, mit ganz viel Gefühl.

„Die Sieben“

Der "Männerchor", die "Sieben", das unsägliche Klüngel um die Mächtigen werden großartig dargestellt von Bernd Moss mit seiner wunderbar humorvollen Ausstrahlung, dem einfühlsamen Paul Grill, dem behänden und wendigen Caner Sunar so wie von Max Thommes mit großer Bodenhaftung und Niklas Wetzel mit Witz und Esprit, dem ausdrucksstarken Peter René Lüdicke und von Markwart Müller-Elmau mit großer ruhender Kraft.

Spannende Lichtgestaltung

Die Bühne, ein Bretterverschlag mit unwegsamem Boden, entworfen von Harald Thor erzählt eine ganz eigene Geschichte und fügt sich auf magische Weise in jedem Kapitel ideal zum Plot, was durch die Lichtgestaltung von Cornelia Gloth großartig unterstützt wird. Andrea Schraad kleidet die Figuren uniform und zeitlos, und auch hier spürt man das große Ganze, das hier aus der Novelle von Heinrich von Kleist gezaubert, nein klug erarbeitet wurde.
Bravo! Das Publikum bedankte sich mit anhaltendem Applaus!

„Michael Kohlhaas“ v. H. v. Kleist
weitere Aufführung: 25.7., 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz