Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Anita Grüneis · 08. Nov 2021 · Theater

Uraufführung „Für immer die Alpen“ im TAK: Wenn nur Johann nicht gewesen wäre

„Diese Aufführung ist der Hammer“, meinte eine Besucherin in der Pause der Uraufführung von „Für immer die Alpen“ im TAK Theater Liechtenstein. „Das ist ja spannend wie im Kino“, fügte sie noch hinzu. Schon der Roman „Für immer die Alpen“ von Benjamin Quaderer hatte die Sogkraft eines Thrillers. Die Bühnenversion um den Datendieb Johann Kaiser, wofür Friederike Heller die über 500 Romanseiten auf eine theaterverträgliche Länge gebracht hatte, wurde zur vergnügliche Reise durch die Lebensgeschichte eines Mannes, der im realen Leben als Heinrich Kieber in die Liechtensteinische Geschichte einging. Er bescherte dem Finanzplatz seines Heimatlandes ein wahres Erdbeben und wurde zum Staatsfeind Nummer eins.

Die Aufführung beginnt und endet mit einem Schattenspiel – wie auch das richtige Leben des Johann Kaiser. Als Kind nicht wahrgenommen, als Erwachsener irgendwo lebenslänglich im Versteck – eine Figur im Licht, die Schatten wirft. „Mein Name war einst Johann Kaiser“, sagt sie am Anfang und dann rollt sich vor den Augen der Zuschauerinnen und Zuschauer ein Leben auf, das voller Demütigungen und Hunger nach Anerkennung ist. Am Anfang steht der Vater, der in Spanien sein Glück findet, das in Liechtenstein dann schnell zu Ende ist. Johann kommt auf die Welt - sein erster Schrei durchdringt Vaduz bis ins Schloss und explodiert dann am höchsten Punkt des Landes auf 2.599 Metern. Diese Metapher aus dem Buch von Benjamin Quaderer prägt den ersten Teil des Theaterabends, der von den vier Darstellern Carlotta Hein, Andrea Quirbach, Thomas Beck und Julian von Hansemann mit viel Dynamik erzählt wird. Dabei wird das Publikum mit Erläuterungen durch die Szenen geführt, in denen insgesamt 47 Rollen verkörpert werden müssen. Für die vier hervorragenden Schauspieler kein Problem, zudem hat die Ausstatterin Sabine Kohlstedt ihnen jeweils die passenden Kostüme ausgesucht.

Ein perfektes Darsteller-Quartett

So ist Carlotta Hein unter anderem das berührende Kind Johann, das nach dem Weggang der Mutter deren Halstuch nicht mehr aus den Händen lässt. Das ist nur eines der Details dieser sorgfältigen Inszenierung. Später wird sie ein hinreißend gelangweilter golfspielender Millionärsschnösel sein. Andrea Quirbach gibt Johanns Mutter südliches Temperament und brilliert unter anderem als Fürstin Gina und als unerschütterlich positive Kriminalpsychologin. Thomas Beck - mit Jeansrock und blonder Perücke – flirtet minutenlang voller sprachloser Worte und lässt sich dann als schüchterner Jungmann von Julian Hansemann am Klavier nach Noten verführen, was beim Publikum für viele Schmunzelmomente sorgt. Später ist Thomas Beck der behäbige und zugleich gerissene reiche Herr Tobler, der Johann entführen und foltern lässt. Julian Hansemann stattet seinen Fürsten Hans Adam mit viel Staatswürde aber auch einer gehörigen Portion Cholerik aus. Als geschmeidiger Aufschneider überzeugt Hansemann ebenso wie als sensibler Pianist, der die Musik von Michael Mühlhaus am Klavier umsetzt. Sekundenschnell schlüpfen sie alle in ihre verschiedenen Rollen. Da kann es vorkommen, dass Andrea Quirbach eben noch als Kriminalpsychologin mit dem Fürsten Hans Adam verhandelt, sich dann rasch den Kapuzenpulli von Thomas Beck überzieht und diesem kurzerhand erklärt: „Ich bin jetzt der Johann.“ Das geht alles nahtlos und absolut glaubwürdig vor den Augen der Zuschauenden.

Kluges Konzept, sorgfältige Inszenierung

Regisseurin Friederike Heller und ihre Ausstatterin Sabine Kohlstedt haben ein kluges Paket geschnürt. Ein paar weiße Stellwände dienen als Projektionsfläche für Bilder und zugleich als Markierung der Spielflächen, Rollkisten sind Haus, Bett, Couch oder Schatztruhe, ein Klavier am Bühnenrand wird bei Bedarf für die musikalische Bebilderung einer Szene benutzt. Da blieb viel Raum für das Spiel der vier, die mit spürbarer Lust und Leidenschaft diese Geschichte des Johann Kaiser schildern. Die  Regisseurin lässt das Leben von Johann Kaiser sehr sorgfältig und nahezu liebevoll auferstehen, führt sie durch die Pubertät hin zum Erwachsenwerden, nur im zweiten Teil des Abends bricht die Dynamik etwas ein. Vielleicht wurde aber auch die Erwartung des Publikums auf einen rasanten Showdown zu sehr gefüttert.
Dabei beginnt dieser zweite Teil zunächst sehr spannend – die vier Darsteller erklären das Stiftungswesen von Liechtenstein, moderiert von Andrea Quirbach im glitzernden Zauberkünstler-Kostüm. Doch dann verschiebt sich die Erzählung immer mehr hin zur Person des Fürsten Hans Adam, der wie Moses mit Donnergrollen auftritt und sich die Erpressungsversuche des Johann Kaiser nicht bieten lassen will. Der dreiste Datendiebstahl und seine Folgen äußern sich darin, dass der Fürst seinen Bankdirektor über die Schulter wirft, der kurz darauf den sterbenden Schwan tanzt. Der Abend endet überraschend schnell. Vielleicht wirkte das aber auch so, weil die Jugend von Johann Kaiser und das Hineinrutschen in die Kriminalität so liebevoll und ausführlich geschildert wurden. Alles in allem: Ein amüsanter und spannender Theaterabend, der viel über Liechtenstein erzählt und dabei das Publikum bestens unterhält. Daraus ließe sich auch eine mehrteilige Serie produzieren. Soviel Liechtenstein war seit Stefan Sprengers "Rubel, Riet und Rock'n'Roll" nicht mehr auf der Bühne. 

nächste Aufführungen im TAK: 17. / 20. November, je 20.09 Uhr

Danach ist diese Co-Produktion mit dem Staatstheater Mainz in Mainz zu sehen.