„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Anita Grüneis · 23. Okt 2021 · Theater

TAK Premiere "Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden": Für uns soll's rote Rosen regnen

Sybille Bergs neuestes Werk "Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden" wurde als "Stück des Jahres" der KritikerInnenumfrage 2020/21 von Theater Heute ausgezeichnet. Die Uraufführung fand im Maxim Gorki Theater in Berlin statt, im TAK hatte nun die Inszenierung von Oliver Vorwerk Premiere und zeigte das Leben als überstandenes Inferno und der Hoffnung, es möge rote Rosen regnen.

Schon der Beginn war ungewöhnlich. TAK-Intendant Thomas Spieckermann bat das Publikum durch die Künstlergarderoben auf die Bühne, denn sie war diesmal der Zuschauerraum. So manchem wurde dabei bewusst, wie klein die TAK-Bühne eigentlich ist. Man saß eng neben- und hintereinander, vor sich eine schwarze Wand mit zwei Guckkästen - ein leeres Oben und drei Stühle im Unten. Katakomben-feeling stellte sich ein. Und dann Licht. Vier Menschen in grauen Hosenanzügen, zwei mit zotteligen roten Perücken, standen oben, völlig staubübergossen, Haare, Kleider, Gesicht – alles voller Ruß und Asche, als wären die vier eben dem 9/11 Inferno entkommen. Oder einem Grab? Jede Bewegung staubte, als sollte die graue Vergangenheit abgeschüttelt werden.

Siebzig Jahre Leben für Nichts?

Ein starker Einstieg für ein gescheites Stück, in dem Aspekte aus einem weiblichen Leben erzählt werden. Dabei verkörpern die Schauspieler Julian Härtner, Sylvana Schneider, Nicole Spiekermann und Christiani Wetter die jeweiligen Gedanken, über die diese Frau reflektiert. Schonungslos wird mit dem Leben ganz allgemein, der Gewinnsucht, den Jahrmärkten der Eitelkeiten, den Illusionen, den Sehnsüchten und den Überheblichkeiten abgerechnet. Siebzig Jahre Leben werden geschildert – mal ist es die aufgeweckte gegen alles demonstrierende Studentin, mal die ernüchterte Siebzigerin, dann wieder die erwachende emanzipierte Frau oder das schüchterne Außenseiter-Mädchen. Immer steckt unter den Erzählungen die Frage nach dem Sinn des Lebens. Manchmal hat diese Frau eine Wut auf die Welt, und meint: "Genieße den Moment, bevor du vom Dach springst". Oder sie will eine Bombe werfen um endlich Bedeutung zu haben, denn sie weiß, sie ist in einem Alter, in dem "sich Ärzte gegen meine Beatmung entscheiden, wenn auf der Nachbarliege ein aufstrebender Portfolio-Manager liegt."

Von Müttern und Töchtern

Das Stück ist durchzogen von einem leicht morbiden Humor, denn es ist ja nicht so einfach, den "Zustand der absoluten Bedeutungslosigkeit" des Menschen klar werden zu lassen. Die vier DarstellerInnen schaffen dies locker mit ihren starken Schilderungen, die gerade durch einen lakonischen Erzählstil die Tiefe der Worte hörbar machten. Ob es sich dabei um den Menschen als Kostenfaktor in der Medizinbranche handelte, die Frau als Sexobjekt oder die Alte, die mit 85 Jahren mindestens 45 Jahre zu lange lebt, da sie nicht mehr fortpflanzungsfähig ist. Oder die Tochter, "die mit großer Ernsthaftigkeit Gesellschaftskritik in Apple-Geräte schreibt. Zu Demos in WhatsApp-Gruppen aufruft und im Anschluss das SCUM-Manifesto bei Amazon bestellt." Auch Häuser oder Zweitwohnungen sind nur "Sehnsuchtsversprechen" für den Sinn des Lebens. Oder wie es Christiani Wetter schilderte: "Der Erwerb einer Immobilie als Or – ga - sss - mus unseres Erwachsenenlebens". 

Zwei Ebenen und rote Rosen

Die zwei Ebenen des Bühnenbildes (Ausstattung Alexander Grüner) sind klug gewählt, dadurch kommt Bewegung ins Spiel, ohne dass die Erzählungen aufgebauscht werden müssen, bisweilen wird die eine Ebene sogar zum Schattenspiel des Gesagten auf der anderen genutzt. Das Ende zeigt sich sehr versöhnlich. Regisseur Oliver Vorwerk lässt resümieren: "Ich bin 13 oder – sehe so aus und sitze in meinem Kinderzimmer. Ich höre Musik, die so ist wie ich, so – einsam?" Und dann spricht die Person mit seinem lieben jungen "Ich", das in diesem Alter weder weiblich noch männlich dominiert ist und die sich damit tröstet, dass immer die Außenseiter gewinnen werden.

"Für mich soll’s rote Rosen regnen" singen die vier DarstellerInnen zu Beginn, und dieses Schicksalslied der Hildegard Knef zieht sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung von Oliver Vorwerk. Ein Lied voller Hoffnungen, Sehnsüchte, Wünsche an das Leben, in dem man alles will – oder nichts. Und tatsächlich regnet es mal kurz Rosenblätter, die dann aber sorgfältig wieder eingesammelt wurden. Es war das perfekte Lied zu diesem starken Stück, in dem sich jeder im Publikum irgendwann ertappt fühlt, da die Autorin Sybille Berg wirklich alle berücksichtigt hat und das gut eingespielte Ensemble die Aspekte eines Frauenlebens mit sparsamen Mitteln und starken Erzählungen auf die Bühne bringt: Die Lohnarbeiterin ebenso wie die Verliebte, die Shopperin und die Bloggerin, die Bachelorette wie auch die ernüchterte Kranke, die sich mit der Bedeutungslosigkeit ihres Lebens abfinden muss. Zum  Schluss sind die Töne eines Beatmungsgerät zu hören und die Worte: "Es war doch schön, dieses Leben. Mit all den Hoffnungen die ich hatte, die mich bewegt haben, wider besseres Wissen habe ich weitergemacht, weil ich immer dachte, da würde etwas Großes bereitstehen für mich. Vielleicht wartet da etwas Großes." Das Publikum applaudierte heftig und rief "Bravo".

Weitere Vorstellungen:
Samstag, 30.10., 20.09 Uhr
Samstag, 13.11., 20.09 Uhr