Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Niedermair · 23. Nov 2019 · Theater

LAMM GOTTES | UA von Michael Köhlmeier unter Mitarbeit von Hubert Dragaschnig: Eine Koproduktion des Theater KOSMOS mit dem Schauspielhaus Salzburg

Ein Mysterienspiel über Gott und Teufel, die Liebe, über Leben und Tod, also über die Welt und wahrscheinlich auch darüber, was sie im Innersten zusammenhält. Premiere war am Donnerstag, 21. Nov. 2019. Neben „Nestor“ 2001 und seinem Beitrag zu „Die 7 Todsünden“ 2011, ist „Lamm Gottes“ die dritte Arbeit des Autors für das Theater KOSMOS. Im Vorspann des Programmhefts Michael Köhlmeier: „Angenommen, es stellt sich heraus … wissenschaftlich … dass der Mensch allein ist im Universum, ohne einen Gott, und wenn doch mit einem, dann mit einem, der weit, weit fort ist, hinter hundert Vorzimmern, in denen hundert strenge Engel sitzen, denen man gute Argumente vorlegen muss, damit sie einen weiterlassen … angenommen es ist so, wäre dann der Glaube, dass der Mensch dem Menschen sein Ein und Alles ist, nicht der einzige Glaube, der etwas wert wäre, ein heiliger Glaube? Vorsicht vor den großen Worten! Freiheit, Schönheit, Gleichheit, Liebe, Treue, Freundschaft. Je weiter sie sich aufblähen, desto schneller werden sie zu Prinzipien, für diese sich zu sterben lohnt – und zu töten. Diese Begriffe zeigen ihre Menschlichkeit im Kleinen. Ich nehme mir die Freiheit, heute auszuschlafen. Ich suche, bis ich ein schönes Brillenetui finde. Mann und Frau sollen den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit bekommen. Vorsicht vor den großen Worten! Poesie lässt sich daraus nicht machen.“ (Michael Köhlmeier, Programmheft zur Aufführung, S. 2)

Agnus Dei – Lamm Gottes

Was die Welt im Innersten zusammenhält - das hätte Goethes „Faust“ gerne gewusst. Martha will es auch wissen und begegnet dabei Tod und Teufel, der Liebe und zwei philosophierenden Katzen. „Lamm Gottes“ ist der Titel, den Michael Köhlmeier seinem Mysterienspiel gibt, eine Koproduktion zwischen dem Schauspielhaus Salzburg und dem Theater KOSMOS.  Der Moderator und Prediger tritt im glitzernden Jackett auf, er wandelt die beiden goldenen Treppen, die die Kanzel umrahmen, hinauf und herunter. Der Teufel bietet Martha einen Pakt an, weil der Tod nämlich schon in der Hochzeitsnacht sich Albert, den Bräutigam, holen will. Er will nicht ihre Seele, die ist ihm zu süß, schmeckt ihm nicht.

Hubert Dragaschnig und Michael Köhlmeier, die beide eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet, sind oft am Alten Rhein spazieren gegangen. Auf solchen Spaziergängen sind auch die Ideen für das Stück entstanden. „Das große Glück heißt Liebe und Liebe wünscht sich immer mehr.“ Martha ihrerseits ist nicht verlegen und bietet dem Teufel die Seele Alberts an. Hier wechseln sich feiner Humor, Schmunzeln, Lachen und tiefe Abgründe rasant. Die Literatur, die Michael Köhlmeier hier schreibt, ist großartig, leicht wie die Feder des Herzens und ernst wie die Dialoge der Katzen. Die Sprache des Stücks ist wie in die Figuren hineingegossen, die in Summe alle wunderbar ein großes Ganzes ergeben, ein goldenes Bühnenbild, in dem es immer wieder glitzert. Der Autor selbst war am Ende des Stücks, als er mit auf die Bühne genommen wurde, beim Applaus sichtlich gerührt. Es sei mehr herausgekommen, als er hineingeschrieben habe, sagt er zu Ingrid Bertel.

Der „Produktionsdramaturg“ Hubert Dragaschnig

So sieht ihn der Regisseur des Stücks, Augustin Jagg. Hubert Dragaschnig war bei den grundlegenden Ideen Michael Köhlmeiers dabei. Der Autor hat das Stück fortlaufendend mit dem Theater KOSMOS Co-Direktor und Schauspieler im Stück „Lamm Gottes“ entwickelt. Ursprünglich war das Stück als klassisches Triptychon angesetzt, Katze und Kater, die philosophierenden Katzen, dieser  Märchenteil, und die Jonathan Swift Rede, die die eigentliche inspirierende Idee abgab.  Swift, 1667-1745, ein Anglo-Irischer Satiriker, Essayist und politische Pamphlet Autor, zunächst für die Whigs, später für die Tories, Poet und Geistlicher, Dekan an der St Patrick’s Cathedral in Dublin, als Kind selbst in größter Armut aufgewachsen, hatte eine satirische Rede herausgegeben, sinngemäß: ich stelle den Antrag wie im Sinne der Nationalökonomie die Kinder armer Leute zu gebrauchen wären … Das war ein damals wie heute hochexplosiver Text. Diese Swift‘sche Tradition, gesellschaftskritisch zu schreiben, wie dies später auch Charles Dickens tat, ist ein dramaturgischer Kern des Stücks. Damit sind die ersten drei Ebenen des Textes, das Triptychale angelegt, danach hat sich der Prediger entwickelt, jene Figur, die Hubert Dragaschnig verkörpert. Und  in weiterer Folge wurde bald klar, dass der Prediger die gesamte Erzählung in der Hand hat. Alle diese Teile sind wunderbar zusammen verschmolzen. Beim Spazieren entstehen die revolutionären Ideen … Autor und Schauspieler haben auf ihren langen Spaziergängen am Alten Rhein viel geredet und sind mit neuen Ideen zurückgekommen.

Im Hintergrund ist ein vertrauensvolles Verhältnis mit im Spiel, Freundschaft, Familiäres; der Autor sah demnach die Sache mit dem Mysterienspiel in guten Theaterhänden. Augustin Jagg hat mit Michael Köhlmeier im Laufe der Jahre viele Hörspiele gemacht. Stücke wie „Scheffknecht und Breuß“ auf die Bühne gebracht, „Mein privates Glück“ am Landestheater inszeniert, „Der liebe Augustin“ bei den Bregenzer Festspielen, und der „Der Narrenkarren“.

Die Ausstattung der Bühne

Der erste Blick fällt auf eine reduzierte und gleichzeitig hochkomplexe Bühnenstruktur mit zwei Treppen, die auch noch golden sind und die Kanzel umrahmen, die gedeckte Tafel für das Hochzeitsmahl der Brautleute. Ragna Heiny, die Ausstatterin, hat das Bühnenbild mit großem Fingerspitzengefühl gesetzt; sie hat die Bühne entworfen, als der Text noch im Werden war, sie kannte die Ebenen, die der Text haben wird, und hat sich mit assoziativem Bildmaterial eingedeckt, und die so eigenartig verschobene Treppe gebaut, die an Maurits Cornelis Escher (1898-1972) erinnert, der Treppen konstruierte, die immer nach oben gehen, u.a. die bekannte Penrose-Treppe. Diese zwei Treppen auf verschiedenen Höhen, ein Oben und ein Unten, und die Hinterräume, die sich auf dem unteren Level ins Dunkel hinüber ziehen, das Altarartige der gesamten Struktur, die sich nach dem Genter Altar abbildet, dieses weltberühmte Meisterwerk der Gebrüder van Eyck, in der St. Bavo Kathedrale in Gent, nach Antwerpen die zweitgrößte Stadt in Flandern. Auf dem Bild van Eycks erkennt man die Kanzel mit ihrer sechseckigen Form, auch die Farben, das Rot-Schwarz-Gold. In der gesamten Geschichte, die Michael Köhlmeier hier vorlegt, tauchen unzählige Assoziationen auf, neben dem Genter Altar, der Eisenkreuzer Potemkin, der Kinderwagen, den der Prediger-Moderator-Erzähler die Stufen herunter rockelt; für einen Augenblick dachte ich, jetzt, jetzt stupft der Hubert den Kinderwagen die Treppe hinunter.

„Gott und die Welt“

Dass „Lamm Gottes“ schließlich ein „Mysterienspiel“ geworden ist, hat offensichtlich auch mit dem Erstkontakt zu Augustin Jagg und Hubert Dragaschnig zu tun. Am Beginn gab es die Überlegung, Michael Köhlmeier einen Auftrag zu geben, da war zunächst die Frage, worum es denn gehen solle, worauf es hieß „Um Gott und die Welt und was sie im Innersten zusammenhält“. Jetzt erleben wir auf der Bühne, das dabei herauskommt. Weiters spielen die Märchengeschichten mit herein, mit denen sich Michael Köhlmeier in den letzten Jahren wiederholt beschäftigt hat, die großen Allegorien, das Philosophikum in Lech, die Katzendialoge, geschrieben wie ein Platon-Sokrates mit dem Schüler Dialog. So einfach, irgendwie, hat es begonnen, erzählt Augustin Jagg. Aus dem Nukleus eines grundeinfachen Gedankens entsteht in der Folge ein Stück Theater, das sprachlich hinuntergeht wie der Beaujolais nouveau, jener Wein, der seit dem 13. November ausgeschenkt werden darf. Darüber hinaus hat man das Gefühl, dem Köhlmeier schreibe es diesen Text … der Dialog des Teufels mit Martha gehört zu den Höhepunkten des Abends, hier hört man die Jahre lange Köhlmeier’sche Hörspielerfahrung heraus, das Situative, das Melodiöse der Sprache. Doch wie kommt man von „Gott und der Welt“ zum Mysterienspiel? Ein solches war nie in Auftrag gegeben, kein Vorarlberger Jedermann also, durch die klassische Triptychon Form, die drei Ebenen der Erzählung, habe sich alles entwickelt, ohne dass es so geplant war. Ein Spiel für das Theater. Was für ein Glück!

Martha und Albert

Er kommt nicht vor. Eigentlich ein weiterer Köhlmeier’scher Kunstgriff. Es braucht den Bräutigam auch nicht. Sein Platz an der Hochzeitstafel bleibt schon am Anfang leer. Er kommt nicht. Deshalb auch kein Warten … Indirekt jedoch ist er natürlich präsent. Angelegt in der wendigen Figur des Predigers ist Albert immer ansprechbar. Einmal gibt es eine solche Sequenz, wo der Prediger sagt, „wäre ich Albert, so würde ich jetzt sagen …“ Albert kommt stellvertretend herein, Martha kommt heraus und sagt, sie habe nicht schlafen können, worauf der Prediger an Alberts statt, im Konjunktiv mit dem Publikum redet. Das ist eine weitere Ebene eines komplex angelegten und inszenierten Textes, Michael Köhlmeier zeigt hier einen ganz ungestressten Zugang zum Publikum, vergleichbar wie es Woody Allen im „Stadtneurotiker“ macht, dass er unvermittelt in die Kamera hineinredet und Szenen für die Zuschauer kommentiert.  

Inszenierung und Regie

Jagg Augustin ist der Architekt des Bühnengeschehens. Ein Meister seines Faches. Für ihn ist das Stück keine psychologische Angelegenheit, kein Kammerspiel, man muss in die Emotionen gehen, von 0 auf 100, sagt Jagg, müsse man in einen Weinkrampf kommen können … man muss Todesangst spüren können. Wunderbar ist auch die Besetzung mit den Schauspieler*innen. Die junge Stella  Roberts grandios. Christiane Warnecke, Haymon M Buttinger, Hubert Dragaschnig, Wini Gropper. Alle grandios.

Die beiden Katzen, die dritte Ebene, bekommen dramaturgisch gesehen einen bedeutenden Platz im Stück. Parallel zur Geschichte führen sie ihre gedanklichen Dialoge, die mit Themen gespickt sind. Sie sind keine Menschen, sondern Tiere, und als solche auch nicht mit einer Moralvorstellung verknüpft, sie fressen ihre eigenen Kinder, ohne mit der Schulter zu zucken. Diese Dialogwelt hallt dann etwas später auch nach, wenn der Teufel-Erzähler-Moderator den Kinderwagen die Treppe hinunter schiebt. Hier spielen die Motive der Katzen ständig mit. Die beiden Katzen, die sich so geschmeidig bewegen, passen als Fabelwesen wunderbar in die Geschichte hinein. Was für ein Glück, dass wir hier solche Theaterstücke sehen können. Was für ein Glück, dass es solche Autor*innen gibt. Und das Theater KOSMOS.

MIT Stella Roberts, Christiane Warnecke, Haymon M. Buttinger, Hubert Dragaschnig, Wini Gropper
REGIE Augustin Jagg | AUSSTATTUNG Ragna Heiny | LICHT Matthias Zuggal  |MUSIK Herwig Hammerl

VORSTELLUNGEN: 23., 24., 29. November und 1., 5., 6., 7., 8., 12., 13., 14. Dez. 2019, jeweils 20 Uhr, ausgenommen Vorstellung am So 1.12., Beginn: 17 Uhr
Theater KOSMOS, schoeller 2welten, Mariahilfstraße 29, Bregenz
Kartenvorverkauf www.theaterkosmos.at |Abendkassa ab 19 Uhr, T 05574-44034 | e-mail: karten@theaterkosmos.at