Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Dagmar Ullmann-Bautz · 15. Nov 2019 · Theater

Mit der Hochschaubahn zum Schafott oder der lange, blutige Weg zur Demokratie

Zum wahren Rollercoaster entspann sich Niklas Ritters biographische Aufarbeitung der historischen Figur Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen, Tochter Kaiserin Maria Theresias von Österreich und spätere Königin Frankreichs und Gemahlin Ludwig XVI., zu einer Achterbahnfahrt der Emotionen und gleichsam zum unterhaltsamen und sehr zeitgemäßen Geschichtsunterricht. Mit „Antoinette Capet – Die Österreicherin“ erzählt das Vorarlberger Landestheater in seiner dritten Premiere die Geschichte der österreichischen Prinzessin, die, von ihrer Mutter Maria Theresia nach Frankreich verheiratet, der Französischen Revolution zum Opfer fiel und auf dem Schafott ihr Ende fand.

Orgiastisches Ereignis

Der Rollercoaster dieser Produktion führt gleich zu Beginn - zumal stimmlich - in schwindelerregende Höhen, erleben wir doch Antoinettes Mutter Maria Theresia (Moritz Schulze) als lustvolle Gebärmaschine und die Geburt Marie-Antoinettes als einzigartig orgastisches Ereignis, womit auch dem Kinderreichtum Maria Theresias - sie brachte 16 Kinder zur Welt - ein quasi-plausibler Hintergrund geliefert wurde.

Genau recherchiert

Niklas Ritter hat das Stück nicht nur geschrieben, er hat es auch inszeniert und mit teils gesungenen, teils choreographierten Musikpassagen versehen und in ein sehr reduziertes, aber wunderbar funktionierendes Bühnenbild gesetzt, das er zusammen mit Justus Saretz entworfen hat. Ritters Stück überzeugt sowohl inhaltlich als auch szenisch als ein hervorragender Mix aus Berührendem, Ernsthaftem und einer guten Portion beißenden Humors. Dabei wurde die Geschichte genau recherchiert und auf die 150 Minuten eingedampft, die das Wesentliche erzählen.

Wunderbare Kostüme und erstklassige Musik

Die kleine fahr- und drehbare Bühne auf der Bühne ist eine ganz wunderbare Idee – je nach Position zeigte sie ein anderes Bild. Der riesige Kronleuchter, der sich zum Schluss zum Gefängnisturm verwandelt, ist einfach genial. All das wurde von Arndt Rössler mit großer Genauigkeit und trefflicher Kreativität beleuchtet. Was noch ganz lange in Erinnerung bleiben wird, sind die wunderschönen, adäquaten und fantastisch korrespondierenden Kostüme von Ines Burisch. Für die Kompositionen, teils Ohrwurm- und Musikpreisverdächtig, zeichnet Niklas Bruder Tilmann Ritter verantwortlich. Zu Gehör kam eine Mischung aus klassischen Elementen und moderner Musik, mit fetzigen Rhythmen, wunderbar unterstützenden Soundteppichen und mitreißenden Songs, live und sehr souverän vorgetragen von Yenisey Rodríguez Rodríguez am Cello, Stefan Halbeisen am Schlagwerk und Jan Kersjes am Piano und Keyboard. Eine besondere Freude war es auch, die tollen Singstimmen der SchauspielerInnen, allen voran Katharina Uhland und Johanna Köster, wiederholt zu hören. Überhaupt ist das gesamte Ensemble zu loben, brillieren sie doch alle in zahllosen, unterschiedlichsten Rollen.

Große Spielfreude und Präsenz

Ines Schiller überzeugt in der Figur von Marie Antoinette, von Anfang bis zum tragischen Ende, als naive junge Prinzessin, wie auch als lebenshungrige und verwöhnte Dauphin bis hin zur leidenden Gefangenen und Mutter. Als Luis Auguste Dauphin und späterer König Ludwig XVI. von Frankreich, schüchtern und unwissend darin, aber genial präsent und ebenso als Musiker am Piano und Mikrophon ist Jan Kersjes unschlagbar. In einem rasant wechselnden Rollenkarussell sind Katharina Uhland (herrlich frivol als Mätresse von Ludwig XV.), Johanna Köster (frisch und treffsicher als Prinzessin de Lamballe), Felix Defèr (ein wunderbar komischer Kaiser von Österreich), David Kopp (exzellent als Österreichischer Botschafter) und Moritz Schulze (fantastisch als ambitionierter Starfriseur) auch noch in verschiedensten anderen Rollen zu erleben.
Es ist nicht einfach, eine so schwierige und grausame Epoche der europäischen Geschichte auf die Bühne zu bringen, dabei unterhaltsam zu bleiben und trotzdem zu vermitteln, worum es geht und aufzuzeigen, wo die Parallelen zum Heute und Jetzt sind. Niklas Ritter und sein Team haben das mit Bravour geschafft.

Bedrohte Demokratie

Der Weg zur Demokratie war lang und blutig. Wurden schon nach dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 die Menschenrechte in rudimentärer Form deklamiert, so fraß doch schon bald die zur Terrorherrschaft verkommene Revolution ihre eigenen Kinder und bereits Napoleon Bonaparte führte nach seiner Machtergreifung in den französischen Kolonien im Jahre 1802 die Sklaverei wieder ein und überzog Europa während seiner gut 10-jährigen Regentschaft, später als selbstgekrönter Kaiser, mit menschenfressenden Kriegen. Die Schwäche und Entfremdung zum Volk in Gemeinsamkeit mit Völlerei, Verschwendung und Exzessen innerhalb der Aristokratie sowie bittere Armut, Hunger, eine hohen Kindersterblichkeit und Leibeigenschaft der Bevölkerung kosteten dem Monarchen Ludwig XVI. und seiner Gemahlin Marie Antoinette das Leben. Anders als Napoleon Bonaparte, der als einstiger Kriegsheld und genialer Stratege in die Verbannung ging, um nochmals wiederzukehren um am Ende seiner neuerlichen ‚100-Tage Herrschaft’ sein Waterloo zu finden. Napoleon starb krankheitshalber im Bett.
Nur selten haben Abschaffung und Auflösung von Monarchien direkt zu Demokratie, Freiheit, Gleichberechtigung  und Wohlstand geführt. Die oftmals blutigen Revolutionen mündeten zumeist in noch blutigere Diktaturen. Verwunderlicherweise finden aber auch heute noch Autokraten, Despoten und Diktatoren Wohlgefallen bei vielen Menschen und Schichten verschiedenster Länder so es ihnen gelingt, den Spagat zwischen Kleptokratie, Korruption und Vetternwirtschaft und inszenierten äußeren und inneren Bedrohungen sowie einem Mindestmaß an Nahrungs- und medizinischer Versorgung, zu schaffen.
Wie wichtig Theater ist, um genau solche Denkanstöße zu geben, um zum Nachdenken anzuregen und aus der Vergangenheit zu lernen, wurde am gestrigen Abend wieder einmal deutlich. Ist der Weg zur Demokratie doch stets ein langer und steiniger, der Weg zurück jedoch ein rascher und menschenverachtender!

Begeisterter Applaus

„Antoinette Capet – die Österreicherin“ ist in Verbindung mit schulischem Geschichtsunterricht bestimmt auch ein großartiges Stück für viele Lehranstalten, für SchülerInnen und ihre Lehrpersonen – macht es doch einerseits richtig Spaß und liefert andererseits reichlich Stoff für weiterführende Diskussionen.
Das gesamte Ensemble und Team wurde mit langanhaltendem, jubelndem Applaus für den großartigen Abend belohnt.

Weitere Vorstellungen bis Jahresende:
17./30.11. und 31.12., jeweils 19.30 Uhr, Theater am Kornmarkt, Bregenz
www.landestheater.org