„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 15. Nov 2019 · Film

The Irishman

Martin Scorsese ist mit „The Irishman“ ein filmisches Epos gelungen, das einen die reale Zeit vergessen lässt. Mit seinem Mobster-Krimi verknüpft Scorsese den Aufstieg eines irischstämmigen Killers (De Niro) in der New Yorker Mafia mit dem schattenhaften Porträt des legendären Gewerkschaftsführers Jimmy Hoffa (Pacino). Ein wuchtiger Entwurf mit düsterem Humor.

Man mag es als glatte Ironie ansehen oder als glasklaren Ausdruck für den Wandel der Zeiten: Martin Scorsese, einer der zentralen Filmemacher der „New-Hollywood“-Ära, die das erstarrte, in die Krise geratene Kino der Sechziger/Siebziger-Jahre mit ihren frischen, risikofreudigen Arbeiten gründlich erneuerten, ist heute auf einen jener Streaming-Dienste angewiesen, die als massive Konkurrenz des Kinos in die Kritik geraten sind. 15 Jahre lang suchte Scorsese Finanziers für die Verfilmung von Charles Brandts Roman „I Heard You Paint Houses“ über das italo-amerikanische Mobster-Milieu. Ausgerechnet Netflix war bereit, die 150-Millionen-Dollar-teure Produktion zu finanzieren. Nun kommt „The Irishman“ für einen sehr verkürzten Einsatz von zwei Wochen in ausgesuchte Kinos, bevor er exklusiv auf der Streaming-Plattform für neue Abonnenten sorgen soll. Scorsese war es am Ende egal, könnte man sagen. Unbeirrt inszenierte er mit „The Irishman“ reines Kino, das auch nur dort seine ganze raumgreifende Wucht, sein dunkles Karma und seine intrinsische Spannung entfalten kann. Auch wenn „The Irishman“ weniger episch und weniger komplex als Coppolas „The Godfather“ („Der Pate“) erscheint, gleicht er in seinem meisterhaften Spannungsbogen einem Filmwunder. 210 Minuten (das sind 3,5 Stunden) fühlen sich – ganz ohne Schmäh – wie ein klassischer 90-Minüter an. Als hätte Scorsese, der schon vor fast 25 Jahren in Venedig für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, mit „Good Fellas“ (1990) und „Casino“ (1995) nur seine Erfahrungen mit dem Mobster-Kino verfeinert und perfektioniert.

Mobster-Kino mit Raffinesse  

„The Irishman“ folgt dem Weg des irischstämmigen LKW-Fahrers Frank (Robert De Niro), der sich über Jahrzehnte vom kleinen Betrüger zu einem loyalen Gefolgsmann und schließlich zum Killer in den inneren Kreis der New Yorker Mafia hocharbeitet. Einer deren Chefs, Rosario Bufalino (Joe Pesci), vermittelt Frank schließlich an den berühmt-berüchtigten Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa (Al Pacino), dessen schlagkräftige Teamster-Union in den 1960ern eine Million Mitglieder hatte. Ihr Erfolg hatte wesentlich mit der Gunst der amerikanischen Cosa Nostra zu tun. Hoffa, der damals so bekannt war wie Elvis, wie es im Film heißt, scheiterte schließlich an seinen eigenen Machenschaften, er wurde verhaftet und verschwand 1975. Sein Körper wurde nie gefunden.
Es ist eine Dreierachse, auf die „The Irishman“ seine atemlose Spannung baut. Frank hat sein Leben zweifelsfrei der Mafia und dem Unterboss Bufalino verschrieben, während er Hoffa über die Jahre fast wie ein Freund zur Seite steht. Zwei Instanzen, der sanft säuselnde Bufalino, der sich nie die Hände schmutzig macht, und der polternde, von sich überzeugte Gewerkschaftler, beide glauben, die Gesetze selbst schreiben zu können. De Niro steht dazwischen und mit einem unendlichen Gleichmut erfüllt er alle Forderungen, von der Überbringung einer Botschaft bis zum Schuss ins Gesicht aus nächster Nähe. Man hat den mittlerweile 76-jährigen Schauspieler schon lange nicht mehr so stoisch, so reserviert in einer Rolle erlebt. Al Pacino, ebenfalls 76, beweist Wandlungsfähigkeit und bringt einen Jimmy Hoffa zum Leben, der einen dessen Charisma erahnen lässt. Mit Joe Pesci, ebenfalls 76, zeigt Scorsese noch einmal, worin die Quintessenz der Darstellung eines Mafiabosses liegt: Ein Mann, der sich gewählt ausdrückt, leise spricht, und dessen bescheiden formulierte Wünsche immer vom Klang des Todes begleitet sind. Keiner hat diese diabolische Harmlosigkeit je besser verkörpert als Pesci in dieser Rolle.
„The Irishman“ ist ein Mafia-Epos, das vor allem auf die Attraktion der Männerbünde setzt: Er zelebriert das Rohe und Maskuline, ebenso wie die Selbstinszenierung von Männerfreundschaften: Frank wird ein goldener Siegelring überreicht, den nur drei Männer auf der Welt am Finger tragen. Frauen und Familien finden bei Scorsese nur am Rande Platz. Dafür aber düsterer Humor: „Wir malen Häuser aus“, heißt es zu Beginn, und schon klatscht ein Batzen roter Flüssigkeit auf weißen Untergrund. Das Blut, mit dem diese Geschichte geschrieben ist, steht in ironischem Widerspruch zum Erzähler: Es ist der alte, anämische Frank, der einem im Altersheim zwischen Rollator und Alzheimer begegnet - und seine Lebensbeichte abhält. Der Score begleitet die Szenerie, wie des öfteren im Film, mit heiterer, also makabrer Stimmung. In dieser kunstfertigen Form, in der „The Irishman“ jeden Ton richtig trifft, jeden Schnitt gelungen setzt und jedes Bild zur Komposition macht, lässt man sich fast unbewusst auf diesen Bilderfluss ein. Die Raffinesse des Films lässt einen vergessen, dass man es hier mit einem Haufen von Mördern zu tun hat, die einem da gerade ans Herz wachsen. Egal ob „Taxi Driver“, „Meanstreats“ oder „Raging Bull“, jeder dieser Filme Scorseses war brutaler als dieser Mobster-Reigen in Perfektion. Und auch die politische Seite von „The Irishman“ hat ihre Tücken. Fast nebenbei wird hier ein kriminalistisches Rätsel über den Tod Hoffas und seine Hintergründe erzählt. Ja, diese werden sogar bis zum Mord an JFK erweitert. Dabei geht es Scorsese gar nicht um einen Beitrag zum Paranoia-Kino, sondern um eine Denkmöglichkeit, die sich aus den Lebensumständen Hoffas ergibt. Ein denkwürdiges Stück Kinogeschichte, noch kurz im Kino zu sehen.