Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Anita Grüneis · 25. Okt 2018 · Theater

Köhlmeiers "Mädchen mit dem Fingerhut" als Gastspiel des Deutschen Theaters im TAK

Das TAK zeigte mit der Aufführung „Das Mädchen mit dem Fingerhut“ ein großes Stück Theaterkunst. Drei Personen ließen den Text von Michael Köhlmeier über fast zwei Stunden dahinfließen. Das Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin wurde zu einer Sternstunde. Mit einfachsten Mitteln, wunderbaren Schauspielern und einem ebenso starken Musiker wurden die Figuren des Romans quicklebendig.

Die Bühne war leer bis auf zwei Stühle und ein paar Instrumente. Im schwarzen Hintergrund leuchteten Sterne samt Milchstraße, das Universum blickte die Zuschauer an. Drei Personen standen in diesem Raum, sie waren weiß gekleidet, weiß geschminkt und barfuß. Bühnen- und Kostümbildnerin Juliane Grebin hatte sich an die Devise gehalten „reduce to the max“. Aller Raum war dem Können des Schauspielers Thorsten Hierse und der Schauspielerin Kotti Yun wie auch dem Musiker Tobias Vethake vorbehalten, um darin die Geschichte „Das Mädchen mit dem Fingerhut“ von Michael Köhlmeier zum Leben zu erwecken. Regisseur Alexander Riemenschneider hatte dazu gemeinsam mit Meike Schmitz eine passende Fassung erarbeitet. Wie gut diese den Roman des Autors transportiert, seine Sprache schillern lässt, dabei Spannung aufbaut und gleichzeitig Bezüge zum Heute herstellt, das hielt die Zuschauerinnen und Zuschauer im TAK fast zwei Stunden lang in Atem. Alexander Riemenschneider schuf das perfekte Bühnen-Kunstwerk zum Roman.

Der Fingerhut als einziger Schatz

Sechs Jahre alt ist das Mädchen, das hungrig vor Bogdan steht. „Sie ist mir zugelaufen“, meint er zu seinen Kunden und damit wird schnell klar, dass das Mädchen, das sich später Yiza nennt, einer streunenden Katze gleicht. Man nimmt sie auf oder verscheucht sie. Sie zu zähmen ist extrem schwierig. Yiza übernachtet im Müllcontainer, wird halb erfroren ins Heim gebracht, trifft dort auf zwei größeren Jungs, einer spricht ihre Sprache. Als sich Yiza am Daumen verletzt, schenkt er ihr einen golden glänzenden Fingerhut, den sie sich über den Daumen zieht. Ihr einziger Schatz. Die Jungs flüchten mit der Kleinen, schlagen sich durch den Wald, brechen in ein Haus ein, stopfen sich mit Essen voll, landen bei der Polizei, laufen wieder weg. Das Mädchen wird krank und von einer Frau gerettet, die es dann wie ihr Eigentum gefangen hält. Sie bricht mit Hilfe ihres Freundes aus, diesmal gewaltsam.

Die Ausgestoßenen unter uns 

Vor den Augen und Ohren der Zuschauerinnen und Zuschauer spielten und erzählten Thorsten Hierse und Kotti Yun die Ereignisse der drei Jugendlichen, die immer auf der Suche nach dem existentiell Wichtigsten waren: essen, trinken, schlafen und vor der Kälte schützen. Die anderen Menschen interessieren sich nicht für sie, „wir sind nichts Besonders“, wissen sie, ausgestoßene Kinder, und solche, die Augenbrauen wie Arian haben, werden eh nicht gemocht, nur Yiza ist ein Liebling. Mit allen Mitteln schlagen sie sich durch das Leben, die Sprache des Landes ist ihnen fremd. Obwohl sie kaum miteinander sprechen können, funktioniert ihre Kommunikation, sie sind eine gute Schicksalsgemeinschaft, jeder ist dem anderen Heimat.

Jeder ist dem anderen Heimat

In dieser Inszenierung ließen die drei Darsteller den Roman von Michael Köhlmeier zu einem dichten Bild werden. Die einfache und klare Sprache des Autors passte perfekt zur teils pantomimischen Darstellung. Sprache, Mimik und Gestik waren sparsam, aber effektiv. Der Erzähltext floss, auch wenn die Schauspieler Thorsten Hierse und Kotti Yun – beide mit starker Bühnenpräsenz - immer wieder die Rollen wechselten. Längst waren ihre Figuren in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer zu Persönlichkeiten geworden. Dazu schuf Tobias Vethake mit seiner Musik mal zarte Bühnenbilder, mal wuchtige, wummernde dramatische Donnerschläge. Auch seine Musik war nie ungefähr, sondern immer präzise. Ein starker Abend mit einem Stück Zeitgeschichte. Denn kleine Kinder wie Yiza rühren die Herzen, Jungs wie Schamhan und Arian gehören zu einer „Horde von Zerlumpten, die bereits zu alt sind für Mitleid und Rührung“. Sie sind vom Leben Abgebrühte, die niemand will. Treffender lässt sich die Flüchtlingsproblematik nicht beschreiben.

Nächste Vorstellung: 25. Oktober, 20.09 Uhr
Gespräch mit dem Autor Michael Köhlmeier: 18 Uhr, TAK-Foyer