Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Peter Niedermair · 15. Mai 2021 · Theater

„Kind.Erbe.Reich. Über das Erben und Erblassen.“ Von Barbara Herold. Altes Hallenbad Feldkirch, Premiere 13. Mai 2021

Mit dem Erben ist das so eine Sache … Eine gut bekannte Rechtsanwältin, die sich auf die Erbschaftsangelegenheiten spezialisiert hat, bestätigt, was die meisten wissen, in seltenen Fällen gibt es Familienbande, die durch ein Erben-Ereignis nicht zerbrochen sind oder: Wie viele Familien in Ihrem Verwandten- und Freundeskreis kennen Sie, die sich über das Erben nicht völlig zerstritten haben? Im Programmheft zum Stück heißt es: „Erben ist gerecht. Erben ist ungerecht. Erben ist ein Segen und ein Fluch. Erben ist Zufall. Erben ist der letzte Liebesbeweis. Erben und erblassen müssen alle. Die aktuelle Erbschaftswelle und die hohen Summen, die in Industrieländern vererbt werden, machen die zunehmende Ungleichverteilung des Kapitals offensichtlich. In der Nach-Baby-Boomer-Generation ist deutlich spürbar, wer erbt und wer nicht. Einige haben einen immerwährenden Startvorteil, viele haben so gut wie keine Chance mehr, aufzusteigen. Das Geld der Eltern hat erheblichen Einfluss auf den Lebensentwurf der Kinder. Ist das ungerecht oder ist der Urtrieb, den Nachkommen etwas weiterzugeben, einfach natürlich? Auf eine alte Frage müssen neue Antworten gefunden werden: Eigentum verpflichtet, aber wozu?“

Komplexität und Gesellschaftskritik

Die Komplexität des thematischen Diskurses in der Dramaturgie und stofflichen Umsetzung als Theaterstück braucht für diese „satirische Collage über die Facetten der ‚Erbsünde‘ und die Notwendigkeit, auf demokratischem Wege mehr Chancengerechtigkeit zu verwirklichen“ eine Entsprechung in der Komplexität der Rollen. Allein die Vielfalt und Vielzahl der Rollen für dieses Stück, das abseits von  traditionellen, konventionellen Theaterformen aufbereitet ist, ganz so wie Barbara Herold als Autorin und Regisseurin das Stück inszeniert, ist bei drei Schauspieler*innen, zwei Frauen und ein Mann, in 19 Rollen, wenn ich richtig gezählt habe, eine stattliche Herausforderung, wenn’s um Knete, Piepen oder Zaster geht. Zaster: „m. umgangssprachlich ‚Geld‘ (Anfang 20. Jh. in Berlin, danach allgemein), zuvor in der Soldatensprache ‚Sold, Löhnung‘ (Ende 19. Jh.); zugrunde liegt wohl rotw. Zaster ‚Eisen‘ (18. Jh.), Saster (19. Jh.), auch ‚Eisenbahn‘ (um 1900), aus zigeuner. saster ‚Eisen‘.“ (Quelle: DWDS, Berlin, Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 2021)

Das Erben Thema wird in moderater Kapitalismuskritik intoniert, Begrifflichkeiten und Testamentsangelegenheiten werden in rudimentärer Form als Konstruktionselemente des Stücks hineinverwoben, nicht nur „einfach gestrickt“ wie die Standard-Kulturjournalistin, afze, am 20. 9. 2020 schreibt: „Alles ist hier einfach gestrickt. Sogar ein echter Kuchen muss herhalten, um das Kuchendiagramm des österreichischen Erbschlüssels drastisch zu veranschaulichen. Theaterarbeiten wie diese, die sich vorab als ‚Plädoyer für ...‘ verstehen, zieht meist die Last der Message zu Boden. Und natürlich gibt es mit Testament von She She Pop ein Meisterwerk, an das man nicht so schnell herankommt.“ (der Standard, 20.9.2020)

Der Duktus von Theaterrezensionen im Standard, sprachlich und in Bezug auf die journalistische Haltung, hat sich ziemlich verändert, und ist tendenziell überheblich. Nona, hat Shakespeare einen King Lear geschrieben, damit ist zum Thema aber noch längst nicht alles seit 1603 bzw. 1605 gesagt und gedacht, und die She She Pop Inszenierung im „Testament“, 2010, ist natürlich grandios, jedoch eine grundsätzlich andere Bearbeitung des Stoffs mit anderen dramaturgischen Intentionen. Doch dieser Skiolympia Zirkus Gestus, von wegen wer auf welchem Podest am Podium steht, kann man sich allerdings getrost schenken. Es geht nicht um Sportclub Columbia Floridsdorf gegen den Nußdorfer AC

Die Verhandlungsmasse beim Erben

„Testament“ von She She Pop aus 2010 ist eine dramaturgische Referenz an König Lear von William Shakespeare, in der der alte Lear mit großer Gebärde versucht, sein Reich an seine drei Töchter zu vermachen; er will damit eine Vereinbarung für seine Altersvorsorge treffen, muss jedoch, wie hinlänglich bekannt, auf gewaltsame Weise scheitern. Wen wundert’s? Besser wär’s, du lebtest nicht, als mir zur Kränkung zu leben! (… lässt Shakespeare König Lear zu seiner Tochter sagen). Nicht erst seit Shakespeare und seinem Lear ist bekannt, dass die Geschäfte zwischen den Generationen zu den kompliziertesten Materien gehören, die es gibt, weil das Amalgam solcher Tauschbeziehungen prinzipiell faul ist. Sämtliche Anteile der Verhandlungsmasse im Aufeinandertreffen von Söhnen, Töchtern und ihren Vätern und Müttern, sind in einen Wulst von Widersprüchen und Pseudoversprechungen eingepackt, die Schmuckschatulle und die Liebesschwüre, die Notizen zu den Pflegeplänen der zu Pflegenden, die Stammbaumkaskaden und die Erbfolgeregelungen, die Quittungen, die man im Wäscheschrank der Verstorbenen findet, ganz zufällig, doch mit umso mehr Streitfallqualitäten, sie sind jahrelang in geheimnisvolle Verschleierungen, wenn überhaupt, verpackt und entzaubern die geliebte und liebende Brut als das, was sie traditionell ist, wenn es ums Erben geht: Geld- und habgierig, voller Neid, Missgunst und Eifersucht. Viele denken sich die Vorgeborenen, wenn sie sich erheben könnten, die Brut wäre besser nie geboren. Etymologisch und lexikalisch wird das Elend um den Ruhm der Welt, wenn er nicht durch den Zaster der Kapitalisten hochgepäppelt wird, im Stück von Barbara Herold durchdekliniert; Maria Fliri, Marion Freundorfer und Peter Bocek glänzen in ihren Schauspielrollen, sie werfen im wörtlichen Sinn mit ihrer Sprache und den Geldscheinen auf der Bühne herum, stopfen sich alles, was möglich ist, in die Unterkleider und fressen es in sich hinein. Erben ist vermutlich die gierigste Form zu erkranken. Das Thema schürt den Egoismus, zerzaust jegliches Gerechtigkeitsempfinden und führt, in der Logik der Inszenierung von Barbara Herold dazu, dass die Gesellschaften demokratische Wege finden müssen, um die „Schere zwischen Arm und Reich zu schließen“. Zaster, Zunder, Knete, Pinkepinke, Kohle, Asche, Mammon, Pulver, Kies, Mäuse, Piepen, Kröten, Moos, Schotter, Koks, etymologisch wie lexikalisch-semantisch sind viele dieser gebräuchlichen Begriffe hochtoxisch. Wie das Thema.

Kein Sonntagmorgen Guglhupf bei Heinz Conrads

Das Stück von Barbara Herold hat dramaturgisch gesehen kabarettistische Züge sowie eine Fülle außerliterarischer Bezüge und Verunkungen, und wenn zwischen Ethik- und Nachhaltigkeitsfonds auch ein Fischfonds auftaucht, hat das nichts, aber schon auch gar nichts mit gestrickten Pullovermustern zu tun, und hier will auch niemand mit erhobenen Zeigefingern Plädoyers oder Messages ans Publikum liefern. Diese Messages überlässt mann/frau besser den ausgefuchsten politischen Repräsentant*innen, deren ideologische Grenzbalken zum Thema Erbschaftssteuer einzementiert sind wie Brückenpfeiler, deren Credo dem Abbeten eines ganzen Maienmonats geschuldet ist. Und wenn im Stück ein guglhupfiger Kuchen geteilt wird, nicht weil Sonntagmorgen mit Heinz Conrad ist, sondern um den österreichischen Erbschlüssel zu veranschaulichen, werden assoziative Felder zum „Aufteilen des Kuchens“ geöffnet. In diesem Fall auf einer von einem Goldlametta Vorhang umrahmten Money-Maker-Bühne, wunderbar ausgestattet von Caro Stark. Der Kuchen, und so staubtrocken könnte der gar nie sein, ist der Link zur Kontextualiserung dieses zeitgenössisch so wichtigen Themas der Gegenwart. Theater soll nebst prodesse et delectare (lat. nützen und erfreuen), ein Wahlspruch der Literatur, vor allem im 18. Jahrhundert, den aufklärerischen Aspekt der Literatur betonen. Damit sind nicht allein Fabeln gemeint, wie die vom Fuchs und vom Raben, sondern gesellschaftskritische Themen.  

Die ideologischen Grenzbalken zur Erbschaftssteuer

Der Reihe nach: Argument Nr. 1: Grundsätzlich keine neuen Steuern, die Steuerbelastung in Österreich sei eh zu hoch. 2. Erbschaftssteuern würden auch/vor allem den Mittelstand treffen. Dabei wird auf die Immobilien (Häuslebauer) verwiesen, bei denen man in der Tat schnell bei € 500.000 ist. Über die Vorschläge mit einem Freibetrag von € 1 Mio schweigen sich die Schwarz-Türkisen aus. 3. Betriebe würden in Schwierigkeiten kommen, wenn das Betriebsvermögen bei einer Vererbung besteuert würde. Das ist – Anmerkung – in der Tat ein Problem, das man aber lösen könnte, z.B. wenn die Erbschaftssteuer (auf Betriebsvermögen) über Jahre gestreckt würde. 4. Das vererbte Geld/Vermögen wurde bereits bei der Einnahme versteuert. Erbschaftssteuer wäre folglich zweimalige Besteuerung. Das ist bei der USt auch der Fall. Interessant ist, dass die schwarz-türkischen Fans von „Leistung muss sich lohnen“ das bei der Erbschaftssteuer regelmäßig unter den Tisch fallen lassen. Erben ist keine Leistung!

Aktuelle Theaterstücke in Vorarlberg

Mehr und mehr Menschen sind froh, dass sie wieder ins Theater gehen können, und natürlich auch anderswo hin, weil wir in unseren Sehnsüchten nach Sozialkontakten und Auseinandersetzung ziemlich reduziert leben mussten. Deshalb ist es nicht unbedeutend, welche Themen in welchen Theaterstücken derzeit in Vorarlberg gespielt werden. Ganz im Gegenteil: Von „Wunschloses Unglück“ im Theater Kosmos, bis „KASPAR“ inszeniert von Andreas Jähnert im Wildpark Feldkirch, beide Stücke von Peter Handke, von „Hannah Arendt. Ohne Geländer“ in der Inszenierung von Brigitte Walk bis zu „Sprich nur ein Wort“ ein Stück von Maximilian Lang zu Franz Michael Felder am Vorarlberger Landestheater. Sie alle thematisieren in einem großen gesellschaftlichen Bogen wesentliche Fragen unserer Gesellschaft. Die Macht der Sprache, Liebe und Ohnmacht in Beziehungen, vom aufrechten Gang, von der Aneignung und Auseinandersetzung mit dem literarischen Erbe u.v.m.

Eigentum verpflichtet, aber wozu? (Programmheft)

„Die aktuelle Erbschaftswelle verstärkt massiv die Ungleichverteilung des Kapitals. In der Nach-Baby-Boomer-Generation ist offensichtlich, wer erbt und wer nicht: Einige haben einen immerwährenden Startvorteil, viele haben so gut wie keine Chance, sozial aufzusteigen. KIND.ERBE.REICH. ist eine szenische Collage über die absurden Facetten der „Erbsünde“ und ein Plädoyer für mehr Chancengerechtigkeit. In einem Kinderparadies, das immer mehr zum Geldspeicher mutiert, suchen Prinzessinnen und Kronprinzen nach der Absolution. Andere erzählen von ihrer Kränkung im Erbschaftsstreit, wieder andere polemisieren gegen den Neid der Besitzlosen. Auf eine alte Frage müssen neue Antworten gefunden werden: Eigentum verpflichtet, aber wozu?“

Testament und Eigenhändige Verfügung

Vielleicht denken Sie als engagierte/r Theaterbesucher/in schon unmittelbar im Zusammenhang mit dem Stück an Ihre eigenen Erbschaftsfragen. Wie auch immer, wenn Sie in Ihren Familienbanden noch nicht gestritten haben, umso angenehmer für Sie. Doch wer sich schon einmal mit der „außerliterarischen Wirklichkeit“ in Richtung Testamentserstellung bzw. Eigenhändige Verfügung einlesen will, sei auf das ABGB § 578 verwiesen.

„Wer schriftlich ohne Zeugen letztwillig verfügen will, muss die Verfügung eigenhändig schreiben und eigenhändig mit seinem Namen unterschreiben. Die Beisetzung von Ort und Datum der Errichtung ist zwar nicht notwendig, aber ratsam.

Der gesamte Text muss von dem Testamentsverfasser eigenhändig geschrieben und unterschrieben werden, wobei die Unterschrift am Ende des Textes erfolgen muss.

Achtung: Wird das Testament mit einer Schreibmaschine, mit einem PC oder handschriftlich von einer dritten Person geschrieben, liegt ein fremdhändiges Testament vor, das nur unter bestimmten Voraussetzungen gültig errichtet werden kann.

Es sollte mit dem vollen Namen unterschrieben werden, wobei im Gesetz lediglich gefordert wird, dass über die Identität des Testamentsverfassers kein Zweifel besteht. Es genügt also auch beispielsweise die Unterschrift "Euer Vater". Ein Handzeichen oder eine Stampiglie genügen nicht. Etwaige Ergänzungen müssen nochmals unterschrieben werden.

Es ist zu empfehlen, dem eigenhändigen Text auch ein Datum anzufügen, das später im Verlassenschaftsverfahren von Bedeutung sein kann (etwa wenn mehrere, widerstreitende Testamente vorliegen).

Zeugen sind für das eigenhändige Testament nicht notwendig.“

Bewährte Kooperation  

Im Foyer zeigt der Verein Amazone die Ausstellung armuts*zeugnis. Mit vergoldeten Objekten, Tweets und Kommentaren wird deutlich gemacht, dass sich Armut nicht nur auf die Geldbörse auswirkt, sondern viele Bereiche des Lebens betrifft.

dieheroldfliri.at: „KIND.ERBE.REICH“
Mit Maria Fliri, Marion Freundorfer, Peter Bocek
Text und Regie: Barbara Herold
Ausstattung, Video: Caro Stark
Choreographie Anne Thaeter
Künstlerische Mitarbeit: Laura Loacker, Lisa Suitner
Licht: Martin Beck.
Altes Hallenbad, Feldkirch
DO 13.5., 17 Uhr | SA 15., 17 Uhr | SO. 16.5., 11 + 17 Uhr | DI 18., MI 19., DO 20.5., 18 Uhr
Für Schulen mit Voranmeldung: DI 18., MI 19.5., 10.30 Uhr
www.v-ticket.at / karten@feldkirch.at / T 05522-90089