Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Dagmar Ullmann-Bautz · 15. Okt 2011 · Theater

Fein abgeschmeckte Beziehungskiste – das preisgekrönte Stück „Freunde zum Essen“ von Donald Margulies feierte Premiere am Vorarlberger Landestheater

Wäre der renommierte Astrophysiker Stephen Hawking gebeten worden, einen Plot zum Thema sich entfernender Körper zu verfassen, so ließen sich unglaubliche Parallelen zum in Bregenz gezeigten Stück „Freunde zum Essen“ entdecken. Hawking würde uns von einer unheimlichen und unerforschten dunklen Energie berichten, die das gesamte Weltall auseinandertreibt, die ganze Galaxien in beängstigend zunehmender Eile voneinander wegdriften und eine abgrundtiefe, bodenlose Leere Raum greifen lässt.

Ähnliches scheint Paaren, unverheiratet oder nicht, wiederholt und regelmäßig zu widerfahren. Auch in den Beziehungen der Protagonisten des Stückes „Freunde zum Essen“, den Paaren Karen und Gabe sowie  Beth und Tom, hat diese Leere Raum gegriffen bzw. droht es zu tun. Unentdeckt von den Freunden, hat sich das eine Paar längst ergeben und aufgegeben, während das andere Rettungsanker in Form kleiner wiederkehrender witziger Rituale und Zeremonien zu werfen sucht.

Tiefgang mit Leichtigkeit

Witzig, temporeich und tiefgründig zugleich präsentiert sich die zweite Produktion der Saison am Vorarlberger Landestheater. Das Stück verleugnet seine amerikanische Herkunft nicht – die Ausformung der Dialoge ein wenig wie bei Woody Allen und gar nicht „vorarlbergerisch“ , sehr „vorarlbergerisch“ und treffend hingegen die Austauschbarkeit der Problemfelder in den Beziehungen. Paar-, Männer- und Frauengespräche werden mit einer Leichtigkeit geführt, die das Publikum den Tiefgang im Augenblick des Geschehens nicht spüren, aber doch erahnen lässt. Später dann, vielleicht in der Diskussion, vielleicht kurz vor dem Schlafengehen, da tauchen sie wieder auf, die Hintergründe, die Augenblicke menschlicher Schwächen und Ängste. Die Spitzen und Pointen wurden dabei von Regisseur Dirk Diekmann stets herrlich trocken und – ein weiterer Genuss – unvorhersehbar gesetzt.

Neues Glück und große Angst

Zwei Paare, seit Jahren bestens befreundet,  verbringen jedes Wochenende, jeden Sommer miteinander und plötzlich schert einer aus – verliebt sich auswärts, entdeckt das Leben neu. Eine Katastrophe? Für wen? Das Paar, das sich trennt, findet jeweils ein neues, sogar ein besseres Glück. Und die anderen? Sie reagieren mit Wut und Ablehnung, ausgelöst durch die große Angst um die eigene Beziehung, das eigene Dasein.

Schauspieler mit Leidenschaft

Es sind die bissigen, scharfen Dialoge, die dieses Stück stark machen und es ist Dirk Diekmanns genauer Arbeit zu verdanken, dass das Stück auf der Bregenzer Bühne wunderbar funktioniert. Alle Feinheiten, die der Text so in sich birgt, wurden zur Freude des Publikums herauspoliert und bedient. Was noch mehr zu honorieren ist, da Diekmann nicht nur am Regiepult stand, sondern auch auf der Bühne. Er spielt Tom, den Mann, der sein Leben neu begonnen hat, mit beeindruckender Eloquenz, ein Wirbelwind auf der Bühne – einfach mitreißend. Toll auch Markus Menzel, der mit sprühender, fast erotischer Leidenschaft von kulinarischen Genüssen in Italien erzählt, mit seiner Karen turtelt, flirtet, herzt und poussiert, um darauf wieder ganz tief in sich zu versinken, während er mit dem eigenen Lebensentwurf ringt.

Auch die weiblichen Rollen überzeugen

Dass die weibliche Seite der Beziehungs-Problem-Liebes-Kiste nicht so stark, so durchdringend beleuchtet und offen gelegt wird, liegt ganz sicher nicht an der Spielqualität der Schauspielerinnen Adelheid Bräu (Karen) und Petra Ehlert (Beth), sondern wohl eher am Geschlecht des  Autors. Adelheid Bräu bringt einmal mehr ihr ausgeprägtes Temperament auf die Bühne – als quirlige, umsorgende Gastgeberin, als wutentbrannte Freundin und als jungverliebte Frau. Petra Ehlert zelebriert die schwierige Figur der chaotischen und so ernsten Künstlerin Beth und bewegt sich doch sicher auf einem äußerst schmalen Grat. In einer kleinen Rolle als Tochter Annie beweist die junge Ana Thurnher große Souveränität und Selbstbewusstsein.

Publikum hatte Spaß

Die aufwändig und realistisch gestaltete, sehr aufgeräumte und akkurate Bühne von Susanne Cholet, ausgeleuchtet von Arndt Rössler, bietet der Regie und den Schauspielern viel Raum sich zu entfalten, Emotionen auszuleben. Dabei ist sie schön anzusehen und bräuchte eigentlich mehr Zeit, um wirklich alle Details zu entdecken. Das Publikum hatte während der Aufführung Spaß – und danach genügend Gesprächsstoff, der sich bei einigen Paaren sicherlich bis in die Schlafzimmer, vielleicht sogar bis zum Frühstück behauptete.