Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Dagmar Ullmann-Bautz · 10. Mai 2019 · Theater

Ein wahrhaft guter Griff – das Künstlerkollektiv „Raum + Zeit“ für das Vorarlberger Landestheater

Ein feines Händchen bewies die Intendantin des Vorarlberger Landestheaters Stephanie Gräve mit ihrem Engagement des Künstlerkollektivs „Raum + Zeit“, namentlich Lothar Kittstein, Bernhard Mikeska und Steffi Wurster, die sie nach Bregenz einlud, um hier eines ihrer ganz besonderen meist ortsbezogenen Projekte zu erarbeiten und zu präsentieren. „Diorama Bregenz :: Der letzte Mensch“ ist ein großartiges Geschenk für theaterbegeisterte Menschen. Und es handelt sich wirklich um ein Geschenk, um einen ganz besonderen Leckerbissen im Rahmen des hiesigen Theaterangebots, den man so nur selten zu sehen und zu erleben bekommt. So ist es ein Privileg und exklusives Erlebnis, wenn Sie, so wie ich bei der Premiere am vergangenen Donnerstag, als „einsames“ Individuum durch ein von „Raum + Zeit“ geschaffenes, sehr spezielles Museum geleitet werden und in jeweils einem eigenen Raum und mit einem Schauspieler oder einer Schauspielerin alleingelassen, eine Geschichte hautnah und intensivst erleben dürfen.

Bereits  vor 10 Jahren haben das Duo Kittstein und Mikeska unter dem Lable „Raum + Zeit“ ein eigenes Theaterformat entwickelt, ein Format, bei dem sie die Grenzen und Begrenzungen zwischen Darstellern und ihren Zuschauern aufheben. Seither sind die Inszenierungen des Künstlerkollektivs heiß begehrt, sei es in Berlin, Weimar, München, Heidelberg, Chur, Düsseldorf oder Bonn.

Ein unvergessliches Rendevous

In Bregenz hat Bühnenbildnerin Steffi Wurster ein kleines Museum in den 2. Stock des Magazin 4 gebaut. Ein Museum mit verschiedenen Räumen, getrennt durch Türen, wo hinter jeder eine Überraschung wartet. Ein Volkskundemuseum, das der Besucher alleine, lediglich ausgestattet mit einem Audioguide, betritt. Im ersten Raum wird die Geschichte des Urmenschen erzählt, dessen Skelett beim Bau der zweiten Pfändertunnelröhre gefunden wurde. Vierzig Minuten ist man in diesem Museum der besonderen Art unterwegs und darf dabei bemerkenswerte, unvergessliche und intime Rendezvous mit Menschen aus der Vergangenheit erleben.

Teamarbeit vom Feinsten

Lothar Kittstein hat Texte für die vier Persönlichkeiten geschrieben, Monologe, die in ihrer Klarheit einfach bestechend sind. Bernhard Mikeska hat mit den Schauspieler*innen sehr individuelle Figuren erarbeitet und sie sichtbar mit sensibler Hand zu einem runden und stimmige Ganzen zusammengeführt.

Großartige Schauspieler*innen hautnah

Rahel Jankowski spielt die Hundsgräfin – Emilia Victoria Kraus, eine der Geliebten Napoleons, die eine Zeit lang mit ihren Hunden in Bregenz gelebt hat. Jankowski gewährt einen eindrücklichen Blick in die Seele einer sehr stolzen und sehr einsamen Frau.
Wer kennt nicht den Namen Paul Grüninger, den Schweizer Polizeileutnant, der vielen Juden zur Flucht verholfen und somit das Leben gerettet hat, der dafür bestraft und erst Jahre nach seinem Tod rehabilitiert wurde. Paul Grüninger wird von Rolf Mautz dargestellt, sehr liebevoll und mit ganz feinem Humor, der die verletzte Seele bemerkenswert spiegelt.
Auch dem Urmenschen darf man während dieser Reise begegnen und es ist eine Begegnung, die nachhaltig berührt, die von der Einfachheit des Menschen, seiner Sprache und der wunderbaren Darstellung durch Schauspieler Daniel Blum lebt.
Als vierte und letzte Persönlichkeit in diesem originellen Museum trifft man die Künstlerin Stephanie Hollenstein. Die überzeugte Nationalsozialistin war eine recht widersprüchliche Person, die von Jeanne Devos exzellent und sehr intensiv dargestellt wird.

Herausfordernd und intensiv

Nur 14 Besucher*innen sind pro Abend zugelassen. Für die Schauspieler*innen genauso eine Herausforderung, wie für den Besucher, müssen sie doch 14 Mal dieselbe Szene spielen und sich 14 Mal auf den/die jeweilige/n Besucher*in einstellen, auf mögliche Reaktionen eingehen. Der Sound, der den Besuch begleitet, wurde von Julia Krause entworfen und erhöht teilweise die Intensität merklich.

Tosender Applaus

Einlass ist alle 12 Minuten für eine Person, beim Kauf der Theaterkarte wird auch gleichzeitig der Eintrittzeitpunkt bekannt gegeben. Zum Schlussapplaus findet man sich wieder zusammen - bei der Premiere sind fast alle Besucher*innen dazu zurückgekommen und er fiel, sowohl für die Schauspieler*innen als auch für das Team, tosend aus. Eines ist jedenfalls gewiss - man verlässt das Magazin 4 diskutierend oder sinnierend, keinesfalls unberührt!

Resümee

Beinahe ist sie zu Ende, die erste Spielzeit der neuen Intendantin Stephanie Gräve und die Meinungen über diese Spielzeit gehen weit auseinander. Ob einem die Stücke-Auswahl, ob ein bestimmtes Stück oder eine Produktion gefallen hat oder nicht, bleibt letztlich eine sehr subjektive Angelegenheit. Das ist mir als Kritikerin, die in diesem Medium eine zwar durch Ausbildung und Erfahrung untermauerte, am Ende jedoch ganz persönliche Meinung äußert, sehr bewusst. Wenn die Bandbreite der Kritik, auch die des Publikums, somit  eine große ist, finde ich dies keineswegs verwunderlich, sondern vielmehr meist interessant und befruchtend. Dass sich dies für die Beurteilten ganz anders und oft schmerzhaft und leidvoll darstellt, scheint dabei unvermeidbar.

Kein beliebiges Unterhaltungstheater!

Stephanie Gräve hat dem Bregenzer Publikum ganz viel Neues, Auf- und Erregendes geschenkt und es somit auch ordentlich und in den Augen mancher zu sehr gefordert. Das mögen nicht alle, aber genau das ist es doch, was wir von einem Landestheater, das nicht beliebiges Unterhaltungstheater sein soll und will, letztlich erwarten dürfen.

Diorama Bregenz :: Der letzte Mensch
Weitere Aufführungen:
11. / 17. / 18. / 19. / 24. / 25. / 26. / 30. / 31. Mai und 1. Juni, jeweils ab 18 Uhr
2. Juni, ab 14 Uhr
23. / 24. / 26. / 27. / 28. / 30. / 31. Juli, jeweils ab 16 Uhr
Magazin 4, Bregenz