Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Dagmar Ullmann-Bautz · 18. Sep 2022 · Theater

Ein großartiges Ensemble in einem hochkomplexen Stück: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht am Vorarlberger Landestheater

Es war keine leichte Kost, die gestern am Vorarlberger Landestheater serviert wurde und nicht jede/r hat bis zum Schluss der Aufführung durchgehalten. Bertolt Brechts Stück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ erforderte durchwegs hohe Aufmerksamkeit und Konzentration vom Publikum und doch oder gerade deshalb war die gestrige Premiere ein Genuss, eine bravouröse Leistung des gesamten Ensembles und der jungen Regisseurin Bérénice Hebenstreit, die das Stück minutiös zerlegt und dabei äußerst präzise gearbeitet hat.

„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ ist ein hochkomplexes Stück, entstanden nach dem „Schwarzen Freitag“, der am 29. Oktober 1929 Millionen von Menschen ihr Erspartes gekostet hat. Damals führte der Börsencrash in eine sehr lange und schwere Weltwirtschaftskrise, die Brecht dazu animierte, sich mit den Ursachen dieser Katastrophe näher auseinanderzusetzten. Entstanden ist ein Stück über den fortschreitenden und schließlich zur weltweiten Krise führenden Industriekapitalismus, über die immer rücksichtsloser werdenden Spekulationen mit Nahrungsmitteln und der Frage nach der Veränderbarkeit des Systems.

Unerschütterlicher Glaube an das Gute

Tausende Menschen sind arbeitslos, das Elend in den Schlachthöfen Chicagos, ausgelöst durch großangelegte Spekulationen, niederschmetternd, so der Ausgangspunkt des Stückes. Zutiefst erschüttert auch die junge Heilsarmistin Johann Dark, die mit beinahe grenzenloser Naivität und einem unerschütterlichen Glauben an das Gute zur Klassenkämpferin wird, an ihrer selbst gestellten Aufgabe scheitert und an der Vergeblichkeit ihres Tuns endlich zerbricht.

Politisch motiviert und marxistisch orientiert

Bérénice Hebenstreit, die sich selbst auch als politische Aktivistin bezeichnet, hat sich nicht nur mit dem Text auseinandergesetzt, sie ist, genau wie Johanna im Stück, tief in die Materie eingetaucht, einerseits in das große wirtschaftliche Thema und auch in das Theater, wie Brecht es geprägt hat – das epische Theater, eine erzählende Form, die politisch motiviert und marxistisch orientiert ist. Sie hat das Stück nicht ins Heute transportiert, sie hat es genau dort belassen, wo der Autor es hingeschrieben hat. Und gerade das fördert die erschreckende Erkenntnis, wie wenig sich in den letzten hundert Jahren zum Besseren verändert hat – ganz im Gegenteil. Spekulation, Korruption und Vetternwirtschaft blühen weiter und gerade dann, wenn, wie heute, die Welt eine Veränderung am nötigsten hätte. Dass Gewerkschaften für Arbeiterinnen und Arbeiter unermüdlich Verbesserungen erkämpft haben, ist ein Trost.

Große Kraft und Zerbrechlichkeit

Neben den beiden Hauptfiguren werden die über zwanzig weiteren Rollen von nur fünf Schauspieler:innen einfach großartig bewältigt. So beweisen Maria Lisa Huber, David Kopp, Nico Raschner, Luzian Hirzel und Sebastian Klein beeindruckend ihre rasante Wandlungsfähigkeit und punkten mit stimmlicher, rhythmischer und körperlicher Präsenz. Vivienne Causemann überzeugt als Johanna Dark mit großer Intention, mit einer großen Kraft neben sichtbarer Zerbrechlichkeit. Ihr Gegenspieler, der Fleischkönig Pierpont Mauler, wird von Jürgen Sarkiss bestechend dargestellt – aalglatt, raffiniert und durchtrieben und dabei unheimlich komisch. Dass er uns, das Publikum, zum Lachen bringt, ist eigentlich zum Weinen.

Passendes Setting für einen spannenden Abend

Mira König kleidet die Figuren in der Zeit entsprechende Kostüme. Ihre Bühne ist ein genauso einfacher wie großer Wurf. Drei große Stege in unterschiedlichen Höhen, die allen Schauplätzen, Schlachthof wie Börse, Fabrikantenwohnung wie Heilsarmeelokal, ein passendes Setting bieten. Von Arndt Rössler sind die einzelnen Schauplätze genauestens und der Geschichte dienlich ins Licht gesetzt. Die Musik – eigentlich eine Geräuschkulisse – von Gilbert Handler hat große Kraft und Energie, drängt sich aber nie in den Vordergrund; sie irritiert ab und zu, legt Fährten und nutzt das Potential akustischer Untermalungen im Theater.
Alles in allem ein spannender Abend, wenn man sich darauf einlässt und wenn man auch gewillt ist, sich etwas anzustrengen. Das wurde vom Premierenpublikum mit großem Applaus für Ensemble und Regieteam entsprechend gewürdigt.

Vorarlberger Landetheater: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertold Brecht
weitere Vorstellungen: 20./24./30.9. sowie 19.10. jeweils 19.30 Uhr; 16.10., 17 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz
www.landestheater.org