Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Dagmar Ullmann-Bautz · 23. Sep 2019 · Theater

Ein bemerkenswert konzentriertes Theaterereignis – „Cold Songs: Rom“ am Vorarlberger Landestheater

Einen Theaterabend, der nicht nur wegen seiner Form außergewöhnlich war, sondern auch durch seinen Titel bzw. Untertitel „Cold Songs: Rom“ und „Hey Demokratie, bist du noch zu retten“ neugierig machte, gab es am vergangenen Samstag in Bregenz zu sehen und zu erleben. Die im Vorarlberger Landestheater am 21. September gefeierte Premiere der zwei Shakespeare Dramen „Coriolanus“ und „Julius Caesar“, erweitert durch den zeitgenössischen Text „Der ideale Staat in mir“ von Bettina Erasmy, wurde zu einer Auseinandersetzung mit der heutigen politischen Situation inkl. integriertem Publikums-Picknick und -Debatte. Das Ganze dauerte immerhin knapp fünf Stunden, für Theaterbegeisterte nicht wirklich viel, besonders dann, wenn das Gesehene und Erlebte spannend und unterhaltsam ist. Die Herausforderung lag bei den Regisseuren der Shakespearedramen, standen ihnen doch nur je fünf SchauspielerInnen zur Verfügung sowie ein vorgegebener zeitlicher Rahmen von 90 Minuten.

Eindrucksvoller BürgerInnenchor

Um 18 Uhr startete der Prolog aus Shakespeares Römerdrama „Coriolanus“ draußen auf dem Platz zwischen Theater, Kunsthaus und KUB-Cafe. Der neu installierte BürgerInnenchor unter der Regie der Choreographie von Teresa Rotemberg bewältigte seinen Part bravourös, sowohl in der Gestik als auch sprachlich. Eindrucksvoll stimmten sie das Publikum auf die Thematik ein bis der römische Volksheld Cajus Maricius Coriolanus die „Meuternden BürgerInnen“, sprich das Publikum vom Kornmarkt vertrieb und ins Theater jagte, wo es unter dem Zetern und Geschimpfe des Feldherrn Platz nahm, um gespannt den weiteren Verlauf des Dramas zu erwarten. Jürgen Sarkiss brillierte in der Figur des Coriolanus, spielte ihn energiegeladen, wütend, voller Tatendrang und Stolz, am Ende mit größter Verzweiflung - ein Superheld, der alle Schlachten gewinnt, jedoch an Politik und seinem eigenen Stolz scheitert. Großen Applaus verdienten sich auch alle weiteren SchauspielerInnen, die nur zu viert sämtliche 20 Figuren dieses großen Shakespeare-Stückes verkörperten und ihnen Gestalt und Charakter verliehen, Vivienne Causemann mit berührender Intensität und viel Humor,  Zoe Hutmacher durch große Strahlkraft und Ausdruck, Grégoire Gros mit hoher Sensibilität und Nico Raschner mit Präsenz und Klarheit.

Großartige Inszenierung

Regisseurin Catharina May hat eine umwerfend kluge Arbeit abgeliefert, sie hat sehr genau gekürzt, hat die Psychologie der einzelnen Figuren nicht nur präzise herausgearbeitet, sondern sie auch mit ihrem jeweiligen Outfit - großartig von Wicke Naujoks entworfen und umgesetzt - perfekt unterstützt. Livemusiker Matthias Grote, der auf der Bühne kommentierend und Emotionen fördernd seine Gitarre, seinen Synthesizer, seine Percussions sprechen lässt, ist ein Riesengewinn für die Produktion.
Um 20 Uhr hatten 40 ZuschauerInnen die Möglichkeit, die Uraufführung von „Der ideale Staat in mir“ von Bettina Erasmy im kleinen Haus zu sehen, alle anderen die Wahl zwischen Picknick und Debatte, einem Spaziergang im Freien oder das Aufsuchen eines der umliegenden Restaurants.

Geniales Bühnen- und Videobild

Agnes Kitzler inszenierte den Monolog von Erasmy „Der ideale Staat in mir“, besetzt mit dem Schauspieler David Kopp. David Kopp begeistert mit seiner Authenzität, Beweglichkeit und Behutsamkeit in der Figur des Influencers, in dessen Vorstellung der ideale Staat nur durch totale Kontrolle existieren kann. Bettina Erasmy hat einen spannenden Text geschrieben, der die Machtfrage in unserer digitalen Welt genau unter die Lupe nimmt und als Gegenwelt die Natur zu Wort kommen lässt. Agnes Kitzler inszenierte das Stück humorvoll und einem großen Maß an Verständnis für die Sache, wunderbar unterstützt vom genialen Bühnen- und Videobild von Marina Deronja, Marco Kelemen und Stanko Djordjevic. Rundum ist diese Produktion ein großartiges Erlebnis – spannend von der ersten bis zur letzten Minute.

Picknick und Debatte

Während dessen hatte ein Teil des im Foyer befindlichen Publikums den Inhalt der vorab bestellten Picknick-Box bereits genossen und diskutierten angeregt die aufgeworfenen Themen des Abends.

Neugierde und Vorfreude

Um 21.15 Uhr ging es zum Endspurt nochmals ins große Haus, um dort „Julius Caesar“ von William Shakespeare zu sehen. Leider war dann ein Teil des Publikums bereits weggebrochen – entweder bei einem Glas Wein und heißen Diskussionen hängen geblieben, oder einfach müde nachhause gegangen – ich hingegen war nach zwei so hinreißenden Aufführungen noch voller Neugierde und Vorfreude auf das dritte Stück „Julius Caesar“. Regisseur Johannes Lepper hat sich dafür einen eigenen Pfad, eine theatralische Gangart festgelegt, die Szenen um eindrucksvolle Sätze baut und um die fünf Hauptfiguren. Intensiv hat er die Psyche der einzelnen Figuren herausgeschält, sie jedoch dermaßen überhöht und überdreht, dass es schließlich zu Irritationen kommen musste, was der Geschichte nicht immer weiterhalf. Die gesamte Produktion war regelrecht gespickt mit Anspielungen – so gab es spielerische, bildliche, wie auch textliche und besonders viele sind in den Kostümen von Sabine Wegmann verortet und zu finden.

Voller Enthusiasmus

Unter Leppers Regie strampelte sich Felix Defèr als Cassius schweißtriefend durch das Stück. Casca, gespielt von Luzian Hirzel, machte mit seinen sprechtechnischen Übungen und körperlichen Verdrehungen etwas ratlos, während Rahel Jankowski einen lasziven Antonius als trauernde Witwe (sic) am Grab seines geliebten Caesars gab und Tobias Krüger als Brutus mit seinem schlechten Gewissen hadernd sich die Seele aus dem Leib schrie. Sie alle haben sich mit dem Kopf voran und voller Enthusiasmus in einen entleerten Pool gestürzt.
Arndt Rössler war diesmal besonders gefordert, hatte er doch beide Shakespeare-Stücke auf der großen Bühne zu beleuchten und es auch ganz ohne Bühnenbild fantastisch hinbekommen, wunderbare Stimmungen zu zaubern.

Empfehlenswerter Theatermarathon

Zum Abschluss bedankte sich Intendantin Stephanie Gräve bei allen MitarbeiterInnen des Hauses für ihren großen Einsatz, welcher bei so einem Mammut-Projekt bestimmt nicht unerheblich war und bat deshalb alle auf die Bühne zu einem großen und jubelnden Schluss-Applaus.
Es ist eine ganz  wunderbare Idee, dem Publikum eine solchen Abend zu schenken, einen Theatermarathon mit verschiedensten Auswahlmöglichkeiten und so  kann ich „Cold Songs: Rom“ jedermann/-frau nur weiterempfehlen. Warten Sie nicht zu lange, diese außergewöhnliche Produktion läuft nur noch bis 5. Oktober!