Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Manuela Cibulka · 30. Apr 2022 · Theater

Die Verhältnisse zum Tanzen bringen - das Vorarlberger Landestheater hat 2022/23 viel vor

Marx zitierend begrüßt Stephanie Gräve zur Pressekonferenz der kommenden Spielzeit des Landestheater Vorarlberg: „Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt“, und will damit nicht das Motto, doch aber den Bogen, der sich über die Premieren 2022/23 spannt, anklingen lassen. Gesellschaftlichen Themen nicht auszuweichen, sondern den Veränderungen kämpferisch und spielerisch entgegenzutreten, zeichnet die Figuren, denen die Bühne bereitet wird und somit auch das Vorarlberger Landestheater aus.

Das Fehlen einer Solidargemeinschaft, die Erodierung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes und die bedenkliche Entwicklung der gemeinsam zu tragenden Verantwortung stehen im Fokus der kommenden Spielzeit des Lanbestheaters. In diesem Sinne verwundert es nicht, dass im September in einer Inszenierung von Bérénice Hebenstreit mit Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ die Saison eröffnet wird. Den Stoff von 1929/30, der in den Wirtschaftswunderjahren der 60er bereits als veraltet deklariert wurde, ins Heute zu holen, wird nicht schwierig sein,  zumal prekäre Arbeitsbedingungen, Abhängigkeitsverhältnisse und wirtschaftliche Korruption auch heute wieder im Zentrum gesellschaftlicher Diskussionen stehen.
Gemeinsam mit der Group50:50 werden wir im Oktober in dem Gastspiel „The Ghosts are returning“ in den Kongo reisen. Stephanie Gräves Werkeinführung dazu lässt einen inhaltsreichen und besonders spannenden Abend zum Thema Restitution geraubter Kulturgüter erwarten, bringen doch die Mitglieder des Kollektivs Berichte von ihrer Reise in Form der unterschiedlichsten musikalischen Genres und multimedial zum Ausdruck.
Birgit Schreyer Duarte wird nach ihrem Debüt („Else – ohne Fräulein“) ein zweites Stück, dessen zentrale Figur weiblich ist, inszenieren: Ibsens „Nora“ als weiteres Plädoyer für den Feminismus und als Sinnbild für die Infragestellung des eigenen Selbstverständnisses zur Auflösung der Mitläuferschaft.

Familienstück und Uraufführungen

Als diesjähriges Familienstück kommt „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll zur Aufführung. Die allseits bekannte Danielle Fend-Strahm wird das Abenteuer in einer vielversprechend angekündigten Bühnenausstattung (Matthias Strahm) präsentieren. Freude an der verrückten Welt, an den Sprachspielereien ebenso wie an den philosophischen Fragen, die der Text in sich birgt, kann versprochen werden. Dass es dieses Jahr endlich auch wieder einmal Schulvorstellungen und „durch die Räume polternde Kinder“ geben wird, hoffen alle.
Mit „Kafka in Farbe“ und „Wunsch und Widerstand“ sind zwei Uraufführung im Haus geplant. Ist erstere eine Weiterführung der erfolgreichen Koproduktion mit dem Duo Max Merker und Aaron Hirtz – bei „All you can be“ gab es Standing Ovations – die sich der komischen Seite Kafkas widmen soll, wird mit zweiterer der jährlich vergebene Stückauftrag in Serie zu einem Vorarlberger Thema eingelöst. Thomas Arzt untersucht darin das unfassbare Leben des Max Riccabona, dem in Feldkirch geborenen Schriftsteller, dessen Leben durch Mysterien, Begegnungen aber vor allem dem Verlust und der Frage nach Identität geprägt war. Regie führt dabei Stefan Otteni.
Weitere Uraufführungen in der Box werden „King Kong Vivienne“ und „Şurdum“ (Arbeitstitel) sein. Vivienne Causemann setzte sich bereits vor ihrer Zeit am Landestheater gemeinsam mit der Regisseurin Fanny Brunner mit ihrem eigenen Weg zum Frausein, mit Rollenbildern und Positionierungen auseinander und begibt sich jetzt erneut auf die Suche nach Strategien und Möglichkeiten zur Rebellion gegen Normen.
Auf welche Normen und Vorgaben Ayse Şurdum – die Frau des Lyrikers Kundeyt Şurdum – im Vorarlberg der 70er und 80er Jahre traf, wird im Dezember zu sehen sein. Unter der Regie von Daniela Egger lernen wir die Familie, deren Träume und Wirklichkeiten in den zwei Welten Türkei und Vorarlberg kennen, und auch hier heißt es in der Stückbeschreibung: „Wir müssen tief in uns selbst hineinschauen“.

Verschobenes und Wiederaufnahmen

John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ stand schon länger auf dem Spielplan, wurde aber – corona- und in diesem Fall auch schwangerschaftsbedingt – in die kommende Saison verlegt, in die es mit der Lebensschilderung zweier Menschen, die auf der Suche nach dem Glück auf eine Welt stoßen, die keine Außenseiter duldet und nicht jedem das Erreichen seiner Ziele zugesteht, hervorragend passt. Für die Inszenierung verantwortlich zeichnet Agnes Kitzler.
Neben dem dichten Premierenkalender wird es zu Wiederaufnahmen und neuen Liederabenden kommen. Die Klassenzimmerstücke sind gut gebucht und bei lediglich sechs fixen Ensemblemitgliedern ist es erstaunlich, wie das alles zeitlich zu bewerkstelligen ist. Vertrauen kann die Intendantin dabei nicht nur auf ihr fixes, sondern auch auf ein von ihr als „erweitertes Ensemble“ benanntes Team. Die hervorragenden Schauspieler:innen sind ihrer Meinung nach auch der wichtigste Grund für die doch relativ stabilen Besucher:innenzahlen und das dem Theater sehr zugeneigte Publikum.

Oper

Dass es wieder eine Oper geben wird, ist nicht der gesonderten Finanzierung, sondern sowohl der hervorragenden Zusammenarbeit mit dem SOV und dem Bregenzer Festspielchor als auch dem Verständnis des Hauses geschuldet. In einem Land, in dem die Musik einen sehr hohen Stellenwert hat, dürfe eine Oper im Jahr kein vermessener Wunsch sein. Donizettis „Maria Stuarda“, eine Tragödie herausragender musikalischer Qualität voller Eifersucht, Rache, Intrigen und Macht, wird von Teresa Rotemberg inszeniert und im März am Theater am Kornmarkt gezeigt.

Finanzierung

Im Zentrum der abschließenden Fragen stand neben Inhaltlichem der Umgang mit Kürzungen bzw. Preissteigerungen. In einem Rechenmodell zwischen vorherrschender Teuerung, angekündigter Indexanpassung und letztjähriger Budgetkürzung stellt sich bei einem erwarteten Verlust von bis zu 29 % für Stephanie Gräve immer wieder die Frage, welche Summe letzten Endes für die künstlerische Arbeit bleibt. Dass eine Schnürbodensteuerung nicht auf die inzwischen für 2024/25 geplante Sanierung des Hauses warten kann, versteht sich, dass die Kunst aber nicht darunter leiden sollte, wünscht man sich. Um abschließend hier mit Brecht zu sprechen, dessen Lieder musikalisch die Spielzeit voreröffnen werden: „So wie es ist, bleibt es nicht.“ Oder doch? Im Falle des Landestheaters darf man sich das in Bezug auf die Qualität und das Engagement aber jedenfalls erhoffen.

Den Download zu dem Spielzeitheft 2022/2023 finden Sie in der Box rechts

www.landestheater.org