Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Anita Grüneis · 23. Jän 2019 · Theater

„Bilder deiner großen Liebe“ im TAK: Sternstunde mit Sandra Hüller

Mit der Produktion „Bilder deiner großen Liebe“ gastierte das Theater am Neumarkt im TAK. Der Abend wurde zu einer Sternstunde der Schauspielkunst. Der 48-jährige Autor Wolfgang Herrndorf setzte seinem Leben am 26. August 2013 selbst ein Ende. Seine Krebserkrankung war soweit fortgeschritten, dass er keine Hoffnung mehr sah. Er hinterließ seinen Bestseller „Tschick“ und andere Werke, darunter auch ein unvollendetes Stück, ein Roadmovie mit der Hauptfigur Isa, das Mädchen auf den Müllbergen, das bereits in „Tschick“ eine Rolle gespielt hatte. Den Titel für seinen Roman legte Wolfgang Herrndorf in seinen letzten Lebenstagen noch fest: „Bilder deiner großen Liebe“. 

Aus diesem Fragment setzte Dramaturgin Inga Schonlau ein Monolog-Stück zusammen, Michael Graessner baute eine fantasievolle Bühne dazu, Regisseur Tom Schneider setzte es mit der Schauspielerin Sandra Hüller und den Musikern Moritz Bossmann und Sandro Tajouri in einem musikalischen Abend um. Die Schweizer Erstaufführung war im April 2016 am Zürcher Theater Neumarkt. 

Die Frau und das Mädchen und die Wucht

Die Aufführung begann und endete mit einem Schrei. Es war der Aufschrei eines wütenden Teenagers, der trotzige Schrei der Jugend und der Schrei der Sandra Hüller. Soviel Naturgewalt war im TAK noch nie – und das alles in einer Person. Sandra Hüller war nicht nur eine Schauspielerin, die mit jeder Faser und jeder Pore ihres Körpers die Isa zum Leben erweckte, sie ließ sogar vergessen, dass das alles nur Theater war. Es waren ihre eigenen Worte und dann doch wieder nicht – sie war dieses 15-jährige Mädchen, das weggelaufen war, nicht wusste wohin mit sich, das sich wegträumte, in Erinnerungen abdriftete, unterwegs merkwürdige Gestalten traf, wie den taubstummen Jungen, mit dem sie dann doch reden konnte, oder das totes Reh und den toten Jäger. Sie war Allerleihrauh aus dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm, das dem Vater entflieht und sich in Pelz- und Rauchwaren hüllt. Und sie war ein Teenager-Trotzkopf wie jeder andere, der glaubt, dass die Sonne stillsteht, wenn er es nur will.
Dazwischen war sie aber auch ein auf die Erde gefallener Engel, der hinaufschaute und sich wunderte, dass man ihn nicht sah. Sie erzählte: „Die Wärme des Tages ist im Gras. Ich liege auf dem Rücken. Weiß umrandete Wolken ziehen vor dem Mond vorbei. Ich stelle mir vor, jemand sieht mich von oben, aber niemand sieht mich. Dabei liege ich so malerisch. Das glaube ich, und ich fühle mich so wohl und so tot und wie ein aufgestauter Fluss, über den in der Nacht immer wieder einmal der Wind geht.“

In 50 Jahren sehen wir uns wieder

Sandra Hüller traf die lyrischen Töne genauso punktgenau wie die lautstarken, mit denen sie über die Bühne polterte, ins Mikrofon schrie, plötzlich zum Entertainer wurde und das Publikum zum Mitsingen aufforderte, das aber völlig verdutzt auf die Schauspielerin starrte und nicht wusste, was sie damit nun wieder meinte. Sandra Hüller war jeden Moment ganz nah und ganz wach. Zum hinreißenden Erlebnis wurde ihre Schilderung über die Treue, bei der sie mit wuchtigen Schritten über die Bühne stürmte, um aufzuzeigen, wie ein in Spanien zurückgelassener Hund sich auf den Weg macht zu seinem Herrchen nach Dortmund und dort auch eintrifft.
Und während sie so zwingend erzählte, war diese durch die Lande ziehende Isa-Sandra, die sich selbst immer treu blieb, auch ein bisschen wie dieser Hund. Suchte sie ihre Tschick-Freunde? Der Regisseur erlaubte ihr, sie zu finden – die beiden Musiker, die mit ihren weißen Hosen und T-Shirts zu Beginn eher an Wärter aus der Psychiatrie erinnerten, aus der das Mädchen angeblich geflohen war, wurden plötzlich zu Maik und dem Russen und erneut versprachen die drei Freunde, sich in 50 Jahren genau hier wieder zu treffen. Das wäre dann am 22.1.2069. Mal schauen, ob das TAK das einlösen kann.