Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Mirjam Steinbock · 02. Mai 2019 · Tanz

Beachten Sie die Körpergröße! – Überzeugend aufmischendes Tanzstück „Gemischte Beine – Bewegte Gefühle“ von Gisa Frank begeisterte im vorarlberg museum

In der aktuellen Produktion der bestens vernetzten und konsequent schaffenden Ostschweizer Tanzexpertin Gisa Frank geht es um Tanzlust, Tanzwut und Tanzsucht. Gemeinsam mit dem aus Tänzer*innen, Musiker*innen und Bewegungsschauspieler*innen bestehenden Ensemble vermochte sie das Publikum im vorarlberg museum zu bewegen. Der klang- und stimmreiche Bewegungsschwarm der Tanz- und Musikprotagonist*innen wob die Zusehenden mit ein in einen Jetzt-Zeit-Teppich aus Epochen, Stilen, Ländern und gesellschaftlichen Schichten. Der Stücktitel war Programm und mit dem roten Faden des Zusammenwirkens ein Gesamtwerk zu weben die Aufgabe aller Anwesenden.

Großer Mut muss hinter diesem Konzept stecken und ebenso ein grenzenloses Vertrauen in alle Beteiligten. In drei Monaten tourte das Ensemble an sage und schreibe 14 Orte in drei Ländern. Keine typischen Theatersäle, vielmehr Räume, in denen wie z. B. in Wirtshaus-Sälen gesellschaftliches Leben und in Museen gesellschaftliche Aufträge ausgesendet werden. Das heißt für die Crew, sich auf stets unterschiedliche und für Ton, Licht und Darstellung herausfordernde Gegebenheiten einzustellen und offen für Improvisation und Neues zu sein. Der Veranstaltungssaal im vorarlberg museum war nicht wiederzuerkennen. Auch hier musste Improvisation eine Hauptrolle gespielt haben. Ein völlig verdunkelter Raum bezauberte durch Lichterketten, die an vier Schweinwerfer gehängt eine rechteckige Tanzbühne entstehen ließen. An einer Bühnenseite war die fünfköpfige Tanzkapelle positioniert, eine Seite fungierte als Darstellungsbereich, die zwei verbliebenen Seiten zum Publikum hin waren offen. Mit Stuhlreihen auf Podesten vermittelte die Szenerie den Eindruck eines Dorffestes.

„Beachten Sie die Körpergröße!“

Eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn lud das Ensemble zu einem kleinen Tanzkurs mit der Kapelle, was einen ersten mitreißenden Eindruck vermittelte und erahnen ließ, dass das Einstudierte später noch Verwendung finden würde. Das Tanzstück selbst begann unvermittelt und mit dem Positionieren eines Tanzschuhs des Ensembles am Bühnenrand. „Beachten Sie die Körpergröße!“, lautete der Appell eines Tänzers. Der Kontakt zu den Zusehenden war aufgenommen.
Die Vorstellung aller Bewegungsbeteiligten und des Stückthemas löste Choreografin Gisa Frank originell: Zwei auf Rollen befindliche und silbrig glänzende Mikrofone wurden zum „Speakers Corner“ eines umfangreichen Bewegungsvokabulars. Die Tanzenden, Simon Fleury, Carin Frei, Stephan Grossenbacher, Katharina Hanhart, Mara Natterer, Rudi Natterer, Maja Riemensberger und Josua Surber, gaben den Begriffen Fliegen, Fallen, Führen, Folgen, Klatschen und Stampfen sowohl Stimme als auch Gesicht und Körper, während die Bewegungsschauspielerinnen Esther Hungerbühler und Gonne Klein als Kommentatorinnen-Duo im und aus dem Off sprachen, sangen und spielten und Übergänge zwischen den Szenen schufen.

Die Musikkapelle ...

… mit Christian Käufeler am Saxofon, Adriano Regazzin mit Keyboard und Electronics, Percussionist Micha Surber und Kontrabassist Jürg Surber erhellten einen Klangraum sowohl im Jazz als auch im Swing, klassisch im Walzer, im elektronischen Club-Sound oder erdig in Volksmusik. Das Führen und Folgen wie es der Tango verlangt, dem hier ebenfalls raumgreifend Ehre erwiesen wurde, erlebte auch das Performance-Paar Tanz und Musik. Mal gab die Band den Takt vor, mal zeigte das Ensemble die Richtung an.

Die Tanzenden

„Die Damen, die Herren, nun geht es um das Dürfen, das Wollen, vielleicht auch das Müssen“, hieß es plötzlich und Erinnerungen an den ersten Tanzkurs wurden wach, jedenfalls stieg die Spannung im Raum erheblich. Wieder ging es um das Beachten der Körpergröße und die sich gegenüber stehenden Tanzpartner*innen wurden eingewiesen in die Schrittfolge des langsamen Walzers und den ungenannten Kode des Gemeinsamen, was – man ahnte es schon – mit eleganter Grazie umgesetzt werden sollte. Der unsichere Blick der Tanzenden auf ihre Füße entfaltete Szenerien, die man selbst zur Genüge kennt. Witziges und künstlerisch ausgefallenes Detail bei dieser Szene war, dass die Tanzpaare mit allem tanzten, nur nicht in einer Schrittfolge und stattdessen im Walzer an einem Fleck fest auf beiden Beinen standen.

Unterschiedliche Tanzepochen

Auf die Klassik folgte ein Swing, die Discokugel kam zum Einsatz und parallel dazu wurde die Kleidung angepasst. Das choreografierte Umziehen wurde zum Eintauchen in eine neue Tanzepoche, die immer auch die zwischenmenschliche Bewegung und Rollenbilder einer Zeit darstellt. Stark männlich geprägte rituelle Tänze wurden von sanften Bewegungen und Gesang der Frauen begleitet, Gleichberechtigung wurde in der Contact Improvisation offensichtlich und auch im Tango, der hier nicht nur in der Paarvariante, sondern als Line-Dance zum Einsatz kam.

Ein Violin-Solo

Einen besonderen Lichtpunkt erhielt die energetisch aufladende Produktion durch eine Szene, in der Gastmusikerin Katharina Surber ein Violin-Solo darbot. Die Tanzenden reihten sich mit ihren Stühlen um sie, Bewegungsstille trat ein, der wertschätzenden Betrachtung wurde ganzer Raum geschenkt. Diese wahrlich liebevolle und aufmerksame Zuwendung zur Musik, das Sich-Begegnen aus einem Selbstverständnis der eigenen Kunst heraus erschuf einen zusätzlichen Klang im Raum, der berührte. Er beschrieb eindrücklich, was Tanz, Musik und Schauspiel im Einzelnen und dann vor allem im Miteinander an Potential gewinnen.

Zusehende werden zu Mittanzenden

Und schließlich kam es zu jenem Kreistanz, den die Teilnehmenden der Tanzstunde vorab schon kannten, und die Tanzbühne wurde öffentlich. Wenn das funktioniert und Zusehende zu Mittanzenden werden, ist alles gelungen und hat alles funktioniert. Was blieb neben heftigem Applaus, war kräftiges Gratulieren zu einer Produktion wie dieser. Einer, die sich traut, Grenzen wegzudenken und diese verwegen und mutig zu durchspielen. Die Gratulation geht in dem Fall an alle Mitwirkenden mit Ensemble, Publikum und einem Haus wie das vorarlberg museum.