Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 12. Mai 2019 · Tanz

Origineller Dreierpack - Die National Dance Company Wales gastierte beim “Bregenzer Frühling”

Mit den drei jeweils ca. halbstündigen Einzelstücken „Tundra“, „Atalaӱ“ und „Folk“ begeisterte die in der walisischen Hauptstadt Cardiff stationierte National Dance Company Wales die Tanzfans aus dem gesamten Bodenseeraum im praktisch ausverkauften Bregenzer Festspielhaus. Die Compagnie ist für ihre emotional ansprechenden und verschiedenartigen Produktionen ebenso bekannt wie für die unkonventionellen, niederschwelligen Zugangsformen, die zum Erreichen neuer Publikumsschichten gesucht werden. So wurden nicht erst unter dem neuen künstlerischen Leiter, dem Iren Fearghus Ó Conchuir, auch schon Nachtclubs, Pflegeheime oder Schulen bespielt – der „Bregenzer Frühling“ bot da vergleichsweise natürlich einen konventionellen Rahmen.

 „Tundra“

Schon der Auftakt zum 2017 uraufgeführten Stück „Tundra“ des spanischen Choreografen Marcos Morau, dessen Arbeiten sich im Spannungsfeld von Tanz, Film und Theater bewegen, hätte nicht verblüffender sein können. Die neun Tänzerinnen und Tänzer scheinen in ihren bodenlangen Röcken wie von einer unsichtbaren Kraft gesteuerte Babuschkas über den Bühnenboden zu schweben. In perfekt fließenden Bewegungen, als würden sie sich auf Rädern fortbewegen oder als wären sie magnetisch und würden von einem starken, unter dem Bühnenboden befindlichen Magneten hin- und hergeschoben. In der Tat bezieht Morau seine Inspirationen für „Tundra“ nicht nur was Musik, Volkstanz-Elemente und Kostüme betrifft aus dem Russland zu Zeiten der Sowjetunion. Vor allem auch die Vorstellung von Revolution als eine Form der Vereinigung von Menschen wird in einer langen Sequenz eindrucksvoll auf die Bühne gebracht. Das gesamte Ensemble erscheint – nun in folkloristisch bunten Ganzkörperanzügen – wie ein einziger Organismus, der in perfekter Koordination mit Armen und Beinen die unglaublichsten, fließenden Bilder entstehen lässt. Manchmal ist man auch an die Kettenreaktionen erinnert, die sich beim Umfallen von aneinandergereihten Dominosteinen ergeben. Man erahnt, welche Konzentration und fast schon organische Kommunikationsfähigkeit dazu notwendig sind, und dennoch erscheint alles völlig schwerelos. Das von Joe Fletcher konzipierte Bühnen- und Lichtdesign besteht quasi aus einem mehr oder weniger grell leuchtenden Lichtrahmen, der dem ganzen einerseits Form, andererseits eine weitere Dimension des gespenstisch Zauberhaften verleiht. Der ausgeklügelte Musikmix aus folkloristischen und elektronischen Elementen unterstreicht und verstärkt diesen Eindruck auf perfekte Weise.

Atalaӱ“

Mediterrane Stimmungen und Gefühle dominieren das 2018 uraufgeführte Stück „Atalaӱ“ des Spaniers Mario Bermudez Gil, der nach seiner Ausbildung in Sevilla wichtige Erfahrungen als Tänzer in New York und vor allem bei der Batsheva Dance Company in Tel Aviv gemacht hat. G.S. Sultan, Mercan Dede oder die Asian Dub Foundation stehen für mitreißende World-Beat-Mixe, in denen sich Musiktraditionen aus dem Nahen Osten und zeitgenössische Ambient-Music vermischen. Ähnlich verfahren zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer, indem sie orientalische Volkstanzelemente und zeitgenössische Tanzstile in durch Blackouts unterbrochenen, stark rhythmisierten Tanzbildern zusammenfließen lassen.

„Folk“

Während die ersten beiden Stücke durch relativ einfaches, aber wirkungsvolles Bühnen- und Lichtdesign geprägt waren, zieht im Stück „Folk“ zuerst einmal der riesige Baum, der von der Bühnendecke herunterhängt, alle Blicke auf sich. Ist das nun ein Baum, der mit den Ästen nach unten umgekehrt in der Luft hängt, oder handelt es sich um ein riesiges Wurzelgeflecht, das den Baum quasi in der Luft verankert? Schwer zu sagen, aber verrückt ist es allemal, was Caroline Finn, die ehemalige künstlerische Leiterin der National Dance Company Wales, ihre Akteure unter dem vieldeutigen Objekt vollführen lässt. Zwischen verschiedenen Tableaux vivants, in denen Gemälde aus dem 17. und 18. Jahrhundert nachgestellt werden, entspinnen sich so etwas wie Charakterstudien der einzelnen Akteure, die wild gestikulieren, grimassieren, schreien oder unverständliche Redeschwälle von sich geben und ein höchst exzentrisches Tanzvokabluar perfektioniert haben. Witzige, düstere und absurde Tanzszenen lassen im ausgeklügelten Lichtdesign von Joe Fletcher Reales und Surreales miteinander verschmelzen. Jacques Offenbachs „Barcarole“ von Mantovani und Orchester gespielt, der Sirtaki „Zorba‘s Dance“ von Mikis Theodorakis, der „Midnight Waltz“ des Neoklassikers Adam Hurst, oder „Homo fugit velut umbra“ des frühbarocken italienischen Komponisten Stefano Landi von Christina Pluhars L’Arpeggiata und dem Tenor Marco Beasley interpretiert – dieser Soundtrack passt exzellent zu dem mit Überraschungen gespickten und überdrehten Geschehen, indem er es durch Schönheit konterkariert.

Ob nun „Tundra“ oder „Folk“ das Highlight dieses außergewöhnlichen Tanzabends war, bleibt dem persönlichen Geschmack und den jeweiligen Vorlieben des Betrachters/der Betrachterin überlassen – experimentierfreudig und exzellent getanzt waren beide.

Trailer zu den einzelnen Produktionen

https://www.youtube.com/watch?v=fxPeO0by_dY – Tundra

https://www.youtube.com/watch?v=HkqZREn_cyE – Atalaӱ

https://www.youtube.com/watch?v=ZTlFuSsR6Qk – Folk

Nächste Produktion beim "Bregenzer Frühling"
Fr, 17./Sa, 18.5., 20 Uhr: Francesca Harper "New Piece" (UA)
im Kunsthaus Bregenz
www.bregenzerfruehling.com