Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Thomas Kuschny · 24. Okt 2019 · Musik

Zwischen Kontemplation und Epilepsie – Lorenz Raab im Spielboden

Es gab einmal eine Zeit, als sich innovative Soundtüftler daran machten, so hektisch-verquere Beats wie nur eben möglich zu programmieren, diese dann mit coolen Basslicks zu vermengen und das somit entstandene nackte Gerüst ohne unnötiges Beiwerk genau so zu belassen. „Drum´n´Bass“ wurde das Genre naheliegenderweise genannt und es dauerte nicht lange, bis sich auch „echte“ Schlagzeuger bemühten, die teils sehr vertrackten künstlichen Gebilde zu verinnerlichen. Analog plays Digital! Dass solche Unterfangen auch heute, Jahre nach dem dazugehörigen Hype noch zu begeistern vermögen, beweist die „:xy Band“ des Trompeters Lorenz Raab.

Das „Vorprogramm“, wenn man es denn so nennen will, bestreitet Raab gleich selbst.
Zusammen mit Christof Dienz, der unlängst am Fagott schon mit Studio Dan im Spielboden zu hören war, entwirft er zumeist beschauliche Klanggebilde. Dienz bedient hier allerdings die Zither, ein Instrument, das er, um den spielerischen Zugang zu bewahren, völlig unakademisch erlernt hat. Keineswegs hat das „RaaDie“ genannte Duo aber improvisatorischen Charakter. Vielmehr schichtet Dienz sehr elaboriert Schichten von Loops übereinander, die er bei Bedarf wieder ausdünnen oder umkonfigurieren kann. Mit den zahlreichen elektronischen Helferleins wissen beide trefflich umzugehen, dem Zufall wird hier eher nichts überlassen. Kurze melodische Motive werden ab und an eingeworfen und verarbeitet. Titel wie „Unterwasserfische“ weisen vielleicht darauf hin: Dies ist großteils zwischen „Ambient“ und „Lounge“ angesiedelt. Die Grenze zur Beliebigkeit mag manchmal nicht weit sein, wird aber defintiv nie überschritten. Die Herren wissen, wie man dies vermeidet.
Will man den ersten Teil des Konzerts also als entspannten Aufstieg Richtung Gipfel sehen, so gleicht der zweite der darauffolgenden Schussfahrt ins Tal. Das Quintett „:xy band“ besteht nun schon seit 15 Jahren, ein Wegbereiter für diesen Stil im weiteren Sinne mag Nils Petter Molvaers Album „Khmer“ von 1997 sein. Allerdings unterscheidet sich der Sound doch recht beträchtlich durch die Besetzung: Schlagzeug, 2 Kontrabässe, Zither und Trompete, ein Alleinstellungsmerkmal. Dienz hat hier mehr Freiheiten, erzeugt abstrakte Klangwolken, spielt aber das einzige Harmonieinstrument und ist also auch für diesbezügliche etwaige Wendungen zuständig.
Die beiden Bässe ergänzen sich mal wuchtig, mal effektgetränkt, der langjährige Mitstreiter Matthias Pichler wird diesmal von Beate Wiesinger bestens vertreten. Lorenz Raab verzichtet auf Elektronik, greift auf analoge Manipulation zurück. Man wundert sich einmal, wie tief eine Trompete denn tönen kann. Raab steht im Halbkreis der Band am rechten Rand, im Mittelpunkt steht daher auch optisch der Schlagwerker. In diesem Kontext ist dieser zweifellos der wichtigste, am wenigsten entbehrliche Teil des Ensembles. Herbert Pirker ist ein hyperaktiver, nervöser Berserker, ständig variierend, ständig unter Strom. Lange sind seine Pausen nicht, dienen meist nur dem dynamischen Aufbau der Stücke, die manchmal zu einem furiosen Getöse anschwellen. Molvaer hat seine Konzerte ja hin und wieder mit viel Video und Lichtshow noch verdichtet, ein enormer technischer Aufwand. Ähnliche ästhetische Synergieoptionen mögen einem auch hier in den Sinn kommen. Letzlich kann man aber auch die Augen schließen und seine eigenen Bilder evozieren. Braucht weniger Strom und beflügelt die Fantasie.
Tolles Konzert!