Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Silvia Thurner · 16. Jun 2013 · Musik

Zwischen Faszination und Ablehnung – Werner Güra und Christoph Berner gaben zu denken

Ein Wechselbad der Gefühle hinterließ der Liederabend mit dem Tenor Werner Güra und dem Pianisten Christoph Berner bei der Schubertiade Schwarzenberg. Unter dem Leitgedanken „Willkommen und Abschied“ haben die beiden Künstler im vergangenen Jahr eine viel beachtete und ausgezeichnete CD mit Schubertliedern publiziert. Und genau diese Liedersammlung war nun in Schwarzenberg zu hören. Der individuelle Interpretationsansatz ließ von Beginn an aufhorchen. Während einige Balladen vor allem im ersten Konzertteil in der Diktion etwas oberflächlich wirkten, fesselten Güra und Berner die Zuhörenden im zweiten Teil mit intensiven Werkdeutungen.

Die Liedzusammenstellung führte die BesucherInnen in tiefromantische Seelenwelten und verströmte eine enorme Sogkraft. Das romantische Bild eines Wandernden und Suchenden, der die Welt und menschliche Begegnungen stets als Außenstehender betrachtet und erlebt, wurde in dieser subtilen Kombination der Lieder gut nachvollziehbar. Darüber hinaus erregten die unmittelbare Aufeinanderfolge von ganz frühen und späten Schubertliedern sowie die unterschiedlichen lyrischen Textvorlagen ein kompositionsgeschichtliches Interesse.

Zwei, die etwas zu sagen haben


Einleitend interpretierten Werner Güra und sein Klavierpartner Christoph Berner das berühmte „Heidenröslein“ (D257). Die Art und Weise, in der sie vor allem die sprachlichen Sinneinheiten des Liedes erfrischend neu ausgestalteten, machte deutlich, dass diese beiden Künstler etwas zu sagen haben, das abseits der gewohnten Liedinterpretation liegt. Die melodischen Linien im „Schlaflied" (D527) sowie im „Wiegenlied" (D867) artikulierte Werner Güra zurückhaltend und mit subtiler Kraft. Damit machte er auf die den Liedtexten innewohnende, oft mehrdeutige Aussage aufmerksam und unterstrich die romantische Geisteshaltung. Den ersten Höhepunkt bildete „Das Geheimnis“ (D719), in dem der Tenor vor allem mit charakteristischen Tonschritten die Ambivalenz des Goethetextes hervorragend ausdeutete.

Zwischen Langatmigkeit und Faszination


Selten zuvor habe ich einen Liedsänger gehört, der – zumindest meinen Ohren nach – dem perfekten „Schönklang“ in der Stimme und einer exakten gleichschwebenden Intonation einen gar nicht so großen Stellenwert beigemessen hat. Viel mehr kehrte Werner Güra mit psychologischem Feingefühl vor allem die Bruchstellen der Texte auf ganz eigentümliche und faszinierende Art hervor. Weil er nicht die große Linie des Gesanges in den Vordergrund stellte, kamen die Balladen mit dramatischem musikalischem Aussagegehalt weniger überzeugend zur Geltung. Sie wirkten teilweise sogar dynamisch etwas flach und monoton, wie beispielsweise „Der Fischer“ (D225). Vor allem „Der Schiffer“ (D536) und „Willkommen und Abschied“ (D767) klangen überhastet und angestrengt.

Psychologisches Gespür


Daneben lotete der Tenor die zwiespältigen Farben im Lied „Daß sie hier gewesen“ (D775) auf so mitreißende Art aus, dass der Liederabend im wahrsten Sinn des Wortes ein Wechselbad der Gefühle zwischen Langatmigkeit und Gänsehaut auf engstem Raum darstellte. In der zweiten Konzerthälfte überwog eine depressive Grundstimmung in den Liedern und genau diese füllte Werner Güra berührend und authentisch, aber nie pathetisch aus. So entwickelte sich mit dem „Wanderer“ (D493) und im Lied „Der Einsame“ eine dichte Atmosphäre im Konzertsaal. Beeindruckend formte er das Lied „Herbst“ und öffnete innere Seelenlandschaften.

Mitreißend ausgedeuteter Klavierpart


Die ganz eigentümliche Gestaltung und Reflexion des Gesangspartes von Werner Güra emanzipierte den Klavierpartner Christoph Berner auf erstaunliche Art und Weise. Dass die beiden hervorragend miteinander harmonieren, war unmittelbar zu hören und zu spüren. Der Pianist trug den Sänger förmlich und deutete die Texte sorgsam und sogar spitzfindig aus. Über viele Passagen hinweg lenkte er die Aufmerksamkeit auf den Klavierpart. In unterschiedlichsten Farben stellte Christoph Berner die Emotionen dar und machte Anspielungen auf illustrierende Naturschilderungen. Packend gelang es ihm, die in den Klavierpart hineinkomponierten Textdeutungen an die Oberfläche zu kehren, mit Gewichtungen, symbolisch gesetzten Intervallen und Harmonien, aufgewühlten Tremoli, erdigen Bassgängen und vielem mehr. Genauer auf die vielen Details einzugehen, würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Ich habe selten einen so zwiespältigen und insgesamt doch ergreifenden Liederabend erlebt.