„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Silvia Thurner · 26. Okt 2020 · Musik

Widersprüche in sich musikalisch aufbereitet – das Ensemble Plus bot nicht alltägliche Anregungen zum Hören und Erleben

Der neue Leiter des Ensemble Plus, Guy Speyers, hat in diesem Jahr einen schwierigen Start in seinem neuen Aufgabengebiet. Nicht nur einmal machte ihm Corona einen Strich durch die Rechnung und Konzerte mussten abgesagt oder verschoben werden. Aber die Tatkraft der engagierten Ensemblemitglieder ließ nicht locker und so fand im Theater Kosmos ein höchst anregendes Konzert statt, das hierzulande kaum bekannte Werke von Komponisten beinhaltete, die längst als Klassiker der Moderne gelten. Als Höhepunkt präsentierte das Ensemble Plus unter der Leitung von Thomas Gertner das neueste Werk von Gerald Futscher und bot damit ein außergewöhnliches Erlebnis für die Ohren und die Augen, das zum Weiterdenken anregte.

Gerald Futscher ist für seine einesteils mikrotonalen, streng kontrapunktisch angelegten Werke bekannt, die bis ins kleinste Detail ausnotiert sind und fein ziseliert die musikalischen Linien in ornamentale Verästelungen führen. Andernteils hat er eine ausgeprägte theatralische Ader. Vor einigen Jahren hat er zahlreiche Werke mit aktionistischem Touch komponiert. In seinem neuesten Werk „matière inusitée“ besann er sich wieder darauf und betraute den Trompeter mit einer zusätzlichen Aufgabe. Roché Jenny schlug am Mundstück der Trompete rohe Eier auf, ließ deren Inhalt durch das Instrument fließen und prustete geräuschvoll die Eigelb- und Eiweißmasse in ein Aquarium. Dort vermischte sich die „Nährlösung“ in Arabesken mit dem klaren Wasser. Man könnte diese Aktion, die die gesamte Einleitung des Werkes andauerte, als Jux missverstehen, der die Aufmerksamkeit der Zuhörenden vom musikalischen Geschehen ablenkt. Doch deutet der Titel des Werkes auf ein Gedicht von Michel Houellebecq hin und verweist auf tieferliegende Überlegungen, die „ungewöhnliches Material“ sowie Gegensätze zueinander in Beziehung stellen und werkbestimmend waren. Die Kontrapunkte zwischen den Streichern (Michaela Girardi, Violine; Guy Speyers, Viola; Jessica Kuhn (Violoncello) und den dazu korrespondierenden Bläsern (Anja Nowotny-Baldauf, Flöte; Hauke Kohlmorgen, Klarinette) und die Trompetenlinie ergaben einen dichten musikalischen Fluss. Doch dieser wurde durch zahlreiche, zuwiderlaufende Spielanweisung oftmals irritiert. Die musikalische Sonderrolle der Trompetenstimme lag auch darin, dass sie oft am Höhepunkt einer Kantilene im Wasser gespielt wurde und somit gurgelnd „absoff“.
Vieldeutig legte Gerald Futscher sein neuestes Werk an, das vom Ensemble Plus unter der Leitung von Thomas Gertner hervorragend interpretiert wurde.

Das Klangspektrum fantasievoll erweitert

Werke des britischen Komponisten Brian Ferneyhough sind hierzulande sehr selten zu hören. Die Flötistin Anja Nowotny-Baldauf stellte sich der Herausforderung und interpretierte das Solowerk „Cassandra’s Dream Song“, komponiert 1970. Die beiden frei kombinierbaren Abschnitte formte sie mit vielgestaltigen Tonqualitäten aus, die von Schwebungen über Trillermotive bis hin zur Flatterzunge führten und zahlreiche mikrotonale Schattierungen beinhalteten.
Mit Helmut Lachenmanns „Pression“, komponiert 1969, präsentierte Jessica Kuhn ein Solo für Violoncello, in dem der Komponist mit variantenreichen Spieltechniken das Klangspektrum des Instruments ausweitete. Selbstverständlich war auch diesem Werk das Alter anzumerken, doch dies minderte das Hörerlebnis nicht. Dieses wurde nämlich durch das optische Mitverfolgen der Tonerzeugung sehr bereichert.
Einen guten Einstieg in das dichte Konzertprogramm bot das Ensemble Plus mit dem Sextett „Ecstatic Science“ der amerikanischen Komponistin Missy Mazzoli. Die auf Bewegungen und Verdichtungen angelegte Musik beruhte auf einem strengen Unterbau und verströmte eine gut nachvollziehbare musikalische Energie.