Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Silvia Thurner · 06. Jul 2010 · Musik

Wenig belebte, aber vielfältige und niveauvolle Szene der Neuen Musik in Vorarlberg - das „ensemble plus“ gewährte Einblicke, die leider viel zu selten stattfinden

Ein Konzert mit Werken von ausschließlich Vorarlberger Komponisten spielte das Ensemble Plus im „Kleinen Haus“ des Bregenzer Kornmarkttheaters. Der musikalische Gesamteindruck des aufschlussreichen Abends war sehr positiv. Die individuellsten Werkideen kamen von Gerald Futscher und Gerold Amann. Andere Wirkzusammenhänge erkundeten Georg Furxer und Lucas Dietrich und ein musikalisch ausbalanciertes Werk offerierte Peter Engl.

Im Jänner präsentierte das „ensemble plus“ dieses Programm im Rahmen einer Werkschau über zeitgenössische Vorarlberger Komponisten im Kornspeicher in Wels und stieß dort auf Zustimmung. Rund um den Ensembleleiter Andreas Ticozzi (Bratsche) musizierten Emil Scheibenreif und Markus Beer (Klarinette), Monika Grabowska und Anita Martinek (Violine), Jessica Kuhn (Violoncello), Dominik Neunteufel (Kontrabass) und Ingvo Clauder (Electronic sounds) engagiert und auf hohem musikalischem Niveau. Sämtliche Werke interpretierten sie im Kontakt miteinander und ausgeglichenen Stimmverläufen.

Die Fliege

Gerald Futscher komponierte „La Mosca“ anlässlich einer Besichtigung der neu eröffneten Pathologischen Abteilung des Landeskrankenhauses Feldkirch. Die Fliege (la mosca) setzte er dabei als Sinnbild der oft verdrängten, weniger appetitlichen Wirklichkeit des Vergehens ein. Das aussagekräftige Werk wurde dem Bratschisten Andreas Ticozzi auf den Leib geschrieben. Er hat es schon einige Male, auch bei Konzertreisen, erfolgreich gespielt. Mit dem Wissen um den Entstehungszusammenhang strahlte die Komposition eine eigentümlich beklemmende und gleichzeitig gelassen zeitlose Wirkung aus. Die zugespielten realistischen Sounds einer surrenden Fliege in Verbindung mit den ruhigen Entwicklungsströmen des Soloinstruments zogen die Zuhörenden in ihren Bann.

Gibbons

In den vergangenen Jahren hat sich Gerold Amann mit so genannten „Klangfossilien“ sowie dem Zusammenwirken von Tierlauten an der Schnittstelle zwischen menschlichen und musikalischen Ton- und Klanggebilden beschäftigt. Sein besonderes Interesse haben dabei die Gesänge der Gibbons geweckt. Aus originalen, verlangsamten Sounds hat er ein Streichquartett geschaffen, das Zwiegespräche in unterschiedlichen Formen aufzeigt. Besonders die Lautstärkenverhältnisse und die unterschiedlichen Konstellationen der stimmführenden Instrumente entfalteten gut nachvollziehbare musikalische Dialoge, die eine große emotionale Bandbreite eröffneten und viele Assoziationen ermöglichten. Im Laufe der einzelnen Sätze wurden die ZuhörerInnen für kleine Floskeln und Veränderungen sensibilisiert, die einen großen musikalischen Sprachcharakter einnahmen.

Spiele

Anlässlich der Konzertreise nach Wels erhielten die Komponisten Georg Furxer und Lucas Dietrich sowie Peter Engl Kompositionsaufträge. Mit Spannung wurden die neuen Werke erwartet. Am Beginn spielte das Ensemble „Game IV“ für zwei Klarinetten, Streichquintett und große Trommel von Georg Furxer. Der in Berlin lebende Komponist formte mit einem durchgehenden Liegeton im Kontrabass sowie durchlaufenden regelmäßigen Trommelschlägen eine horizontale Zeitachse, entlang der unterschiedliche musikalische Ereignisse gesetzt wurden. Diese kurzen Gebilde ermöglichten ein Wechselspiel zwischen den Klangfarbengruppen der Bläser und Streicher. Kurzweilig konnte man dem klar strukturierten Verlauf folgen. Allerdings driftete die Musik mit der Zeit in filmmusikähnliche Tonmuster mit eher künstlich wirkenden Streichertremoli ab.

Veränderungen

Lucas Dietrich stellte der traditionellen Streichquintettbesetzung Computermusik gegenüber und lotete Möglichkeiten der Ergänzung beziehungsweise einer gegenseitigen Durchdringung dieser beiden musikalischen Gattungen aus. Der Titel „Parallaxen“ brachte teilweise die Intentionen des Komponisten zum Ausdruck, in dem es um Perspektivenwechsel, Veränderungen und Abweichungen aufgrund von geänderten musikalischen Blickwinkeln ging. Zuerst wirkte die Komposition eher studienhaft. Vor allem die Computersounds brachten wenig künstlerische Intuition zum Ausdruck, deshalb blieben die Verbindungen zwischen den Streichern und dem Computer unklar. Im Laufe der zahlreichen kurzen gedanklichen Abrisse, die das Werk gliederten, wurde der musikalische Verlauf sowohl von Seiten der Streicher als auch von Seiten der elektronischen Sounds jedoch tragfähig und präsent.

Zeitlos

Abschließend spielte das „ensemble plus“ unter der Leitung von Thomas Gertner das mitteilsame Werk „zeitlos“ von Peter Engl. Die beiden Klarinettisten spielten ihre virtuosen Soloparts stilsicher. Ergänzt durch den satten Streicherklang wurde eine fast orchestrale Klangfülle entfaltet. Ein wiegender Klangteppich, der als Rahmen diente, führte die ZuhörerInnen in die musikalische Geschichte ein. Darin entwickelten die Musiker Abschnitte mit teilweise modal gefärbten melodischen Gedanken und rhythmisch tänzerischem Duktus. Kommunizierende und widerstreitende Motive sowie Rollentausch der Stimmgruppen ließen individuelle Erlebnisfreiräume offen. Das abschließende „fade out“ verstärkte die träumerische Erzählstruktur.