Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 21. Jun 2010 · Musik

Die Legende lebt! Wenigstens eine Halbzeit lang. Bob Dylans Dornbirn-Konzert hinterließ gemischte Gefühle

Googelt man „Bob Dylan“, so dauert es genau 0,08 Sekunden bis 17.300.000 Einträge gefunden sind. Was sollte man also über diesen Mann noch schreiben, das nicht schon tausendmal geschrieben wurde? Okay, googelt man „Bob Dylan + Dornbirn“ reduzieren sich die Einträge gleich einmal auf gute 19.000 Stück – da kann einer mehr auch nicht schaden. Das dürfte sich auch Bob Dylan denken, wenn er Auftritt an Auftritt reiht in seiner „Never Ending Tour“, die er 1988 startete. Rund 100 Tage im Jahre steht er seither auf der Bühne, so auch in der Dornbirner Messehalle, die gerammelt voll ist mit Fans aller Altersklassen – wobei die grauen Panther offensichtlich in der Überzahl sind.

Lauer Anfang ...

Das Konzert startet mit einer rockigen Variante von „Leopard-Skin Pill-Box Hat“, das erstmals auf dem legendären 1966-er Album „Blonde on Blonde“ zu finden ist. Darauf folgt der Klassiker „Don’t think Twice, It’s All Right“, der fast schon 50 Jahr auf dem Buckel hat – in derselben Altersklasse bewegen sich „Just Like Tom Thumb’s Blues“ und „Just Like A Woman“, bei dem die ersten Fans zaghaft den Refrain mitsingen.
Dylan bemüht sich also wohl, gleich einmal die Erwartungen der betagteren Fans zu erfüllen, wobei trotzdem nicht wirklich Stimmung aufkommen will. Nicht selten fragt man sich, wie fünf vermutlich doch einigermaßen begabte Soundköche auf der Bühne so ein dünnes Süppchen köcheln können.
Bei „High Water (For Charley Patton)“, das Dylan auf seinem erfolgreichen 2001-er Album „Love and Theft“ veröffentlich hatte und das über weite Strecken das einzige neuere Stück ist, nimmt das Konzert merklich an Fahrt auf. Bob singt und presst die legendären schrägen Töne aus seiner Mundharmonika – ein schönes Stück Desert-Rock, das erstmals heftigeren Applaus erntet. Aber der darauf folgende Klassiker „Desolation Row“ animiert wieder zum Gähnen. Rasch wird klar, dass Dylans Einfallslosigkeit an den Keyboards für Langeweile garantiert und sich dann auch der Rest der Band nicht mehr wirklich zu helfen weiß. Auch die etwas eigentümliche Haltung des Gitarristen, der immer wieder in die Knie geht und dann bücklings in Richtung Meister watschelt, wirft Fragen auf: "Hat er’s im Kreuz? Ist es eine Unterwerfungsgeste? Oder gar schon Altersschwäche?"
Dumme Gedanken dieser Art wurden auch ob der Interpretationen von „Ballad of Hollis Brown“ und „The Lonesome Death of Hattie Carroll“, beide aus den frühen 60er Jahren, nicht verscheucht. Ebenso wenig bei „Honest With Me“, einem rockigen Stück, mit wenig Tiefgang interpretiert.

... kräftiges Finale

Schon wollte man alle Hoffnung fahren lassen, als das zehnte Stück des Abends „If You Ever Go To Houston“ vom – wenn man von den „Christmas Songs“ einmal absieht – neuesten Album „Together Through Life“ wieder einmal so richtig aufhören lässt. Das Light-Design wird plötzlich wirkungsvoller eingesetzt und der Sound bedeutend dichter. Der Klassiker „Highway 61 Revisited“, Titelstück von Bob Dylans sechstem Studioalbum aus dem Jahr 1965, gerät zum absoluten Aufwecker. Der Drummer entwickelt dank eines unerwarteten Vitalitätsschubes einen enormen Drive und peitscht die Band zu einem rockigen Höhenflug. In wunderbarem Gegensatz dazu steht die darauffolgende Ballade „Workingman’s Blues  #2“, ein Prachtstück vom äußerst gelungen 2006-er Album „Modern Times“. Schlagartig gehen sieben oder acht Feuerzeuge in die Höhe, es hätte sich mehr verdient, denn es war gut gespielt und von Dylan ausdrucksvoll ins Mikrophon gesprechsingt. Herrgott noch mal, wenn man die Raucher schon mal brauchen könnte, sind keine da!
Bei „Thunder On The Mountain“ geben Dylan & Co wieder so richtig Gas und lassen nichts anbrennen. Beim letzten Stück des regulären Programmes, der vor 45 Jahren geschriebenen „Ballad Of A Thin Man“, machen sie dann alles klar. Die Szenerie wird diabolisch von unten her beleuchtet, der in ein texanisches Outfit gewandete Dylan wirft einen dünnen langen Schatten an die Wand und die Gitarren beginnen teuflisch scharf zu kreischen. Rasch werden nochmals alle Gedanken hinsichtlich vermeintlicher Altersschwäche der Protagonisten hinterfragt. Hat er uns alle hinters Licht geführt, dieser teuflisch geniale Songschmied? Folgte dieses Konzert einer ausgeklügelten Dramaturgie mit einer bewussten Steigerung in der zweiten Hälfte, damit der unerwartet brillante Abschluss erst so richtig verblüfft? Oder brauchte der 69-jährige Bob Dylan und seine Crew wirklich so eine lange Aufwärmphase? Zuzutrauen ist ihm jedenfalls prinzipiell alles!
Als Zugaben bringt Dylan dann zwei Songs, die an diesem Abend wirken, als ob sie autobiographischen Charakter hätten – „Like A Rolling Stone“ und „Forever Young“. Letzteres knurrt der Welt begnadetster Nicht-Sänger dann nur noch ins Mikro, aber zu diesem Zeitpunkt habe ich ihm schon alles verziehen!