"Un métier sérieux - Ein richtig guter Job" in der Kinothek Lustenau (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 01. Aug 2010 · Musik

Weinbergs satirische Oper „Das Portrait“ bei den Bregenzer Festspielen - Ein doppelbödiges Sittenbild von zeitloser Gültigkeit

Das hat man an diesem Ort noch nicht erlebt. Vor dem Theater am Kornmarkt stauen sich Samstagabend die Massen. Etliche Leute halten Täfelchen in der Hand „Suche Karten!“, so wie in Bayreuth oder Salzburg - hier aber für ein unbekanntes Stück, von dem man bis vor kurzem nicht einmal den Namen des Komponisten kannte. Das Weinberg-Fieber scheint um sich zu greifen.

Er war schon ein Tausendsassa, dieser Mieczyslaw Weinberg (1919 – 1996), bei dem die Bregenzer Festspiele zehn Tage nach der sensationell aufgenommenen Eröffnungsoper „Die Passagierin“ mit einer weiteren Musiktheaterproduktion als absolut lohnenswerter Entdeckung fündig geworden sind, wenn auch nicht in solchen Dimensionen. Die satirische Oper „Das Portrait“ des polnisch-russischen Komponisten, die als westliche und österreichische Erstaufführung Premiere hatte, erweist sich auf Anhieb als amüsant kurzweiliges, manchmal auch überzogenes Sittenbild von zeitloser Gültigkeit. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.

Eigene Situation in klassischem Gewand verarbeitet

Das Werk basiert auf einer Novelle von Nikolai Gogol, dem russischen Dichter ukrainischer Abstammung aus dem 19. Jahrhundert, die im feudalen St. Petersburg  spielt. Angesichts der vorangegangenen Verbote seiner politischen Stücke hielt sich Weinberg damit an ein weit unverfänglicheres, klassisches Thema, nicht ohne jedoch gewissermaßen zwischen den Notenzeilen auf seine eigene triste Situation in der Gesellschaft, seine Furcht vor Parteidiktat und Verbannung hinzuweisen. Denn wie viele seiner Künstlerkollegen war auch er gezwungen, im erbarmungslosen Klima der damaligen Sowjetunion Kompromisse zwischen künstlerischem Selbstverrat und nacktem Überleben einzugehen. 
Die Geschichte: Der talentierte, aber erfolglose Maler Tschartkow wird mit Hilfe eines geheimnisvollen Portraits zum gefeierten Societykünstler. Er malt die Reichen, die Schönen und weniger Schönen der Stadt, die ihn alle umschwärmen. Als er jedoch erkennt, dass er sein Talent verkauft und damit die eigentliche Kunst verraten hat, zieht er radikale Konsequenzen.

Spiegelwand als Projektionsfläche

Der britische Regisseur John Fulljames, dem das Festspielpublikum vor wenigen Jahren beim Werk „The Shops“ begegnet ist, belässt die Geschichte im 19. Jahrhundert. Gemeinsam mit Bühnenbildner Dick Bird greift er zu einem alten Theaterclou, dem Spiegel, genau einer halbblinden, drehbaren Spiegelwand, die der verkommenen Gesellschaft permanent vorgehalten wird und die zugleich auch als Projektionsfläche für genial getimte und gestaltete Videos (Finn Ross) dient. Und damit dem Geschehen eine schwankende Doppelbödigkeit verleiht. Auf dieser Grundlage entsteht eine dichte Handlungsabfolge von zunehmender Spannung, die in einer turbulenten Szene gipfelt, in der jeder der Protagonisten der Gesellschaft sich mit seinen besonderen Eigenschaften in einem Bild des Künstlers verewigt haben will. Das ist nun hart an der Grenze zum Klamauk, zeigt andererseits in der gekonnten Persiflierung und liebevollen Charakterzeichnung der einzelnen Figuren auch schonunglos deren wahre Persönlichkeit auf.

Verblüffend aktuelle filmmusikartige Collage
 
Weinberg findet in diesem Spätwerk von 1980 zu einer verblüffend aktuellen filmmusikartigen Collage, die die geheimnisvoll zauberischen Elemente der Bühne oft in einen sehr subtil und gekonnt instrumentierten Klangzauber verwandelt. Das fließt alles logisch und wie von selbst. Dazu wird das Bühnengeschehen konsequent leitmotivisch kommentiert. Weinberg geht sogar so weit, dass er Richard Wagners Erfindung genial weiter entwickelt und diese gut wiedererkennbaren Leitmotive für bestimmte Personen mit dem Fortgang der Handlung auch verändert.
Das personalintensive Stück kann überhaupt nur mit Hilfe von Multitalenten bewältigt werden. Rekordhalter ist der österreichische Bariton Claudio Otelli, der an diesem Abend brillant nicht weniger als sechs verschiedene Rollen bewältigt, vom Journalisten bis zum Geldverleiher. In der Riesenpartie des Tschartkow der britische Tenor Peter Hoare, glänzend in seiner schauspielerischen und stimmlichen Präsenz, seiner Wandlungsfähigkeit und Aussagekraft, gefolgt von seinem Landsmann, dem stimmkräftigen Bariton David Stout als Diener. Eine berührende Studie gibt der betagte deutsche Tenor Ernst-Dieter Suttheimer als Laternenanzünder. Eine sehr von Männern dominierte Gesellschaft also, damals im alten Russland, die Frauen stehen in der zweiten Reihe. Gesungen wird auf Deutsch und gut verständlich.
Die musikalische Leitung liegt bei dem jungen Bulgaren Rossen Gergov, den man von der heurigen Eröffnung kennt, in sicheren Händen, nur sein Hang zu überdimensionierter Lautstärke wäre etwas einzubremsen. Das Symphonieorchester Vorarlberg gestaltet die vielen Klangmischungen zwischen transzendent und knallig mit großer Spielfreude, nicht alles will freilich auf Anhieb gelingen.