Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 01. Aug 2010 · Musik

Chor-Orchesterwerke von Mieczyslaw Weinberg bei den Bregenzer Festspielen - Musik, die auch Völker verbindende Botschaften transportiert

Die Weinberg-Schiene bei den Bregenzer Festspielen wird immer intensiver. Bei der zweiten Orchestermatinee der Wiener Symphoniker am Sonntag, wieder unter ihrem ehemaligen Chefdirigenten Vladimir Fedoseyev, gab es mit dem Requiem und der Symphonie Nr. 6 ausschließlich zwei groß disponierte und groß besetzte Chor-Orchesterwerke des polnisch-russischen Komponisten. Beide sind Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden, beide geprägt auch von seinen schicksalhaften Erinnerungen an Kriegsereignisse. Fast zu viel an bedrückenden Emotionen für einen sonnigen Sonntagvormittag.

Dennoch: Das ausverkaufte Festspielhaus wird in diesen knapp zweieinhalb Stunden belohnt mit einer Fülle von Eindrücken und Klangerlebnissen, die sich nur schwer in Worte fassen lassen. Da steht am Beginn Weinbergs Requiem, in dem er wie früher Beethoven oder Mahler die menschliche Stimme in Form einer Solistin und zweier Chöre als zusätzlichen Effekt in ein symphonisches Werk einbezogen hat. Damit stehen insgesamt an die 200 Mitwirkende auf der Bühne, zelebrieren voll Inbrunst und Konzentration dieses opulente einstündige Werk, das sich so gar nicht mit dem bei uns landläufigen Begriff eines Requiems in Einklang bringen lassen will.

Universeller Aufruf gegen Krieg und Unterdrückung

Das Stück ist am ehesten noch vergleichbar mit Benjamin Brittens „War Requiem“, in unglaublich fantasievoller musikalischer Ausdeutung mit vielen exponierten Instrumentalsoli wie Celesta, Cembalo, Mandoline oder Kontrabass komponiert, dazu natürlich als Werk der Sowjetära ganz ohne jeden liturgischen Bezug und dennoch voll tiefgründiger Emotionen. Der Glaube an Gott und an die Auferstehung wird durch Unterwürfigkeit vor der Partei ersetzt, Kriegsgetümmel ist hier auch verantwortlich für die angerichteten Gräuel an der Natur. Dafür verwendet Weinberg Dichtungen bekannter Autoren wie Federico Garcia Lorca und einen eigenen Text als Erinnerung an sein Leben in der Tyrannei, an das Kriegsleid von Millionen von Menschen, der zum universellen Aufruf gegen Krieg und Unterdrückung wird.

Beeindruckende Wiener Sängerknaben, hoch konzentrierte Symphoniker

Die erstmalige Begegnung mit den Wiener Sängerknaben bei diesem Festival gerät  zum anrührenden Ereignis. Anstelle der Verzuckerung von Strauß-Melodien, die man ihnen sonst gerne nachsagt, zeigen sich die 31 Buben in ihren traditionellen weißen Matrosenanzügen hier den ungewohnt anspruchsvollen Partien Weinbergs als perfekt studierter Knabenchor durchaus gewachsen (Leitung Gerald Wirth), noch dazu alles auf russisch! Wie diese jungen Sänger mit ihren hellen Stimmen ungemein diszipliniert, in kontrollierter Emotion und klar die kindliche Friedensbitte nach Michail Dudin vortragen, gehört zu den bleibenden Eindrücken dieses Festspielsommers.
Dirigent Vladimir Fedoseyev ist diesmal weit besser in Form als zuletzt, zeigt sich eng mit dem Werk seines Freundes Weinberg verbunden und lässt es zusammen mit den entdeckungsfreudigen und hoch konzentriert aufspielenden Symphonikern in seiner herben Schönheit und Klangsinnlichkeit als komplexes Ganzes erstehen. Der Prager Philharmonische Chor (Leitung Lukás Vasilek) singt seine in extremen Intervallsprüngen fordernden Partien außergewöhnlich präsent, atmosphärisch dicht und differenziert, die russisch-griechische Sopranistin Elena Kelessidi setzt dazu voller Innigkeit dunkel leuchtende Glanzpunkte.

Von bewusst harten Dissonanzen zu einem strahlend hoffnungsvollen Finale

Weinbergs Symphonie Nr. 6 im zweiten Teil zählt zweifellos zu seinen herausragenden symphonischen Werken, meisterlich gearbeitet in polyphoner Stimmführung, konsequent eigenständiger Tonsprache und gewaltiger Ausdrucksskala. Allein das wild auffahrende Scherzo im Fahrwasser seines Mentors Schostakowitsch ist ein Vorzeigestück für die in messerscharfer Präzision agierenden Symphoniker mit einem entfesselten Dirigenten. Man spürt: Mit Weinberg hat sich hier einer auch in bewusst harten Dissonanzen seine Enttäuschung über Kriegswirren von der Seele geschrieben. Krieg klingt nun einmal nicht schön, ebenso wenig wie das Lied des jüdischen Dichters Schmuel Halkin von den ermordeten Kindern, dem die Sängerknaben erneut berührende Gestalt geben. Weinberg findet freilich, möglicherweise unter politischem Zwang, auch zu einem strahlend hoffnungsvollen, friedfertigen Finale als Völker verbindende Botschaft, die am Ende dieses Vormittags bei den Zuhörern hängen bleibt.
Nicht ganz klar wird am Ende, warum die Festspiele die ursprüngliche Reihenfolge des Programms geändert und das zweifellos stärkere Requiem an den Beginn gestellt haben. Im zweiten Teil hätte das Werk sicher noch eine Steigerung bedeutet. Jedenfalls mündet am Schluss die Ergriffenheit des Publikums in herzlichen Beifall.