„Sehnsucht nach der Welt – L‘Amour du Monde" derzeit im FKC Filmclub Dornbirn © Mindjazz Pictures
Silvia Thurner · 01. Aug 2022 · Musik

Wasser als Sinnbild musikalischer Energie und Erlebnistiefe – Standing Ovations für den großartigen Jugendchor Österreich unter der Leitung von Benjamin Lack

Als Präsident des Jugendchores Österreich luden Oskar Egle und der Chorverband Vorarlberg 42 Sänger:innen aus den Bundesländern und dem Südtirol nach St. Arbogast. Dort probten die jungen Erwachsenen eine Woche lang ein anspruchsvolles Konzertprogramm und gaben zum Abschluss zwei mitreißende Konzerte. Bis auf den letzten Platz war die Bregenzer Pfarrkirche St. Gallus besetzt. Staunend und konzentriert erlebten die Zuhörenden ein chorisches Klangerlebnis, das niemanden unberührt ließ. Das Wasser als vielstimmige Metapher stand im Zentrum der Uraufführung von „Quiet Water“ von Thomas Thurnher sowie in weiteren Kompositionen von Ola Gjeilo, Eric Whitacre, Ēriks Ešenvalds, Palestrina und Schütz. Unter der Leitung von Benjamin Lack entfaltete der Jugendchor Österreich alle Werke klanglich wunderbar austariert, intonationssicher und voller Elan.

Bereits der Einzug der Chorsänger:innen, von hinten kommend zum Altarraum, machte klar, dass hier ein besonderes Musikereignis stattfinden wird. Mit eindrucksvollem Obertongesang hüllte der Jugendchor den sakralen Raum und die Zuhörenden in eine beeindruckende Klangwolke. So wurden die Ohren eingestimmt auf die Psalmvertonung „Super flumina Babylonis“ von Giovanni Perluigi Pelestrina. Der ausgeglichene Gesamtklang des Chores bewirkte einen fließenden Duktus und eine klare Harmonik, die die polyphon ineinander geführten Stimmen transparent zur Geltung brachte. Die prägnante Diktion der Chorsänger:innen verlieh Heinrich Schütz' „An den Wassern zu Babel“ (SWV 37) einen Bewegungsfluss, der die Textrhythmik plastisch in den Vordergrund stellte.
Nach den Meistern der Renaissance und des Frühbarock vollzogen die Sänger:innen und Benjamin Lack einen Zeitsprung in die Gegenwart. In einem organischen Zusammenwirken durchschritt der Chor in Eric Whitacres „Water Night“ einen großen Tonraum. Insbesondere die Tenor- und Sopranstimmen entfalteten sich intonationssicher und weich.
„Quiet Water“ nannte Thomas Thurnher sein neuestes Werk, das er speziell für das Projekt des Jugendchores Österreich komponiert hat. Dem 6-stimmigen Satz legte der Dornbirner Komponist das Gedicht „The Mirror“ von Alan A. Milne zugrunde. Das aussagekräftige Werk erklang feingliedrig verwoben und facettenreich in vielen Klang- und Vokalfarben schillernd. Die melodisch ausgeformten und geschichteten Floskeln bildeten eine gut nachvollziehbare Klangoberfläche und einen flächigen Unterbau, von dem die Frauenstimmen getragen wurden.
In „Nunc dimittis“ des lettischen Komponisten Ēriks Ešenvalds formten die Sänger:innen die Wechselverhältnisse zwischen solistischen Sopranstimmen und dem Tuttiklang eindrucksvoll aus.
Eine wunderbare Ruheinsel innerhalb der expressiven Chorwerke boten Rahel Neyer und Alma Hiptmair (Violine), Fridolin Schöbi (Viola) und Kilian Erhard (Violoncello) mit dem langsamen Satz für Streichquartett von Anton Webern. Die jungen Musiker:innen spielten die lyrischen Themen mit einer fein nuancierten Tongebung und Pianokultur, die von der Akustik schön getragen wurde.

Ausdrucksstarke Lebendigkeit

Mit drei Werken tauchte der Jugendchor Österreich in die Musik des norwegischen Komponisten Ola Gjeilo ein. Emotional ausgedeutet erklang das Werk „Dark Night of the Soul“, in dem eine sehnsuchtsvolle Erwartungshaltung aufgebaut wurde. Besonders in dieser Komposition sowie im Kyrie „The Spheres“ und in „Pleni sunt coeli“ war miterlebbar, wie einzelne Stimmen und Stimmgruppen, die im Chor zu einem gut austarierten musikalischen Ganzen zusammengeführten werden, eine mitreißende Sogwirkung entfalten kann.
Die Kompositionsart von Ola Gjeilo beinhaltet alles, was ein wirkmächtiges Werk garantiert. „Dark Night of the Soul“ wurde mit einem minimalistisch pulsierenden Klangteppich eingeleitet, unterstützt von Klavier (Martin Gallez) und Streichquartett. Bewegungsenergien setzte der Chor mit ausgeprägten dynamischen Phrasierungen in Szene. An gregorianische Choräle erinnernde Passagen und flutend sich auftürmende Klangsäulen, die an Carl Orff denken ließen, stellte der Jugendchor Österreich beeindruckend in den sakralen Raum. In einem schönen Flow entfaltete sich jeder und jede einzelne der Sänger:innen.
Gebannt zuhörend erlebte das Publikum Gjeilos Kyrie „The Spheres“. Die Umkehrungen der melodischen Linien und die dadurch ausgelösten Bewegungslinien ergaben ein polyphones Klanggewebe, das schließlich in einem Unisono mündete, das aufhorchen ließ. „The Ground“ nach dem lateinischen Messtext „Pleni sunt coeli“ entfaltete der Chor als eindringliches musikalisches Gebet. Unter anderem traten die harmonischen Aufhellungen im abschließenden „Donna nobis pacem“ textdeutend in den Klangvordergrund.