Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Michael Löbl · 01. Aug 2022 · Musik

Bregenzer Festspiele - der österreichische Tenor Andreas Schager glänzt im zweiten Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker als Siegfried in Richard Wagners gleichnamiger Oper

Andreas Schager ist ein Ereignis. Wer immer Wagner-Gesang mag, sollte sich einen Liveauftritt dieses Künstlers nicht entgehen lassen. Ein geborener Heldentenor, schlank, sympathisch, gutaussehend. Die Stimme mit 80% Metall und 20% lyrischem Schmelz ist eine perfekte Cuvée für dieses Repertoire. Seine Interpretation klingt vollkommen mühelos, mit enormer dynamischer Bandbreite, wortdeutlich, alles sitzt: Höhe, Tiefe, Mittellage - nie sieht es nach Arbeit oder Anstrengung aus. Man hat den Eindruck die Stimme macht in jedem Augenblick genau das, was Andreas Schager von ihr will. Und er will viel, zum Beispiel sich auch im Forte vom Orchester nicht übertönen zu lassen. Auch schauspielerisch stellt er seine Kollegen in den Schatten, Schager "spielt" Wagner. Durch seine stimmliche Überlegenheit hat er genügend Potenzial, um jede musikalische Wendung körperlich und mimisch zu illustrieren. Für einige Zuschauer war das fast schon zu viel des Guten ("Gestik wie in einer Operette"), aber vermutlich kann er gar nicht anders, Andreas Schager hat den Siegfried zu "seiner" Figur gemacht. Ab 3. August wird er diese Rolle im Rahmen der neuen "Ring"-Inszenierung in Bayreuth verkörpern.

Die Opernwelt (Intendanten, Dirigenten, Opernliebhaber) hofft natürlich, dass dieser Sänger genau weiß was er tun muss, um seiner Stimme ein langes Leben auf der Bühne zu ermöglichen. In Bregenz war es ja "nur" der dritte Akt Siegfried, aber in den letzten 20 Minuten gab es dann doch ein paar Probleme vor allem bei exponierten, hohen Tönen. Wer ein Sängerleben mit Wagner verbringt, sollte seine Stimmbänder wie ziemlich beste Freunde behandeln...

Ein Abgang mit Folgen

Siegfried war bereits der dritte konzertante Ausschnitt aus Richard Wagners "Ring des Nibelungen" bei den Bregenzer Festspielen: 2017 - Erster Akt Walküre, Dirigent Philippe Jordan (mit Andreas Schager als Siegmund!), 2021 - Das Rheingold komplett und halbszenisch unter Andrés Orozco-Estrada, nun also der dritte Akt Siegfried. Auch dieses Konzert hätte ursprünglich Orozco-Estrada dirigieren sollen. Er hat sich aber im April von einem Tag auf den anderen als Chefdirigent der Wiener Symphoniker verabschiedet, schwerstens beleidigt, weil das Orchester seinen Vertrag nicht über 2025 (!) hinaus verlängern wollte. Vielleicht war ja die Idee, über 200.000 Euro Corona-Verdienstentgang beim österreichischen Staat zu beantragen und auch noch einzukassieren, doch nicht bis zu Ende durchgedacht. Man kann das schon machen, nur wenn es dann in allen Zeitungen steht, ist es halt bald einmal vorbei mit dem positiven Image. Jedenfalls dürfte sich Andrés Orozco-Estrada, der im Oktober eine Professur für Orchesterdirigieren an der Musikuni Wien antritt, gerade sehr frei fühlen. War der 44-Jährige in der Spielzeit 2020/21 noch Chef dreier Spitzenorchester in Houston, Frankfurt und Wien, so leitet er aktuell nur noch das Jugendorchester Filarmónica Joven de Colombia.

Eine Dirigentin auf dem Weg an die Weltspitze

Mit seiner spontanen und etwas kindischen Aktion hat Orozco-Estrada einiges durcheinandergewirbelt, Intendanz und Orchesterbüro der Wiener Symphoniker sind zur Zeit wirklich nicht zu beneiden. Für fast hundert Termine in den nächsten Jahren muss jetzt ein Ersatz gefunden werden, Druckwerke wandern direkt in den Container und auch die Projekte bei den Bregenzer Festspielen mussten neu besetzt werden. Das mit dem Ersatz für das zweite Orchesterkonzert hat jedenfalls bestens geklappt. Die aus New York stammende Karina Canellakis ist eine der international gefragtesten Dirigentinnen und hat mit den Symphonikern bereits mehrmals zusammengearbeitet, auch im Rahmen der Festspiele. Ein Glücksfall also.
Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, "Shooting Star" wäre für diese Musikerin genau der richtige. Vor 15 Jahren war sie als Geigerin Stipendiatin der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker, anschließend folgten ein Dirigierstudium an der Juilliard School in New York und 2016 der Erste Preis beim Georg-Solti-Wettbewerb. Spätestens seit dieser bedeutenden Auszeichnung ging es für Karina Canellakis raketenartig nach oben. Mittlerweile hat sie feste Stellen bei drei Orchestern (Holland, London, Berlin) und dirigiert alle bedeutenden Ensembles in den USA und in Europa.

Wiener Symphoniker in Topform

Karina Canellakis hat eine ungeheuer sympathische Ausstrahlung, verhält sich eher als Kollegin denn als Chefin des Orchesters, zeigt aber durch ihre körperbetonte, suggestive Schlagtechnik ganz genau, wohin die Reise geht. Große Opernerfahrung hat sie keine, und doch steuert sie die bestens disponierten Wiener Symphoniker souverän durch die komplizierte Siegfried-Partitur. Auch wegen der zahlreichen fabelhaften Einzelleistungen vor allem bei den Bläsern war das wirklich beeindruckend. Das gemeinsame Atmen mit den Bläsern, so dass auch heikle Piano-Akkorde perfekt ausbalanciert und zusammen erklingen, ist Canellakis Sache (noch) nicht. Darunter hatte die einleitende Beethovensche Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 ein wenig zu leiden. Ein überraschendes Bild boten die roten Orchesterkrawatten - möglicherweise ein zarter Hinweis auf die Finanzierung der Symphoniker durch das SPÖ-regierte Wien?

Luxusbesetzung für Richard Wagner

Wer gemeinsam mit Andreas Schager auf der Bühne steht, hat es naturgemäß schwer. So auch die weiteren Solisten, alle drei ausgewiesene Wagner-Interpreten mit mehrjähriger Bayreuth-Erfahrung. Ricarda Merbeth als Brünnhilde ist eine Luxusbesetzung mit ihrer perfekt timbrierten Stimme für große Wagner-Partien. Dafür ist sie berühmt und daher auch seit vielen Jahren in allen großen Opernhäusern weltweit zu hören. Geer Grimsley als Wotan in Gestalt des Wanderers hat eine wunderschön strömende Bassbaritonstimme und bildet mit seiner Ruhe einen willkommenen Kontrast zum fast schon hyperaktiven Siegfried. Nadine Weissmann als stimmgewaltige Erda ist in Bregenz keine Unbekannte: 2015 sang sie die Carmen in einer Produktion des Vorarlberger Landestheaters.
Rheingold, Walküre, Siegfried - kommt bereits nächstes Jahr die Götterdämmerung? Vielleicht schon unter einem neuen Chefdirigenten? Aber wie wir alle wissen, braucht man für Richard Wagner Zeit. Dasselbe gilt für die Suche nach einem perfekt passenden Dirigenten...