Von unterschiedlichen Standpunkten aus gesehen – Die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik forderten und überforderten
Der Samstagabend der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik offerierte mit einem sehr heterogenen Programm unterschiedliche kompositorische Stilrichtungen von Künstlern aus Amerika, Großbritannien, Deutschland und Russland. Werke von Jessie Marino, Marina Khorkova und Marek Poliks wurden erstmals aufgeführt und stellten an die Ausführungen sowie an die Zuhörenden enorme Ansprüche. Auf einem hohen Niveau präsentierten das Pariser „Ensemble Soundinitiative“ sowie die Musiker Christian Smith, Brian Archinal, Felix Del Tredici und Eva Zöllner die unterschiedlichen Kompositionen. Für die bei den btzm anwesenden Komponistinnen und Komponisten sowie Musikerinnen und Musiker fungierte das Festival wohl als eine Art Klanglabor. Jedoch war es für abendliche Konzertbesucher mitunter schwer, sich in die künstlerischen Gedankenwelten der Komponisten hineinzudenken.
Zahlreiche junge Komponistinnen und Komponisten waren bei den diesjährigen Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik dabei. Von den einen wurden Werke präsentiert, andere besuchten Meisterklassen bei Steven Takasugi und Pierluigi Billone. Am Samstagabend standen drei Uraufführungen auf dem Programm. Im Auftrag der btzm hat Jessie Marino die Performance „Discreet observations for your family’s peace of mind“ geschaffen. Während die Mitglieder des „Ensembles Soundinitiative“ in erster Linie als gestikulierende Schauspieler agierten und roboterartig zu perkussiven Mustern unterschiedliche Aktionen ausführten, wurden die technikkritischen Inhalte über die Videoleinwand transportiert. Als Medienkunstwerk und in Verbindung unterschiedlicher künstlerischer Sujets wie Video, Elektronik, Sprache und Musik mag die Arbeit einen wichtigen zeitkritischen Aspekt zum Ausdruck bringen. Doch in den Rahmen der Tage zeitgemäßer Musik fügte sich das Werk nicht so recht ein.
Aufstellungen und optische Deutung
Eingängig war das neue Werk von Marina Khorkova, das ebenfalls im Auftrag der btzm komponiert worden ist. In unterschiedlichen Aufstellungen spielten die Ensemblemitglieder flächige Klangmuster in verschiedenen Ausformungen. Teilweise entwickelten sich aus den Spaltklängen der Holzbläser, den Glissandi der Streicher, speziellen Spieltechniken auf der Gitarre und der Trommel sowie Stimmtechniken der Vokalistin anregende Klangereignisse. Die Aufmerksamkeit zogen unterschiedliche Konstellationen und Bewegungsverläufe auf sich. Eine zusätzliche Erfahrungsebene schuf ein Pantomime, der die energetischen Verläufe der driftenden Klangflächen optisch deutete.
Innen- und Außensicht
Am meisten ausgeprägt war der Unterschied des Erlebniswertes zwischen den Festivalteilnehmern und den abendlichen Konzertbesuchern bei der Uraufführung von Marek Poliks' „maw“, einem Projekt für zwei Schlagwerke, Akkordeon und Bassposaune mit Lichtinstallation, Videoprojektion und elektronischer Zuspielung. In der Galerie der Remise Bludenz hatte Marek Poliks ein Zelt postiert, das quasi als Raumschiff fungierte und den Musikern Raum für ihr Equipment bot. Auf die Außenhaut des Zeltes wurden rhythmisierte Farbverläufe projiziert. In einer etwa 40-minütigen Aufführung war ein dröhnendes Klangband zu hören, das fortlaufend in sich verändert und strukturiert wurde. Abschnittweise traten die Tieftöner in den Klangvordergrund, dann die schrillen Sinustöne. Vor allem in jenen Passagen, in denen die Lichtprojektion singnalartige, grelle Impulse aussendete, nahm die Performance eine physisch unangenehme Dimension an. Welchen Anteil die Elektronik im Verhältnis zu den live produzierten Schallereignissen einnahm, war „von außen“ nicht nachvollziehbar. Nicht zuletzt deshalb entwickelte sich die Performance nach der anfänglichen Neugierde rasch zu einer ermüdenden Geduldsprobe.
Freilich hatten jene, die sich als aktive Teilnehmer der Bludenzer Tage in einem Diskurs mit den Komponisten befanden, ganz andere Einblicke als jene, die sich als abendliche Konzertbesucher für neueste Entwicklungen des kompositorischen Schaffens junger Künstler interessierten. Aufgrund dieser Diskrepanz machte sich – zumindest bei mir - ein unbefriedigendes Gefühl breit. Der experimentelle Charakter eines Workshops mit öffentlichen Aufführungen stellt für KonzertbesucherInnen andere Ausgangsbedingungen dar als angekündigte Konzerte im traditionellen Sinn.
Moderne Kammermusik
„Molly’s Song 3 – Shades Of Crimson" für Bratsche, Gitarre und Altflöte hat Rebecca Saunders bereits Mitte der 90er-Jahre komponiert. Ihre typische Stilistik mit Spieluhren und fein nuancierten Tonlinien, die in mikrotonalen Verläufen zueinander in Beziehung gestellt werden, brachten die Musiker gut zum Ausdruck.
Eine besondere Aufführungspraxis zeichnete das Werk „rerendered“ für verstärktes Klavier und zwei Assistenten von Simon Steen-Andersen aus. Während der Pianist die Tasten bediente, korrespondierten die anderen beiden Spieler mit Klangereignissen aus dem Korpus des Flügels heraus. So entstand ein Trio, das spannende Klangcharakteristika und Entwicklungsverläufe zum Klingen brachte.