„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Silvia Thurner · 14. Feb 2019 · Musik

Vom Ende der Zeit – Standing ovations für Sandra Schmid, Joachim Tschann, Mathias Johansen und Yunus Kaya

Im Rahmen der Altacher Orgelsoireen gab es ein Konzert zu erleben, das wohl bei Vielen noch lange nachwirken wird. Sandra Schmid (Klarinette), Joachim Tschann (Violine), Mathias Johansen (Violoncello) und Yunus Kaya (Klavier) spielten eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts, Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“. Vom ersten Ton an führten sie die Zuhörenden in der gut besuchten Pfarrkirche Altach mitten hinein in einen musikalischen Kosmos, der seinesgleichen sucht. Aus vielen Gründen war diese musikalische Werkdeutung ein Hörerlebnis, das getrost in Superlativen beschrieben werden kann.

Olivier Messiaen hat sein „Quartett vom Ende der Zeit“ im Gefangenenlager Görlitz komponiert, im Jänner 1941 wurde das Werk von vier Mithäftlingen uraufgeführt. Allein dieses Wissen und noch dazu die Ausstellung in der Pfarrkirche mit Bildern, die in englischen Kriegsgefangenenlagern 1945 entstanden sind, lösten Beklemmung aus. Zugleich breitete sich im Raum eine konzentrierte Konzertatmosphäre aus.

Olivier Messiaen war ein religiöser Mensch. Sein „Quartett vom Ende der Zeit“ begründete er auf dem letzten Buch der Bibel, der „Geheimen Offenbarung des Johannes“. Allerdings setzte er in seinem Werk nicht apokalyptische Reiter und Endzeitstimmungen in Szene, sondern er schuf eine von Hoffnung und Zuversicht getragene Musik. Dafür verarbeitete er für die Kompositionsgeschichte bahnbrechende Mittel. Bis zu Messiaen hin wurde die Musik weitgehend zielgerichtet, auf einer fortlaufend sich entwickelnden Zeitachse komponiert. Dieses lineare Zeitempfinden hob Olivier Messiaen mit seiner individuellen Kompositionstechnik und den zugrunde gelegten Modi auf und etablierte eine zyklische Zeitwahrnehmung. Zusätzlich verwob er die Modi mit rhythmischen Mustern, die bis dahin ungehört waren.

Genau diese Merkmale bildeten die musikalischen Quintessenzen in der Interpretation von Sandra Schmid, Joachim Tschann, Mathias Johansen und Yunus Kaya. Alle spielten ihre Parts mit einer atemberaubenden Ruhe, so dass sich die großen Linien wunderbar aus dem Nichts erhoben und wieder dorthin zurückkehrten. Verbunden mit den nuancierten Klangfarbenspielen loteten sie Messiaens musikalische Musik feinsinnig und vielsagend aus.

Vielsagende Hörerlebnisse

Viel gäbe es über musikalische Qualitätsmerkmale in jedem einzelnen Satz zu berichten. Nur einige Anmerkungen sollen Einblicke in dieses herausragendes Konzerterlebnis bieten. Aus dem Pianissimo heraus verwoben die Musiker die suchenden Gesten im ersten Abschnitt. Den Rahmen des zweiten Teils, „Der Engel kündigt das Ende der Zeit an“ bildete eine impulsiv in den Raum gestellte Geste, in die kreisende Bewegungen eingeschrieben waren. Durch die schwebenden Tonschichten im Klavier waren diese transparent nachvollziehbar. Im zentralen Solopart der Klarinette, „Abgrund der Vögel“, spielte Sandra Schmid mit einem bewundernswert feinsinnigen Pianissimo und schuf mit ihrem warmen Ton einen Klangraum, in den die für Messiaen so typischen Vogelgesänge poesievoll eingeschrieben waren. Die ausdrucksstark entfaltete musikalische Perspektive verströmte eine große Symbolkraft. Energisch wirkte das virtuos im unisono vorgetragene Intermezzo. Danach breitete Mathias Johansen in seinem Cellopart die Kantilene „Jesus, der Ewige“ aus. Dabei erreichte er unter anderem mit unterschiedlichen Vibratogeschwindigkeiten Dichteverhältnisse und ergreifende musikalische Transformationen. Yunus Kaya agierte im Klanghintergrund, seine bedachte Anschlagskultur unterstrich den kristallin schwebenden Charakter hervorragend und löste Bewunderung aus. Den „Wütenden Tanz, die sieben Trompeten“ stellten die Musikerin und die Musiker mitreißend in den Raum. Ebenso erzielten die Musiker im „Regenbogengewimmel“ eine enorme Schubkraft. „Jesus, der Unsterbliche“ schloss mit Violine und Klavier den Werkzyklus feinsinnig und versöhnlich ab.

Unfassbar, dass dieses Werk in höchster existentieller Not entstanden ist, unter der zwingenden Frage. „Was ist, wenn keine Zeit mehr bleibt?“