Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 04. Jul 2019 · Musik

Verdis „Rigoletto“ am See nimmt Formen an: Der Clownskopf wird zum Totenschädel

Das Konzept, mit dem der Münchner Regisseur Philipp Stölzl bei seinem Debüt auf der Seebühne mit Verdis Oper „Rigoletto“ ein gegen 200.000-köpfiges Publikum zwei Stunden lang bei Laune halten will, war bis jetzt neben Fort Knox das bestgehütete Geheimnis der anbrechenden 74. Bregenzer Festspiele. Klar war bislang, dass Stölzl die Figur des Rigoletto als Hofnarr des Herzogs von Mantua in der Renaissance symbolhaft in Form eines überdimensionierten Clownskopfs in unsere Zeit transferieren und damit die Handlung im Zirkusmilieu ansiedeln will.

Am Donnerstag nun wurde beim internationalen Pressetag der Festspiele erneut ein entscheidendes, bislang unbekanntes Detail dieser Inszenierung gelüftet. Demnach verwandelt sich der mit ausgeklügelter Hydraulik vielfach bewegliche, über 13 Meter hohe und samt Unterbau 140 Tonnen schwere lustige Clownskopf mit fortschreitender Dramatik der Handlung in einen gruseligen Totenschädel, dem Augen und Nase fehlen. Eine Idee, die zweifellos etwas für sich hat. Ob sie auch einen Sinn ergibt, wird sich bei der Premiere am 17. Juli zeigen, die praktisch ausverkauft ist, ebenso wie derzeit rund 90 Prozent der Karten für die 27 Vorstellungen der Oper abgesetzt wurden. Tickets gibt es noch, so der kaufmännische Direktor Michael Diem, ab 5. August.

Entscheidung für „Rigoletto“ war richtig

Eloquent moderiert von Pressesprecher Axel Renner, erfuhr man in knapp drei Stunden konzentriert die wichtigsten Details über die beiden Hauptproduktionen der Festspiele am See und im Haus. Das Orchester stellen dabei jeweils die Wiener Symphoniker. Intendantin Elisabeth Sobotka berichtete kurz vor Beginn ihrer fünften Saison in Bregenz mit 80 Veranstaltungen in viereinhalb Wochen, dass sich nun täglich ihre Entscheidung vor drei Jahren für „Rigoletto“ immer stärker als richtig erweise. Es ist ein Werk, an das sich in 73 Festspieljahren eigenartigerweise niemand herangewagt hat, das aber mit seiner starken Dramaturgie und seiner mitreißenden Musik „alles hat, was ein Stück für den See braucht und was am See bisher gefehlt hat.“    

Als „The Time of my Life“ bezeichnete Regisseur Philipp Stölzl aufgeräumt und glücklich seine derzeitige Arbeit in Bregenz, mitten in der Natur und darum für ihn auch unglaublich inspirierend: „Wir sind damit echt aus dem Elfenbeinturm der Oper ausgebrochen“. „Rigoletto“ ist für ihn anfänglich ein groteskes, buntes Stück, das sich immer furchtbarer, grausiger und düsterer verdichtet und mit Grauen erfüllt. Das ist nicht nur bei dem von ihm in seiner Zweitfunktion als Bühnenbildner gemeinsam mit Heike Vollmer ersonnenen Clownskopf einer überdimensionalen Marionette abzulesen, die mit Augenklimpern und Mundöffnen alle Stücke spielt und mit der Zeit für den Zuseher so etwas wie eine Seele erhält, zur Persönlichkeit wird. Auch die aus dem Wasser ragende rechte Hand der Figur spiegelt im Spiel der Finger alle Konfliktlinien der Handlung und wird schließlich sogar zu Gildas Gefängnis.

Wopmanns „Bregenzer Dramaturgie“ lässt grüßen

Stölzl hat sich dabei vom früheren Festspielintendanten Alfred Wopmann und dessen  „Bregenzer Dramaturgie“ inspirieren lassen. Er hat das Stück in die zeitlose Zirkuswelt verfrachtet, um den Anforderungen nach einem Spektakel am See als Gegengewicht zur Oper zu entsprechen und damit auch die Aktualität des Werkes zu unterstreichen, als dringlicher Beitrag zur (nicht mehr ganz aktuellen) „MeToo“-Debatte. Stölzl will seine Schauspieler-Sänger-Riege auf der Riesenbühne auch nicht so sehr zu psychologischen Deutungen anhalten, denn „bei diesen Distanzen ist Körpersprache notwendiger, als Vermittler, damit die Bilder funktionieren und auch beim Publikum ankommen.“

Die musikalische Leitung am See übernimmt mit dem in Barcelona geborenen Italiener Enrique Mazzola ein alter Bekannter der Festspiele, der neben „Moses in Ägypten“ auch bereits Orchesterkonzerte dirigiert hat. Für ihn ist „Rigoletto“ aus Verdis mittlerer Schaffensperiode mit viel Tiefe auch musikalisch eine „große Show“, bei der die Sänger intensiv gefordert sind. Wichtig ist ihm, die starken Bilder der Bühne jeweils mit der Musik zu einer Einheit zusammenzubringen, auf der Basis  gegenseitigen Vertrauens. Sein Dirigat will er entschlackt mit einem „modernen, schnellen Verdi mit vielen Effekten“ anlegen.

Neu ist heuer am See auch ein Teil des Tonsystems, das unter dem Titel BOA (Bregenz Open Acoustics) weltweit zu den besten Open-Air-Beschallungssystemen gehört. Es soll nach 15 erfolgreichen Jahren eine entscheidende Weiterentwicklung nach dem neuesten Stand der Technik erfahren. Bis zum Sommer 2020 wird damit die Klangqualität am See entscheidend verbessert werden.

Ein Visionär wie Don Quichotte    

„Ich bin im Moment überglücklich“, gesteht Elisabeth Sobotka strahlend wie ein junges Mädchen, als sie von Renner auf die Wahl der Hausoper „Don Quichotte“ von Jules Massenet angesprochen wird: „Das ist eine Oper die man immer machen will, aber nie kann. Dass das hier nun möglich ist, dazu unter Idealbedingungen – damit geht für mich ein Traum in Erfüllung!“

Dazu gehört auch die Besetzung der Hauptpartie, die bei der Uraufführung der große russische Bassist Gjodor Schaljapin gesungen hat. Sobotka: „Die Aufführung steht und fällt mit der Besetzung dieser Rolle, für die wir mit Gábor Bretz eine hervorragende Sängerpersönlichkeit gefunden haben.“ Das eigentlich aus der Zeit gefallene Werk von 1910 bringt mit dem Ritter von der traurigen Gestalt eine der bekanntesten Figuren der Weltliteratur nach dem Roman des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes Anfang des 17. Jahrhunderts in drei Aufführungen erstmals am 18. Juli auf die Bühne des Festspielhauses.

Heldenhaft und lächerlich

Mit der zwiespältigen Figur dieses Visionärs, der sich im Geist seine eigene Welt erschafft, setzt sich die erstmals hier tätige französische Regisseurin Mariame Clément auseinander. „Wie definieren wir Helden unserer Zeit?“, könnte eine der zentralen Fragen ihrer Inszenierung sein. Was „Don Quichotte“ jedenfalls zu einem einzigartigen Werk mache, sei, mit „Frauenmusik“ diese Geschichte eines männlichen „Helden“ zu erzählen. „Das ist sehr ungewöhnlich“, so Clément. Anstatt einer linearen Erzählstruktur will sie in fünf kleinen Episoden den ewigen Mythos dieses Don Quichotte hinterfragen, der heldenhaft und lächerlich zugleich ist. Massenets Musik sei unglaublich ehrlich und ohne Angst vor Gefühlen.

Dies bestätigt auch der erst 35-jährige, aus Israel stammende musikalische Leiter Daniel Cohen, neuer Generalmusikdirektor des Staatstheaters Darmstadt, der anstelle des zunächst vorgesehenen Antonino Fogliani ebenfalls in Bregenz debütiert. Er hat das Werk schon dirigiert, bezeichnet es als sentimentale „Belle Epoque“-Musik, aber „unglaublich gut geschrieben für das Orchester“.

Die Figur des Don Quichotte wird diesen Sommer noch an mehreren Orten bei den Festspielen anzutreffen sein. Am Kornmarkt zeigt das Deutsche Theater Berlin „Don Quijote“ als Koproduktion mit den Schauspielern Ulrich Matthes und Wolfram Koch. Das SOV widmet der Figur seine traditionelle Konzertmatinee unter der Leitung von Ariane Matiakh, und in der Reihe „Musik & Poesie“ spürt der Schriftsteller Michael Köhlmeier verschiedenen Narrenfiguren nach.

Infos unter www.bregenzerfestspiele.com und 0043 5574 4076.