Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Peter Füssl · 26. Sep 2021 · Musik

Unkonventionelles Vergnügen im Großformat – das onQ Festival begeisterte mit zwei bühnenfüllenden Ensembles am Dornbirner Spielboden

Der aus Hohenems stammende Bassist Tobias Vedovelli und der Tiroler Keyboarder/Pianist Michael Tiefenbacher initiierten als Reaktion auf die während der Corona-Lockdowns erzwungene Untätigkeit und Isolation mit mehr als 30 Musikerinnen und Musikern via Internet eine ganze Reihe von künstlerischen Kollaborationen und Interaktionen. Man traf sich regelmäßig im digitalen Raum, um Kompositionsideen und -skizzen auszutauschen, weiterzuspinnen und auszuarbeiten. Daraus entstanden mittlerweile einige Formationen vom Duo bis zum 18-köpfigen Orchester, die sich erstmals im Herbst 2020 im Porgy & Bess präsentierten und heuer nach einem nochmaligen Auftritt im renommierten Wiener Jazztempel endlich auch in Vorarlberg zu sehen und zu hören waren. So wurden das Kunsthaus Bregenz, das Vorarlberg Museum, das Feldkircher Saumarkttheater, das Jonas Schlössle in Götzis, das Bio Moritz in Hohenems und schließlich der Dornbirner Spielboden mit unterschiedlichsten Bands bespielt. Bei letzterem waren die beiden größten Formationen zu Gast, nämlich das onQ Großensemble und das Ensemble Kuhle Wampe. Um es gleich vorwegzunehmen: Ein phantastischer Abend!

onQ Großensemble feat. Carolyn Amann

Schon der Auftakt war außergewöhnlich. Die aus Hohenems stammende und in Wien lebende Carolyn Amann ist studierte Theater-, Film- und Medienwissenschafterin, arbeitet an mehreren Häusern als Regieassistentin und kann auch im literarischen Bereich auf mehrere Veröffentlichungen verweisen. Ganz allein beginnt sie ihre fein ausgearbeiteten Sprachbilder zu rezitieren, nach und nach gesellen sich immer mehr Musikerinnen und Musiker auf die Bühne, untermalen und kommentieren die Worte mit Soundschnipseln, improvisieren drauflos, aus Dissonantem entwickeln sich Strukturen, die wieder aufgelöst werden, kurze durchkomponierte Passagen scheinen wieder zu zerbröseln oder irgendwie dahin zu mäandern. Die einzelnen Instrumentengruppen sind prominent besetzt. Der Streichersatz glänzt mit Joanna Lewis und Marianna Oczkowska an den Violinen, Emily Stewart an der Viola und Asja Valcic am Cello, bei den Holzbläsern sorgen Clemens Salesny und Leonhard Skorupa ebenso für exzellente Soli, wie Markus Pechmann und Phil Yaeger bei den Blechbläsern. Auch Michael Tiefenbacher an Piano und Keyboards sowie Gitarrist Andi Tausch lassen mehrfach aufhorchen, während Drummer Reinhold Schmölzer gemeinsam mit Tobias Vedovelli am Kontrabass souverän die rhythmischen Akzente setzen und das ganze musikalische Gefüge zusammenhalten.

Für einen Höhepunkt des ersten Sets sorgt der gerade enorm im Höhenflug befindliche Komponist und Big Band-Leader Ralph Mothwurf, den man auch als Mastermind von Yasmo & Die Klangkantine kennt. Er dirigiert das onQ Großensemble bei seiner Eigenkomposition „Asphalt“ und nutzt das breite Soundspektrum des großen Klangkörpers voll aus. Im Spannungsfeld zwischen neuer Musik und Jazz spielt er mit dissonanten Streicherinnen, auf die er heftige Blechattacken prallen lässt, kontrastiert ein verspieltes Piano mit fast schon klassisch anmutenden, ganz großen Big-Band-Momenten, Geräuschhaftes mit durchkomponierten Passagen. Die Soundtrack-artig anmutende Komposition verblüfft mit vielen Details.

Auch die Beiträge weiterer KomponistInnen wie Daniel Riegler, Viola Falb oder Leonhard Skorupa, die extra für das onQ Großensemble geschrieben haben, überspringen elegant und erfindungsreich jegliche Genregrenzen, spielen mit einer Vielzahl an Stimmungen und Färbungen und spornen die beteiligten Musikerinnen und Musiker zu Höchstleistungen an. Brillante Soli entspringen mitten aus einem fabelhaften Ensemble-Klang – so soll es sein. Eine abwechslungsreiche Stunde vortrefflicher Großensemble-Klänge! Aber wer da gemeint hat, damit sei der Höhepunkt des Abends schon erreicht, hat die Rechnung ohne das Ensemble Kuhle Wampe gemacht!

Ensemble Kuhle Wampe – cooler geht’s nimmer

Epizentrum des jegliche literarisch-musikalische Richterskala zu sprengen drohenden Ensembles Kuhle Wampe ist der 1970 in München, nach einer längeren Zwischenstation in Berlin nun in Wien lebende Schauspieler und Sprachkünstler Christian Reiner – vielen auch von diversen aktionstheater ensemble-Produktionen her bestens bekannt. Er bombardiert das Publikum mit einer vollen Breitseite aus philosophischen Texten, Platitüden, absurden Anekdoten, Sprichwörtern, Gesprächsschnipseln gepaart mit nonverbaler Vokalartistik, Schreien und nach imaginären Fremdsprachen klingendem Nonsens. Wie ein wildgewordener Derwisch scheint Reiner seinen Texten und Lautäußerungen in jähen Windungen und Bewegungen auch körperlichen Ausdruck verleihen zu wollen, dirigiert sich mit zuckenden Handbewegungen selber und stimmt sich so perfekt auf die musikalischen Ideen der Band ein.

Tobias Vedovelli, der hier zum E-Bass greift, und Saxophonist Leonhard Skorupa haben das Ensemble 2020 kurz vor dem ersten Lockdown gegründet, um Musik mit politischen Inhalten zu machen – allerdings keineswegs streng ideologisch gefärbt oder moralinsauer, sondern witzig und spritzig. In Trompeter Markus Pechmann, Saxophonist Clemens Salesny, Posaunist Georg Schrattenholzer, Gitarrist Andi Tausch und Mike Tiefenbacher an den Keyboards haben sie geniale, weil ebenfalls ausgesprochen experimentierfreudige Mitstreiter gefunden. Das Ensemble Kuhle Wampe scheint die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse in sich hineingefressen zu haben, um sie nun – perfekt zur jeweiligen verbalen und nonverbalen Äußerung passend – in unterschiedlichsten Farben, Formen und Intensitäten wieder auszuspucken. Jazzig, rockig, funky -  mal klingen sie wie eine durchgeknallte Marching Band aus New Orleans auf der Flucht vor dem nächsten Hurrikan (namens Christian, mal kein Frauenname), dann wieder wie Blood, Sweat & Tears auf Acid. So etwas freut auch den Frank Zappa-Fan! Das Publikum scheint jedenfalls trotz fortgeschrittener Stunde nicht genug zu bekommen und fordert noch eine Zugabe. Die wird mit von den in absoluter Spielfreude schwelgenden Musikern in Form des balladenartigen „Sur l’eau“auch gerne gewährt – ein wunderschöner Rausschmeißer.

Zwei exzellente Doppel-CDs 

Wer’s versäumt hat, kann den genialen Abend auf zwei soeben präsentierten Doppel-CDs, die zum Teil live im Porgy & Bess aufgenommen wurden, wunderbar nachempfinden.

  • onQ 20: Vol. I & II (waschsalon Records WSR 003)
  • Ensemble Kuhle Wampe: „Extended“ (waschsalon Records WSR 004)