Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 19. Aug 2022 · Musik

Traurige Leichtigkeit, Seelengefieder und schwarze Galle – „Melencolia" von Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck als buntes Konglomerat erlebt

Im Auftrag der Bregenzer Festspiele schufen die deutsche Komponistin Brigitta Muntendorf und der Dramaturg Moritz Lobeck für die Werkstattbühne eine musiktheatralische Show, in der sie sich kreativ, bunt und künstlerisch vielfältig der Melancholie annäherten. Bewegte, reale, digitale und hybride Bilderwelten boten die Grundlage für eine farbig vermengte Musik. Optische Wahrnehmungsebenen und heterogene musikalische Klangfelder wurden collageartig zueinander in Beziehung gestellt und konnten aus unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven betrachtet werden. Das machte die in sieben Teilen angelegte Show kurzweilig, jedoch mitunter auch beliebig. Erst allmählich wurden die musikalischen, optischen und inhaltlichen Bezugsfelder gebündelt und entwickelten in den mittleren Abschnitten eine starke Sogwirkung.

Ausgehend vom berühmten Kupferstich „Melencolia I“ von Albrecht Dürer schufen Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck mit ihrer gleichnamigen Show einen Kunstraum, den sie mit vielerlei interpretatorischen Zugängen, künstlerisch reichhaltig füllten. Ganz dem komplexen Stich Dürers folgend, gestalteten Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck ein musiktheatralisches Werk, das nicht als ein Sinnganzes zu erfassen war. An der Komplexität der zusammengestellten Musik-Bilder-Video-Electronic-Performance konnten die Zuseher:innen und Zuhörer:innen mehr oder weniger lustvoll scheitern.
Spielerisch legten die Komponistin und der Dramaturg das Eintreten in den kreativen Raum an. Via Handy App (Vobe Digital, Christoph Vogel, Michael Bertram) war das Publikum eingeladen, sich an „Melencolia“ heranzutasten. Empfangen wurden die Besucher:innen von lebensechten, auf Staubsaugerrobotern sitzenden Hunden. Wohl in Anspielung als Begleiter der Melancholischen boten sie das erste Sinnbild im Gesamtkontext der Show.
Zu Beginn tummelten sich viele auf der Bühne, die Musiker:innen meist liegend, andere arbeitend, wieder andere unterhielten sich. Erst allmählich entwickelte sich das Spiel, indem Sinn und Unsinn, Absurdität, Geschichte und Gegenwart, reale und digital auf die Leinwand sowie via Greenscreen projizierte Personen und Räume den ersten Abschnitt, „Anatomie“, absteckten.

Musikalische Inhalte

Brigitta Muntendorf komponierte für das herausragende Ensemble Modern eine variantenreiche Musik, die eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als ihr innerhalb der Performance geschenkt werden konnte. Denn bei der Uraufführung des Werkes war eindringlich erlebbar, dass sich visuelle Eindrücke fast zwangsläufig über akustische Hörerfahrungen stülpen. Wer sich von den vielfarbigen und symbolhaften Bildern und Videos lenken und „fluten“ ließ, war getragen von diesem audio-visuellen Klangtheater.
Die Konzentration auf musikalische Inhalte gestaltete sich hingegen schwierig. Die vielen Querverweise und Analogien, die die Komponistin im musikalischen Verlauf verwebte und damit umdeutete, waren subtil angelegt. Doch in den ersten Abschnitten zeigte sich, dass die Fülle des Gleichzeitigen die künstlerische Aussage, zumindest meiner Wahrnehmung nach, nivellierte.
Erst allmählich wurden die musikalischen Inhalte und Querverweise gebündelt. Diese entfalteten sich vor allem in den Bildern „Nornen“ (Ute Farin, Alexandra Gol, Gloria Pfennig), „Le Chant de Zidane“ und „Nekropolis“ und fanden ihren Höhepunkt in den Videozuspielungen von Saeid Shanbehzadeh und seinem Instrument Ney-anbān.
Das Ensemble Modern agierte vielseitig. Jene Sequenzen, in denen die Musiker:innen mikrotonal sich verschiebende Klangbänder ausformulierten und vielschichtige elektronische Klänge in geistreiche Verbindungen zu den realen Klängen stellten, boten spannende Anreize.
Aufhorchen ließ das Vokalensemble des Festspielchores mit Nicola Bäurer, Anita Dressel-Malang, Eva-Maria Haußmann, Tatjana Kleber, Lilli Löbl und Karin Rafolt (Chorleitung Benjamin Lack). Homogen im Klang und intonationssicher sangen die Frauen. Sie trugen einen sehr wesentlichen dramaturgischen Anteil innerhalb der gesamten Produktion.
„Melencolia“ lebte auch von der Klangregie und dem 3D-Audio Klang, der den gesamten Raum einnahm. (Norbert Ommer; d&b audio (Banu Sahin, Ralf Zuleeg). Die Videokunst wirkte opulent, aber ziemlich dominant (Veronika Simmering; Warped Type, Andreas Huck, Roland Nebe; Maximiliano Estudies). Zwiespältig in Erinnerung blieb die inhaltsbezogene Sprachebene. Auf der einen Seite ließen zeitkritische und humorvolle Sätze immer wieder aufhorchen. Andererseits wirkten zahlreiche Textpassagen eher banal in ihrer alltagsphilosophischen Aussage. Insbesondere das letzte Bild „Lullaby of an Unborn“ wirkte unbefriedigend auf mich.
Dass „Melencolia“ vom Grundkonzept her flexibel auf sich bietende Möglichkeiten setzte, war unter anderem mit dem Volkslied „Brunälla“ zu vernehmen und kam auch im sechsten Bild, „Winterszene“, mit dem japanischen Popsong „Tsugaru Kaiyo“ und dem Verweis auf „Madam Butterfly“ zum Tragen. Die Bratschistin des Ensembles Modern, Megumi Kasakawa, füllte diese Rolle hervorragend aus.

Bregenzer Festspiele: „Melencolia" von Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck
weitere Vorstellung: 20.8., 20 Uhr
Wekstattbühne, Bregenz
www.bregenzerfestspiel.at