Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 16. Aug 2022 · Musik

„Armida“ beim Opernstudio der Festspiele: Nur Haydns Musik konnte diesen Abend retten

Eigentlich sollte diese bekannteste Oper von Joseph Haydn nicht „Armida“ heißen, sondern „Rinaldo“ wie ihr Geliebter, dieser ewige Zauderer, der sich volle zwei Stunden lang nicht entscheiden kann zwischen Liebe und Pflichterfüllung. Dieses Manko an greifbarer Handlung beschert am Montag bei der Premiere des Opernstudios der Festspiele dem Publikum im ausverkauften Kornmarkttheater doch gewisse Längen, die Regisseur Jörg Lichtenstein durch einen mehr oder weniger originellen zeitgeistigen Aufputz wettzumachen versucht hat.

Für seine Inszenierung muss er freilich auch einige Buhrufe im ansonsten ansehnlichen Schlussapplaus einstecken. Im Übrigen bleibt als Fazit, dass vor allem Haydns wunderbare Musik mit deutlichen Barockanklängen, jede Arie ein kleines Meisterwerk, und die durchwegs gegebene Koloraturfertigkeit des Ensembles einen Besuch dieser Produktion lohnen.

Eigentlich eine Kreuzritter-Story

Die 1784 uraufgeführte Oper basiert auf einer Handlung von Torquato Tasso aus der Epoche der Kreuzritter. Dass man deswegen diesen verstaubten und altbackenen Stoff gleich mit überzogenen Mitteln gewaltsam ins Heute befördern muss, bleibt fragwürdig. Man hat, wenn das Kettenhemd der Akteure zum Dresscode des Abends gehört und sie über den Krieg sprechen, oft viel eher den Eindruck, dem Besäufnis einer Studentenverbindung beizuwohnen (stilecht mit „Mohren Gold“ in der handlichen kleinen Flasche). Auch die Drohgebärden wirken im Dialog selten echt, Hellebarde und Axt wirken eher wie Spielzeuge als wie Waffen.
Ein emotionaler erster Höhepunkt wird immerhin das versuchte erste Liebes-Duett von Armida und Rinaldo im 1. Akt, das rasch zum Wut-Duett gerät, wenn die beiden einander nicht nur in Worten, sondern auch in Koloraturen ihre gegensätzlichen Argumente ausrichten. Andererseits nutzt die Regie auch weidlich die librettogetreuen Zauberkünste der Titelfigur für augenzwinkernde Gags. Herzhaft gelacht wird, auch wenn es eine Opera seria ist, über die Szene im 3. Akt, als teils männliche, weißgewandete und rauchende Nymphen Rinaldo vergeblich zu verführen suchen.        
Ob auf diese Weise wie beabsichtigt auch aktuelle Fragen unserer Zeit wie Krieg und Frieden, die Zerstörung der Natur und das menschliche Miteinander verständlich angesprochen werden, muss offenbleiben. Dazu ist das Werk ausgestattet mit einem der ungewöhnlichsten Finali der Opernliteratur, das auch den abgebrühten Opernfreund im Ungewissen lässt, wenn alles offen bleibt und sich die beiden letztlich doch nicht kriegen.

Wie von Zauberhand

Mit einer groben, breit ausladenden Almhütte wird ein wandelbares Bühnenbild (Nikolaus Webern) präsentiert, das sich erwartungsgemäß wie von Zauberhand mit der Zeit in seine Bestandteile auflöst. Zuvor bietet es mit einem Zauberschrank, in dem immer wieder andere Leute und auch Musikanten auftauchen, oder einem Dachgiebel, der dem verliebten Paar Zelmira und Clotarco Rückzug für ein paar Kuschelminuten verschafft, hübsche Schauplätze.     
Untadelig in jeder Hinsicht gestaltet sich diese Premiere in musikalischer Hinsicht. Dirigent Jonathan Brandani, den man vor wenigen Wochen noch in Rossinis „Italienerin in Algier“ am Pult bewundert hat, findet auch diesmal den rechten Draht zu den großartig aufspielenden Musikern des Symphonieorchesters Vorarlberg, auch wenn dieses bei der Begleitung vor allem in den Hörnern manchmal zu laut ist. Der Kornmarkt hat da seine akustischen Tücken. Aber Haydn macht es den Musikern mit seinem dramatischen Gespür, seinem ideenreichen Orchestersatz mit Betonung der Mittelstimmen und den oft bizarren Klangfarben auch nicht eben leicht, dabei auch noch den schlanken, transparenten Ton zu treffen.         

Koloratursichere Besetzung

Was die Besetzung betrifft, steht und fällt diese Produktion freilich – wie bei Rossini – auch hier mit der herausfordernden Titelrolle der Armida. Und dafür hat man auch diesmal einen guten Griff getan. Die Zürcher Sopranistin Nicole Wachter, die es bereits an die Akademie der Mailänder Scala geschafft hat, debütiert damit beim Opernstudio und in dieser Partie mit einer gesanglich wie darstellerisch ansprechenden Leistung, vor allem im emotionalen Bereich. Wenn sie ihre brillanten Koloraturen und die extremen Spitzentöne in der Lautstärke noch etwas drosseln würde, wäre schon viel gewonnen. Der deutsch-britische Tenor Kieran Carrel als tragisch unentschlossener Held Rinaldo ist da schon deutlich weiter, verströmt mit Edelmetall in der Höhe imponierend Kraft und Glanz seiner Stimme, wenn’s drauf ankommt.        
Eine reizende Erscheinung, optisch und mit ihrem innig leuchtenden lyrischen Sopran, ist die Schweizerin Kathrin Hottiger als charmante Hofdame Zelmira. Kein Wunder, dass sie gegen die Anweisung Armidas den Ritter Clotarco, dargestellt vom walisischen hellstimmigen Tenor Dafydd Jones, um den Finger wickelt. Als Ubaldo, gestrenger Anführer der Kreuzritter, stellt der koreanische Tenor Hyunduk Kim stimmkräftig seinen Mann, als Idreno, König von Damaskus, gibt der deutsch-amerikanische Bariton Gabriel Rollinson eine würdige Bühnenerscheinung ab. Amelie Brunn wird in der stummen Rolle eines kleinen Friedensengels zum liebenswert ergänzenden Regieeinfall, sehr zur Freude des Publikums.

Bregenzer Festspiele: „Armida“ von Joseph Haydn
weitere Vorstellungen: 17. und 19.8., jeweils 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz
www.bregenzerfestspiele.com