Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Silvia Thurner · 15. Aug 2022 · Musik

Mit Klangsinn und musikalischer Entschlusskraft – Jubel und Standing Ovations für die Musiker:innen der Orchesterakademie und Daniel Cohen

Einen kraftvolleren Anfang für die neu initiierte Orchesterakademie im Rahmen der Bregenzer Festspiele ist kaum denkbar. Unter der Leitung von Daniel Cohen brachten 85 junge Erwachsene drei Teile aus Herbert Willis Orchesterwerk „Dsong“ zur Uraufführung. Die mit dieser Werkdeutung entstandene Energie und das feinsinnige Gespür für die Klangbalance führten die voll motivierten Musiker:innen weiter in die fünfte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch. Als Kontrapunkt musizierte die Trompeterin Selina Ott Haydns berühmtes Trompetenkonzert und beeindruckte mit ihrer feinsinnigen und eleganten Spielart.

In zweijährigem Rhythmus laden die Musiker:innen der Wiener Symphoniker seit einigen Jahren zum Internationalen Blasmusik-Camp am Bodensee bei den Bregenzer Festspielen. Dort finden jugendliche Holz- und Blechbläser:innen zusammen, um die symphonische Blasmusik zu pflegen. Die Konzertmatineen im Rahmen der Bregenzer Festspiele waren bisher stets energiegeladene Klangerlebnisse. Nun waren junge Erwachsene zur Orchesterakademie der Wiener Symphoniker geladen. Ursprünglich wurde das Vorhaben von Andrés Orozco-Estrada angeregt, doch dieser hat in der Zwischenzeit kurzfristig die Wiener Symphoniker verlassen. Deshalb stand nun Daniel Cohen am Pult des Orchesters. Er begeisterte von der ersten Minute an, motivierte die Musiker:innen durch sein emphatisches Dirigat und formte die Musik mit seinen Händen und seiner Körpersprache zu einem detailreichen und mitreißenden Konzerterlebnis.

Tonräume für Emotionen öffnen

Diese Eigenschaften boten hervorragende Voraussetzungen für die Uraufführung des neuestens Werkes von Herbert Willi. Aus seinem zehnteiligen Orchesterwerk „Dsong“ erklangen der fünfte Satz „Ggäonara!“, der dritte „Gjon Dsock“ sowie das Finale „Jubilo“. Mit viel Elan und großem Aufforderungscharakter entwickelten die Musiker:innen ein rhythmisch vorwärtstreibendes Klangband, das immer wieder zum Stillstand gebracht wurde. Allmählich verkürzten sich die drängenden Abschnitte und gleichzeitig wurde die Erwartungshaltung gesteigert. Riesige Klangräume öffneten die Musiker:innen im zweiten Teil. Die in schillernden Klangfarben mit viel Perkussion sich entladenden Klangballungen im vollen Orchestersatz setzten unterschiedlichste Energiezustände frei. Sensibel setzten die Musiker:innen in die „Nachklänge“ leicht absinkende Tonfloskeln. Zwischen diesen Gegensätzen changierte das Orchester gut nachvollziehbar. Das abschließende „Jubilo“ bot eine Conclusio. Die aufstrebenden Tonlinien, perkussiven Passagen und choralartigen Einschübe zelebrierte das Orchester mit viel Bedacht auf die Generalpausen, so dass auch die Stille geistreich in die Musik miteinbezogen wirkte. Begeistert applaudierten die Zuhörenden nach der gelungenen Uraufführung und dem strahlenden Komponisten war die Freude ins Gesicht geschrieben.

Keine Musikvermittlung von Seiten der Festspiele

Den Aufforderungscharakter, der von „Dsong“ ausging, führte das Orchester in Schostakowitschs fünfter Symphonie weiter. So bildeten die beiden Kompositionen eine aussagekräftige Klammer. Die Bregenzer Festspiele fanden es nicht der Mühe wert, wie bei sämtlichen anderen Orchesterkonzerten, den Konzertbesucher:innen die musikalischen Entstehungs- und Wirkzusammenhänge der dargebotenen Kompositionen in Form eines Programmheftes näherzubringen. Das war ein großes, aber das einzige Manko dieses beeindruckenden Konzertes. So hätte dargelegt werden können, dass Herbert Willi mit „Dsong“ ein Grundprinzip der koreanischen Kultur musikalisch verarbeitet hat. Der Werktitel lasse sich mit Begriffen wie Verbundenheit, Mitgefühl, Liebe, Zuneigung und Einfühlungsvermögen nur umschreiben, erwähnt der Komponist in der Werkeinführung auf der Homepage des Schott-Musikverlages. Dem gegenüber stand die fünfte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch. Er hat das Werk in Bedrängnis und unter Lebensgefahr komponiert, denn Josef Stalin und das Sowjetregime bedrohten den Komponisten und verlangten von ihm eine musikalische Anpassung, um die Gleichschaltung des realen Sozialismus zu forcieren.
Thema der Symphonie sei das Werden der Persönlichkeit, erklärte Schostakowitsch. Gerade den Menschen mit seinem ganzen Erleben sehe er im Mittelpunkt der Idee dieses Werkes. Die Art und Weise, in der Schostakowitsch mit subtilen musikalischen Mitteln ausgelassene beispielsweise energetische Passagen in Marschrhythmen transferierte oder die Jubelstimmung im Finale mit tragischen Elementen bespickte, macht diese Symphonie zu einem ambivalent wirkenden musikalischen Ereignis.
Alle Musiker:innen der Orchesterakademie spielten mit höchster Aufmerksamkeit und Intensität und sie gaben ihr Bestes. Dementsprechend lenkten zahlreiche Soli die Aufmerksamkeit auf die unterschiedlichen Pulte. Gut aufeinander achteten auch die Stimmgruppen untereinander. So kamen die Wucht des vollen Orchestersatzes und die zahlreichen Anspielungen auf die pervertierte Fröhlichkeit eindrücklich zur Geltung.

„Die mit der Trompete singt“

Die 24-jährige Trompeterin Selina Ott wurde bereits vielfach ausgezeichnet und genießt international höchstes Ansehen. Im Rahmen des Abschlusskonzertes der Orchesterakademie spielte sie das berühmte Trompetenkonzert von Joseph Haydn. Mit einer bewundernswerten Leichtigkeit artikulierte die Trompeterin die melodischen Linien. Sie gab den Themen mit ihrer nuancierten Tongebung über alle Register hinweg einen feinsinnigen Charakter. Diese spezifische Spielart verlieh dem Haydn-Konzert Eleganz und lyrische Qualitäten. Hervorragend phrasierte das Orchester die Themenführungen und entwickelte lebhafte Dialoge mit der Solistin.
Mit zwei Zugaben, Sibelius „Valse Triste“ und der Strauß-Polka „Unter Donner und Blitz“, unterstrich Daniel Cohen noch einmal die bewundernswerte Pianokultur und die Spielfreude des Orchesters. Eine Woche lang hatten die Orchestermitglieder, unterstützt von Musiker:innen der Wiener Symphoniker, miteinander geprobt und gearbeitet. Mit Standing Ovations dankten die Zuhörenden im großen Saal des Bregenzer Festspielhauses. Auf die Fortsetzung der Orchesterakademie in zwei Jahren dürfen sich die Mitwirkenden und die Konzertbesucher:innen freuen.

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