„Texte und Töne“ im ORF Dornbirn bot eine Bühne für Neues – Hervorragende Werkdeutungen und großer Publikumszuspruch bereiteten Freude
Eine große stilistische Vielfalt zeichnete die diesjährige Ausgabe von „Texte und Töne“ im Funkhaus Dornbirn aus. Aktuell entstandene Kompositionen sowie Texte fanden ein interessiertes Publikum, das sich viel Zeit nahm und die Werkpräsentationen höchst konzentriert mitverfolgte. Besonders eindrücklich wirkten die gesellschaftspolitische Performance „Stabat Mater“ von Gerald Futscher sowie das Werk „Kontexte“ von Wolfgang W. Lindner. Aufhorchen ließ überdies das Vibraphonkonzert des Studenten Raphael Lins mit Matthias Kessler als Solisten. Das Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung des herausragenden Dirigenten Ekoras Tartaris begeisterte das Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten Studio unter anderem mit der Uraufführung des Werkes „Wartezeiten“ von Gerda Poppa.
Bereits beim Poolbar Festival sorgte die Performance „Stabat Mater“ von Gerald Futscher für viel Gesprächsstoff, denn mit diesem Werk bezog der Komponist Stellung gegen die unmenschlichen Zustände, die Flüchtlinge im Mittelmeer erleiden. Auf seine eigene Art kombinierte er das „Stabat Mater“ von Pergolesi mit modernen Klängen, stellte mit Schülerinnen und Schülern des Feldkircher Gymnasiums Schillerstraße ein Vokalensemble zusammen, postierte zwei Aquarien und setzte sich mit den Jugendlichen in ein Boot. Das ensemble plus intonierte die berühmte Musik von Pergolesi nach einem mittelalterlichen Gedicht „Es stand die Mutter schmerzerfüllt“. Ein Frauenquartett sang die Vokalpartien. Mit eindringlichen Vokal- und Kehllauten sowie Klangerzeugern übermalte das Schülerensemble die Musik. Jeweils zwei Jugendliche sangen ihre Partien mit dem Kopf unter Wasser. Schon die ersten Passagen lösten große Beklemmung aus, denn die Enge und das gurgelnde Ringen um Luft und Raum waren beinahe körperlich spürbar und vermittelten die Botschaft sofort. Allmählich überspülten die Vokalisen sowie Rüsselinstrumente Pergolesis Musik vollends und es entwickelte sich ein apokalyptischer Sog, der das „Stabat Mater“ absaufen ließ.
Spannende Werkpräsentationen
In dieselbe gesellschaftspolitische Kerbe schlug auch Wolfgang W. Lindner mit seiner aussagekräftigen Komposition „Kontexte“, die das ensemble plus unter der Leitung von Thomas Gertner zur Uraufführung brachte. Spannend entwickelte sich die mit diffusen Klängen aufgebaute Fläche in der Einleitungspassage. In diese stellte das Fagott einen Gedanken, den sodann die Flöte und Klarinette aufnahmen. Diese wurde mit viel Perkussion weiter getragen bis schließlich der musikalische Fluss in raumgreifenden rufenden Gesten endete.
Raphael Lins war der jüngste Komponist, der bei „Texte und Töne“ vorgestellt wurde. Derzeit studiert der 21-Jährige am Vorarlberger Landeskonservatorium bei Herbert Willi. In enger Zusammenarbeit mit dem Perkussionist Matthias Kessler entwarf der aus Feldkirch stammende Student eine sinnliche Musik, in deren Verlauf Matthias Kessler am Vibraphon virtuos Kontakt zum Ensemble aufnahm. Die Streicher und Holzbläser reagierten zuerst mit suchenden Gesten, doch rasch entfalteten sich anregende Wechselbeziehungen. Kurz leuchtete eine beschwingte Phrase auf, bevor sich eine weite Klangfläche öffnete. Diese führte in eine mit Drive ausgeformte, jazzig angehauchte Schlusspassage, die überraschte.
Erfüllte und gestohlene Zeit
Die dritte Uraufführung spielte das Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung von Ektoras Tartanis. Das im Verhältnis zum Raum im ORF-Publikumsstudio groß besetzte Orchester spielte imposant an diesem Abend. „Wartezeiten“ titulierte die in Röthis wohnende Komponistin Gerda Poppa ihr neuestes Werk, in dem sie sich mit der psychologisch erlebten Zeit sowie der real gemessenen Zeit auseinander gesetzt hat. Im Laufe von vier Abschnitten setzte Gerda Poppa unterschiedliche Zustände des Wartens in Musik. Minimalistische Pattern bildeten im ersten Teil die Grundlage für darüber gelagerte Bläsermotive. Die flächige, transparent verwobene Textur des langsamen zweiten Abschnittes stellte den Höhepunkt der Werkdeutung dar. Theatralisch begehrte der dritte Abschnitt auf, in dem Pauken und Trompetensignale das angstvolle Warten verdeutlichten. Gerda Poppas Vorlieben für die Rhythmik und Rockmusik kamen im verspielten Schlussteil zur Geltung. Die Geräusche eines Autoblinkers bildeten die Ausgangssituation für einen rhythmisch belebten Satz, der teilweise neoklassizistisch anmutete.
Ihre Musik setzte Gerda Poppa in eine geistreiche Symbiose, denn die vier Teile wurden mit atmosphärischen Texten von Katharina Klein verbunden. Beeindruckend war die Rezitation der Autorin, mit der sie sich hervorragend in den musikalischen Verlauf integrierte.
Herausragender Dirigent und sinnliche Werkdeutungen
Das Symphonieorchester Vorarlberg hatte einen sehr niveauvollen Auftritt an diesem Abend. Neben den spannenden Werkdeutungen lenkte sofort der Dirigent Ektoras Tartanis die Aufmerksamkeit auf sich. So professionell und zugleich elegant wirkte schon seit längerem keiner mehr am Pult des SOV. Dies ist auch deswegen von Interesse, weil das Orchester seit geraumer Zeit nach einem Nachfolger für Gérard Korsten Ausschau hält.
Nikolaus Brass’ Komposition „Von wachsender Gegenwart“ für 18 Streicher passte wunderbar zu den „Wartezeiten“ von Gerda Poppa, ging es doch auch in diesem Werk um die Zeit in der Musik, den „festgehaltenen Augenblick“. Die Musik stellte enorme Ansprüche an die Streicher, die alle als Solisten ihre individuellen Stimmen spielten. In einem organischen musikalischen Fluss und mikrotonal aufgespreizten Linien entfaltete sich das Klanggebilde und formte immer neu gestaltete Flächen aus. Faszinierend wirkten vor allem die sich in einem atmenden Duktus ausbreitenden Veränderungsprozesse.
Ebenso reizvoll war die Interpretation des mitteilsamen Werkes „Raum mit Klagelied“ von Marko Nikodijevic. Als Solist in der „Aria concertante“ für Klarinette begeisterte Andreas Schablas. Er „sang“ die Solostimme und formte sie wunderbar nuanciert aus, ausgehend von einem sensiblen entfalteten Pianissimo bis hin zu grellen Spitzentönen. Der Komponist selbst steuerte die elektronischen Klänge bei, die einen atmosphärischen Klangraum für die Liedmelodien öffneten. Auch diese Werkdeutung formte das SOV emphatisch aus.
Unterhaltung mit Texten und Tönen
Nach zahlreichen Darbietungen mit viel Sinngehalt bot Roché Jenny mit dem Werk „Triptychon“ eine abwechslungsreiche Unterhaltungsmusik. Schon seit einiger Zeit musiziert der Trompeter in der von ihm gegründeten Band Guapa Loca, für die er die Musik schreibt. Aus diesem Fundus stellte er ein dreiteiliges Medley zusammen, indem er unterschiedlichste Musikstile unbeschwert zusammenführte und humorvoll miteinander verband.
Texte und Töne setzten bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals auch Max Lang und Philipp Lingg unter dem Titel „Some lyric(s)" in Beziehung zueinander. Darüber hinaus wurden die neuesten Hörspiele von Julien Nagel und Sara Bonetti präsentiert. Gerald Futscher und Christian Futscher unterhielten mit einer amüsanten Lesung mit Musik, in der fulminant über den „Schönsten Nabel der Welt“ spintisiert wurde.
Großes Engagement für eine wichtige Begegnungszone
Träger der Veranstaltung waren neben Literatur Vorarlberg, dem Symphonieorchester Vorarlberg und dem ORF vor allem das ensemble plus. Die Musikerinnen und Musiker unter der Leitung von Thomas Gertner spielten die sehr unterschiedlichen Stücke mit viel Engagement und auf hohem Niveau. Für das vielseitige Programm verantwortlich zeichnete auch dieses Mal der Bratschist Andreas Ticozzi. Hervorragend war auch die Werkauswahl des SOV-Konzertes, das Thomas Heißbauer zum letzten Mal kuratiert hat. Bettina Barnay und Jasmin Ölz führten humorvoll, sympathisch und bestens vorbereitet durch das Programm.
Auch diese Ausgabe des Festivals „Texte und Töne“ bot für das aktuelle musikalische und literarische Schaffen in Vorarlberg eine gute und wichtige Bühne. Das Festival lebte auch von einer angenehmen Atmosphäre, denn die Musikerinnen und Musiker sowie die Komponistinnen und Komponisten mischten sich selbstverständlich unter die Zuhörenden. So waren zwischen den Konzerten interessante Begegnungen möglich.