Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 20. Aug 2021 · Musik

Sublime musikalische Gestalten in Konkurrenz zum Übergewicht der Sprache - herzlicher Applaus bei der Uraufführung der Oper „Wind“ von Alexander Moosbrugger

Mit großer Spannung wurde die Uraufführung der Oper „Wind“ von Alexander Moosbrugger bei den Bregenzer Festspielen erwartet, die nun mit einjähriger Verspätung über die Werkstattbühne ging. Ein fantastisches Team hat hier zusammengefunden, das Musik, bildende Kunst, Instrumentenbau und elektronische Realisierung zueinander in Beziehung brachte. So wurde ein einzigartiges Gesamtkunstwerk geschaffen, der Bühnenraum war zugleich klingendes Instrument und die Zuhörenden mitten drinnen im Geschehen. Und doch blieben Fragen offen, denn die über mehrere Metaebenen erzählte Geschichte des träumenden Poliphilo zwang die Musik, die für sich die volle Aufmerksamkeit eingefordert hätte, allzu sehr in den Hintergrund.

Viel konnten Musikinteressierte über den Entstehungsprozess der Oper „Wind“ von Alexander Moosbrugger, die im Rahmen des „Opernateliers“ bei den Bregenzer Festspielen und in Kooperation mit dem Kunsthaus Bregenz entstanden ist, seit 2018 erfahren. Vier sogenannte „Operneinblicke“ schraubten die Erwartungen an die erste Oper des in Vorarlberg aufgewachsenen und in Berlin lebenden Komponisten hoch. Besonderes Interesse weckte das extra für die Oper gefertigte Orgelinstrument der Firma Rieger, das den Bühnenraum akustisch-musikalisch bestimmen sollte. Wendelin Eberle und Alexander Moosbrugger, der selbst auch als Organist tätig ist, haben das Instrument konzipiert. 172 Orgelpfeifen deckten den gesamten Hörbereich ab, von den höchsten Registern bis zur 32“ Pedalpfeife. Die Art der Anordnung und die unterschiedlichen Intonationen verliehen jeder einzelnen Pfeife ein Eigenleben.

Mit dem Raum in Beziehung getreten

Alexander Moosbrugger ist bekannt für seine sublime musikalische Kompositionskunst. Aufbauend auf mikrotonalen Tonsystemen setzte er bei der Bespielung der Orgelpfeifen mit der Expertise von Orgelbau Rieger sowie Thomas Hummel und Maurice Oeser vom SWR Experimentalstudio weniger auf konkrete Tonhöhen als auf Schwingungsverhältnisse und deren Tonqualitäten. Jede Pfeife spielte eine wesentliche Rolle, die mit den Sängerinnen und Sängern sowie dem Streichquartett und dem Raum in Beziehung gesetzt wurde.
Die bildende Künstlerin Flaka Haliti hat für das in Form von Klanginseln aufgebaute Orgelinstrument eine begehbare Hülle mit einem inspirierenden Innenraum geschaffen. Das durchgehende Weiß verlieh der Raumskulptur einen abstrakten Charakter, unterstrich die sakrale Atmosphäre und machte die Sinne frei für die Bespielung und die erzählte Geschichte. In Verbindung mit den teilweise etwas krassen Veränderungen des weißen Lichts ergaben sich zahlreiche Assoziationsebenen.
Für die szenische Einrichtung zeichnete Leonora Scheib verantwortlich. In der als Arena konzipierten Raumskulptur bot jede Sitzposition eine andere Hörperspektive, so dass ich lediglich von meinen subjektiven Wahrnehmungen an einem unattraktiven Platz am äußersten Rand der Tribüne berichten kann.

Souveräne Künstlerinnen und Künstler

Die Rollenverteilungen der Instrumentengruppen des Diotima Quartetts in Beziehung zu Hagen Matzeit (Countertenor und Bariton) als Poliphilo und Hanna Herfurtner (Sopran) als Polia sowie Juliane Dennert (Mezzosopran), Barbara Ostertag (Alt) und Luciano Lodi (Bariton) boten faszinierende und fein gewebte musikalische Hörererlebnisse. Beim souverän agierenden musikalischen Leiter Michael Wendeberg liefen die Fäden zusammen. Alle führten die kontrapunktisch oder homophon geschichteten, melismatisch verzierten oder als Hoquetus gesetzten mikrotonalen Verwebungen mit einer atemberaubenden Musikalität aus. Der Name der Oper „Wind“ war zugleich Programm, denn der Luftfluss der Orgelpfeifen und des Gesanges wurden musikalisch verarbeitet, so ließ beispielsweise ein affektgeladener Vokalpart mit Atemgeräuschen aufhorchen.

Viele Wahrnehmungsebenen

Raumgreifende Tongebilde des einzigartigen Orgelinstruments erklangen nur sehr sparsam eingesetzt. Viel mehr steckten kleine Klangkonstellationen der Orgelpfeifen Räume ab und wirkten, als ob unterschiedliche Wahrnehmungsebenen akustisch vermessen würden. Wohl in Anlehnung an das der Oper „Wind“ zugrundliegende Buch von Francesco Colonna, in dem viel die Rede ist von Architektur.
So gab es rund um die Träume des Poliphilo von und mit Polia überbordend viel zu hören, wahrzunehmen und zu entdecken. Um nur zwei inhaltliche Erzählebenen zu erwähnen: Metaphorische Traumszenen mit subtilen, erotisch aufgeladenen Anspielungen und den sakralen Ritualcharakter der Personenführungen mit der ästhetischen Koppelung von bildender Kunst, Musik, fraktalen Symbolen, Lichtempfindungen bis hin zu Duftmarken.

Dominante Sprachkomposition

Alexander Moosbrugger hat sich sehr intensiv mit dem Kunstbuch „Hypnerotomachia Poliphili“ von Francesco Colonna auseinandergesetzt. Die Mehrsprachigkeit des Textes und die vieldeutigen Beschreibungen boten ihm Anleihen bei der Komposition. Vier Sprechrollen integrierte er in seine Oper „Wind“. Die beiden real agieren Personen Anna Clementi und Jürgen Sarkiss sowie jeweils zwei zugespielte Sprechrollen (Anne Müller und Jürgen Sarkiss) erzählten die Geschichte, überhöhten einander und entwickelten sich im Laufe der Handlungsgeschichte als Alter Ego von Polia und Poliphilo.
Genau hierin entfaltete sich in meiner Wahrnehmung ein teilweise großer Widerspruch. Die Sprache, obzwar rhythmisch und in der Vielschichtigkeit der Tonhöhen hervorragend als musikalisches Material in die Komposition mit einbezogen, störte das fantasiereiche, fein ritualisierte Spiel der Sängerinnen und Sänger, des Streichquartettparts und der Protagonisten an den Reglern der klingenden Pfeifen. Unweigerlich impliziert die Sprache eine semantische Ebene. Doch die sprachlichen Inhalte blieben mir in der Fülle des Gebotenen, den Überlagerungen und der Positionierung im Raum – auch akustisch weitgehend unverständlich. Dies wirkte anstrengend und verhinderte die Konzentration auf das für mich Wesentliche, die Musik.