Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 29. Mai 2011 · Musik

Spiegel vorhalten und Verspiegelungen schaffen – Ein abwechslungsreicher Konzert- und Opernabend mit einer europäischen Erstaufführung im Rahmen des Feldkirch Festivals.

Zum Höhepunkt des Feldkirch Festivals spielte das Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung von Domingo Hindoyan Orchesterwerke, die musikalische Beziehungslinien zur Kurzoper „Pedro Malazarte“ von Mozart C. Guarnieri aufzeigten. Im zweiten Teil wurde die mit Spannung erwartete europäische Erstaufführung präsentiert. Der unterhaltsam konzipierte Konzert- und Opernabend bot viel Abwechslung. Einesteils begeisterte das SOV durch seine vitale Spielart. Der Solist Alexander Swete beeindruckte mit seiner virtuosen und zugleich poesievollen Ausdruckskraft. Andernteils wurde „Pedro Malazarte“ von Philippe Arlaud als rasante und farbenreiche Posse inszeniert. Allerdings gab es Diskussionen, ob dieses Bühnenwerk den enormen Aufwand rechtfertigt, der dieser europäischen Erstaufführung voran gegangen ist.

Domingo Hindoyan am Pult des Symphonieorchesters Vorarlberg formte mit bewundernswerter Energie einen mitreißenden und voluminösen Klangcharakter. So erfrischend und mit einem in sich kraftvollen Gesamtklang habe ich das SOV schon längere Zeit nicht mehr gehört. Carlos Farinas Werk „Final Obligado für Kubanische Laute und Streicherorchester“ wurde mit Alexander Swete als Solisten interpretiert. Dramatisch entfalteten die MusikerInnen einen in sich gut strukturierten tremolierenden Klangteppich. Der unruhige Gestus und die hervorragenden Dialoge verbunden mit dem energiegeladenen Spiel des Gitarristen Alexander Swete, bewirkten einen packenden, musikalisch bewegten Klangfluss.

Spürbare musikalische Leidenschaft

Tänzerische Rhythmen, die mit ganz eigenen Gewichtungen gespielt wurden, stellten an diesem Abend ein Markenzeichen des Symphonieorchesters Vorarlberg dar. Domingo Hindoyan vermittelte den MusikerInnen den Esprit der lateinamerikanischen Musik mit klaren Gesten und exakten Einsätzen.

Spannendes Konzert für Gitarre und Orchester

Höhepunkt des ersten Konzertteils war das „Concierto Elegiaco“ von Leo Brouwer, das Alexander Swete als Solist mit dem SOV gestaltete. Die Komposition wurde mit einer knappen melodischen Floskel eingeleitet, die vom Orchester mit signalartigen Motiven beantwortet wurde. Spannend verdichtete sich das musikalische Gewebe, die motivischen Gesten erklangen ständig vergrößert und mit Paukenschlägen akzentuiert. Den emotionalen Gehalt dieses spannenden Werkes kehrte Alexander Swete vor allem in jenen Klanginseln hervor, die er mit ruhiger Gelassenheit ausbreitete. Virtuos ausgestaltet wurde der Schlussteil, in dem die Gitarre mit der Violine und Viola auch kammermusikalisch kommunizierte.

Folklore

Den folkloristischen Touch lateinamerikanischer Musik kehrte vor allem Francisco Mignones Werk „Festa na Bahia“ hervor. Poesievoll und mit dem notwendigen klangschwelgerischen Schmelz wurde eine musikalische Geschichte erzählt. In bester Stimmung und nach einem begeisterten Applaus für Domingo Hindoyan, Alexander Swete und das SOV ging das Publikum in die Pause.

Opernstoff, der aus dem Volksgut stammt

Bevor die mit Spannung erwartete Oper „Pedro Malazarte“ von Mozart C. Guarnieri endlich gezeigt wurde, musizierten noch Felipe Jauregui Rubio (Flöte), Hauke Kohlmorgen (Klarinette) und Alexander Swete (Gitarre) Heitor Villa-Lobos’ Choro Nr. 1 und Nr. 2.

Der europäischen Erstaufführung des „Pedro Malazarte“ gingen lange und umfangreiche Recherchen voraus. Die Programmverantwortlichen Anselm Hartmann und Philippe Arlaud verfolgten die Idee, genau dieses Werk auf die Bühne zu bringen, enthusiastisch und mit Begeisterung. Die Figur des Pedro Malazarte, das Libretto und die Musik von Guarnieri verkörpern nämlich jenes Sujet, das der diesjährige Lateinamerikaschwerpunkt beim Feldkirch Festival zum Ausdruck bringen soll.
Pedro Malazarte ist in den lateinamerikanischen Ländern eine allseits bekannte Figur, ähnlich dem Till Eulenspiegel in Mitteleuropa. Er ist ein liebenswerter, ein wenig hintertriebener, jedoch auch witziger und gewiefter Kerl, der schlaue Späße macht, den Leuten einen Spiegel vorhält und sie nicht ungern über den Tisch zieht. Das Libretto von Mário de Andrade ist eine ideale Grundlage für die national brasilianisch konzipierte Musik von Mozart Camargo Guarnieri. Große Anstrengungen waren von Nöten, um das Werk aufführungspraktisch einzurichten. Extra für diese Aufführung musste der Autograph aus dem Jahr 1932 editiert und als Druck herausgegeben werden.

Gute Besetzung

Gut besetzt waren die Hauptfiguren. Die Sopranistin Maria Weiss als Baiana wirkte mädchenhaft verliebt. Sie formte die Figur der unzufriedenen Hausfrau, die mit ihrem Liebhaber der Enge des Alltags entgehen will, mit leichtfüßigem Charme und guter Stimme. Malazarte wurde vom gut disponierten Bariton Homero Velho verkörpert, der authentisch wirkte. Auch der Tenor Eric Herrero als Alamao zeichnete die Rolle des eher behäbigen und leichtgläubigen Ehemanns gut nach.

Inszenierung mit raffinierten Details

Ein saftiges Grün sowie rot karierte Heimtextilien bildeten den farblichen Grundtenor der Küche in Baianas und Almaos Haus. Hirschgeweihe und eine Madonnastatue nahmen im Raum prominente Plätze ein. Hervorragend zeigte Philippe Arlaud die häusliche Enge durch die nach hinten schmäler werdende Raumperspektive.
Als zentraler Ort des Geschehens diente der Küchentisch. Etwas nervig trippelt Bahia ständig von diesem durch die Türe hinaus in die Küche, um Speisen zu holen. Für den Ehemann gibt es stets Ragout, ihrem Liebhaber serviert sie jedoch die feinsten Speisen. Baiana vergisst auf ihrem Weg zur Küche nie, der Madonnenstatue Tribut zu zollen. Während sie auf den Liebhaber wartet, verdeckt sie diese mit einem Tuch, zwischendurch schickt sie ein Stoßgebet hoch und bekreuzigt sich.
Malazarte macht keinen Hehl daraus, dass er von den Speisen der Baiana mehr angetan ist, als von ihren verführerischen Reizen, denn er hat Hunger. Als Almao überraschend von einer Reise nach Hause kommt, ertappt er Malazarte und Baiana in der Küche. Er stellt ihn zur Rede, verfällt jedoch umgehend einer List Malazartes. Dieser macht ihn betrunken und nebenbei redet er dem leichtgläubigen Almao noch ein, seine schwarze Katze habe seherische Fähigkeiten.
Zwei musikalische Höhepunkte belebten die Handlung. Zuerst war es das Lamento der Baiana, als sie erkannte, dass Malazarte sie nicht auf seine Wanderschaft mitnehmen will. Hervorragend gestaltet war auch Malazartes Anpreisung seiner Katze. Damit verstärkte er Almaos Wunsch die Katze unbedingt besitzen zu wollen.

Gut disponierter „Kammerchor Feldkirch“

Eine originelle Lösung fand Philippe Arlaud für den Chor, der einen wichtigen kommentierenden Part innehat. Das Libretto ist gespickt mit Analogien aus der Natur, zahlreiche Vogelarten werden erwähnt. So waren die Chormitglieder des gut disponierten „Kammerchores Feldkirch“ als Vögel verkleidet. Die Decke des Raumes öffnete sich für die Chorpassagen und belebte das Bühnengeschehen.

Illustrative Musik

Mozart C. Guarnieri hat eine rasante und illustrative Musik komponiert, die den humorvollen Charakter der drei Protagonisten unterstreicht. Das SOV musizierte über weite Strecken prägnant, lediglich das Vorspiel wirkte etwas diffus. Vor allem die Bläser traten an Schlüsselstellen mit markanten Motiven hervor. Mit dunklen Klangfarben und sinkenden Tonhöhen wurde die geistige Umnebelung des betrunkenen Almao nachgezeichnet. In den fallenden Motiven kam auch Malazartes Geplapper zur Geltung, als er seine Katze anpries. Teilweise musizierte das Orchester fast zu laut, so dass die Sopranistin in einigen Passagen gegen den dominanten Orchesterpart anzukämpfen hatte. Kurz und bündig ging die Posse zu Ende. Allerdings wirkten die tanzenden ChorsängerInnen im Nachspann etwas unvermittelt.

Gedanken nach einem langen Abend

„Pedro Malazarte“ ist eine unterhaltsame Kurzoper, die gesellschaftliche und national brasilianische Idiome aufzeigt. Beispielsweise ist Almao ein deutscher Zuwanderer in zweiter Generation, seine "altvätrischen" Ansichten zur Rolle der Frauen werden angesprochen. Baiana ist eine Frau mit afrikanischen Wurzeln, die gut kochen kann, jedoch die Enge des Alltags nicht mehr ertragen möchte. Malazarte ist ein Verführer, wie er im Buche steht.
Viele Dinge kann man in diese Geschichte hinein interpretieren. Man kann sie aber auch einfach als das stehen lassen, was sie ist. Dies ist vor allem deshalb nahe liegend, weil die drei Charaktere einfach gezeichnet sind und keine handlungsspezifischen Veränderungen oder Entwicklungen aufgezeigt werden. So gesehen ist die Oper „Pedro Malazarte“ eher einfach gestrickt, eine Posse eben, vielleicht auch eine Parabel.
Ich habe mich gefragt, ob sich der enorme Aufwand gelohnt hat, um genau Guarnieris „Pedro Malazarte“ zweimal in Feldkirch zur Aufführung zu bringen. Zumal es, mangels anderer geeigneter Bühnenwerke, die Option gegeben hätte, ein neues Werk in Auftrag zu geben. Bei allem Respekt vor der farbenreichen Kompositionstechnik Guarnieris wirkte die Musik konservativ und lediglich illustrierend. Wirklich spannende Beziehungslinien, die Charaktere oder emotionale Inhalte musikalisch ausdeuteten, waren meiner Wahrnehmung nach nur rudimentär auszumachen.