Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Peter Füssl · 29. Sep 2022 · Musik

Spannende musikalische Interventionen – onQ-Musiker:innen bespielen die „Beauty“-Ausstellung von Sagmeister & Walsh im vorarlberg museum

Zur Ausstellung „Beauty“ von Stefan Sagmeister und Jessica Walsh, die nach der Premiere im Wiener MAK und nach Corona-bedingten Verschiebungen nun schon seit 8. April und noch bis 16. Oktober im vorarlberg museum zu sehen ist, kann man stehen, wie man will: Man kann die Beschäftigung des erfolgreichen Grafikdesign-Duos mit dem Thema „Schönheit“ als plakativ, provokant, anmaßend oder oberflächlich abtun, man kann sie aber auch vielschichtig, inspirierend, sinnlich und extravagant finden. Unterhaltsam ist sie allemal, und die Idee des aus Hohenems stammenden und in Wien lebenden Bassisten Tobias Vedovelli, „Beauty“ mit musikalischen Interventionen zu bespielen, ließ sich auf höchst originelle Weise in die Realität umsetzen.

Architektur als spezieller Klangraum genutzt

Tobias Vedovelli, der während des ersten Corona-Lockdowns und der damit verbundenen Zwangspause gemeinsam mit dem Tiroler Pianisten Michael Tiefenbacher das vielfältige musikalische Vernetzungsprojekt onQ ins Leben gerufen hatte, ließ sich nicht nur von einzelnen Ausstellungsobjekten oder Fragestellungen inspirieren, sondern nutzte auch die ganz besonderen akustischen Verhältnisse im vorarlberg museum. So spielte er gleich zu Beginn mit Tiefenbacher ganz unten im Eingangsfoyer unter einem Himmel aus rhythmisch atmenden Luftpolstern, als sich überraschenderweise aus dem vierten Stock das expressive Saxofon von Leonhard Skorupa zum aufwühlenden, sich über die ganze Tastatur erstreckenden Parforceritt gesellte. Das sich über alle Stockwerke hinziehende offene Atrium im vorarlberg museum machte dieses sehr spezielle Klangerlebnis möglich.

Musikalische Grundbausteine für Vogelschwärme oder den „Color Room“

Anschließend verlegte sich das Geschehen in die vierte Etage, wo einzelne Stationen bespielt wurden. „Ich habe die Ausstellung schon vom MAK her gekannt, habe sie mir aber nochmals angeschaut und ein paar Fotos und Notizen zu Dingen gemacht, die mir relativ gut musikalisch umsetzbar und verwertbar erschienen sind. Ich habe also ein paar Ausstellungsstücke zu Stationen gemacht und dazu etwas geschrieben“, erklärt Vedovelli seinen Ansatz. „Es handelt sich ja teilweise wirklich um durchkomponierte Stücke, teilweise sind es aber auch Spielanweisungen oder Kompositionsvorgaben. Also keine traditionellen Partituren, sondern zum Beispiel graphische Anweisungen als Instruktionen für die Instrumentalisten, die auch für völlig verschiedenartige Besetzungen funktionieren.“ Es wird ja noch zwei weitere Abende im vorarlberg museum mit anderen onQ-Musiker:innen geben.
Am Premierenabend war die experimentierfreudige, in Wien lebende Violinistin Joanna Lewis, die man vom Koehne Quartett, Klangforum Wien, Vienna Art Orchestra und von vielen anderen Ensembles her bestens kennt, mit dabei. Sie spielte in einer kleinen Kabine zu sich über einen raumfüllenden Bildschirm bewegenden Vogelschwärmen, die über drei Joysticks von den Zuschauer:innen in ihren Flugbewegungen manipuliert werden konnten. Dazu nutzte sie alle Ausdrucksformen ihres Instruments, bis hin zu witzigen Zwitscherlauten. Später gesellte sich Leonhard Skorupa auf der Oboe dazu. Was an diesem Abend nach reinen Improvisationen klang, war aber, so Vedovelli, tatsächlich eine Mischform: „Es gibt Fragmente, die über alle Stationen verteilt sind. Es sind sechs verschiedene Ideen, teilweise einfach Aneinanderreihungen von Tönen oder Akkordstrukturen, die bei Solopartien einfach willkürlich verwendet, miteinander verwoben oder in abgeänderter Form eingesetzt werden können. Sie sollen als eine Art Input dienen. Zum Beispiel bei den ‚Vögeln‘ funktioniert das für Solo und Duo als Vorgaben, die auf die Parameter, die man selber einstellen kann, abgestimmt sind.“ Es handelt sich also um eine Art musikalische Bausteine, die von den Musiker:innen individuell eingesetzt werden können, wobei sowohl zeitlich als auch vom Ablauf her viel Spielraum offen bleibt.
Weiter ging’s im „Color Room“, wo Vedovelli und Skorupa in entsprechende Mäntel und Hüte gekleidet in den zwischen Gelb und Rosa changierenden Karomustern der Innenflächen verschwimmen und der dreidimensionale Raum in ein zweidimensionales Gemälde überzugehen scheint. Dieser witzige Camouflage-Effekt war glücklicherweise auf das Visuelle beschränkt und tat den abwechslungsreichen Duo-Exkursionen der Akteure keinerlei Abbruch.

„Ugly Beauty“ im Panoramasaal

Eine besondere Atmosphäre bot auch der Panoramasaal, wo Lewis, Skorupa, Tiefenbacher und Vedovelli mit dem mit grauen Regenwolken verhangenen Bodensee als imposante Hintergrundkulisse die einzige Fremdkomposition des Abends, Thelonious Monks 1967 geschriebenen einzigen Walzer „Ugly Beauty“ interpretierten. Eine wundervolle, voller Inbrunst geblasene Melodie auf dem Saxofon, eine von zarten E-Piano-Wolken umschwebte Geigenmelodie, als ob Lewis den Grappelli in sich entdecken wollte – Melodie und Harmonie in Vollendung? Schnell noch ein bisschen Dekonstruktion und Reibungsflächen eingebaut, denn – man ahnt es – perfekte Schönheit wäre möglicherweise ein bisschen langweilig. Wie sehr wurde denn Tobias Vedovelli vom Motto Schönheit bzw. vom Gedanken an die Schönheit in der Musik beeinflusst? „Tatsächlich schon sehr. Gerade die Intro-Nummer ist für mich schon ein Ausdruck von Schönheit. Die Fragmente dazu schwirrten schon länger in meinem Kopf herum und ich hielt sie nun von der Thematik her für genau passend. Bei anderen Stücken spielt das Thema Schönheit nicht die tragende Rolle, sondern eher die Fragestellung des jeweiligen Objekts, obwohl die sich ja letztlich auch immer innerhalb eines Spannungsfelds von Schönheit oder deren Gegenteil bewegen. Widersprüche und Spannungen wie bei ‚Ugly Beauty‘ haben heute auch bestens funktioniert. Meine Musik lebt sehr von harten Brüchen und von harten Kontrasten. Ich finde, jedes Attribut, das man der Musik irgendwie zuschreiben kann, hat auch seine Berechtigung. In diesem Umfeld kann man sich halt unter anderem mit der Schönheit spielen.“

Großes Finale im Atrium 

Zurück beim Flügel im Atrium verabschiedete sich das onQ-Quartett mit der längsten Komposition des Abends – vollgepackt mit impressionistischen und romantischen Klangbildern, unglaublich Kraftvollem und Hauchzartem, Melodiösem und Dissonantem, Anschmiegsamem und Sich-Reibendem, Lyrischem und ganz großem Drama. Ein sehr emotionales Stück, das die gesamte Gefühlswelt musikalisch ausschöpft. „Ich habe mich sehr von einer Improvisation beeinflussen lassen, die ich gemeinsam mit Mike Tiefenbacher aufgenommen habe. Ich habe mir diese Aufnahmen oft angehört und gewisse Stimmungen und Fragmente daraus herausgenommen. Heute hat es sich tatsächlich so ergeben, dass wir ziemlich lang auf einer Phrase hängengeblieben sind, das hat sich so ineinander gewurstelt, hat dann aber einen witzigen Turn-out genommen. Das war irgendwie auch das Ergebnis dieser sehr speziellen Akustik hier im turmhohen Atrium. Hier kann man einfach auch mal einen Ton stehen lassen, der dann aufsteigt.“

Wer’s versäumt hat: Tobias Vedovelli wird am 1.10. im Rahmen der Langen Nacht der Musik und am 5.10. nochmals die „Beauty“-Ausstellung bespielen – mit demselben Konzept, allerdings mit anderen Musiker:innen aus dem mittlerweile rund 50-köpfigen onQ-Kollektiv.

onQ Festival in Vorarlberg

vorarlberg museum
Sa, 1.10., 22.30 Uhr (Lange Nacht der Museen): musikalische Führung mit Martin Eberle (tp), Stepan Flagar (reeds), Tobias Vedovelli (b)
Mi, 5.10., 18 Uhr: musikalische Führungen mit Yvonne Moriel (reeds), David Soyza (vibes), Tobias Vedovelli (b)
Fr, 14.10., 20 Uhr: onQ Vibes & Strings

Saumarkt Feldkirch
Mi, 12.10. onQ feat. Patricija Skof (voc)

Spielboden Dornbirn
Do, 13.10., 20.30 Uhr: onQ x Jazzorchester Vorarlberg feat. Maria Hofstätter & Wolfgang Puschnig
„Toni & Moni – Anleitung zum Heimatroman“ von Petra Piuk

www.onqmusic.at