Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 08. Jul 2015 · Musik

Spannende Bregenzer Festspiele: In „Turandot“ wird Mike Galeli 26mal geköpft, in „Hoffmanns Erzählungen“ gibt es eine Conchita-Wurst-Episode

Genau zwei Wochen vor Beginn der 70. Bregenzer Festspiele wurden am Mittwoch Vertreter von Print- und elektronischen Medien beim Pressetag des Festivals in Form von Diskussionsrunden unter der kundigen Leitung von Pressesprecher Axel Renner über Probenverlauf und Hintergründe der beiden Hauptproduktionen informiert. Eröffnet werden die Festspiele heuer mit Giacomo Puccinis Oper „Turandot“ auf der Seebühne, tags darauf folgt Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ im Festspielhaus.

Von den 179.000 Tickets, die für 26 Vorstellungen am See inklusive zusätzlicher Sitzreihen aufgelegt wurden, sind laut dem Kaufmännischen Direktor Michael Diem derzeit rund 80 Prozent verkauft, 30.000 Karten sind noch erhältlich, vor allem für August. „Niemand hätte gedacht, dass wir mit ‚Turandot‘ einmal auf Augenhöhe mit der erfolgreichen ‚Aida‘ liegen würden“, so Diem nicht ohne Stolz. Auch für den „Hoffmann“ im Haus mit diesmal fünf Vorstellungen wurden bisher doppelt so viele Karten verkauft wie in den Vorjahren bis zum Ende der Saison.

„Turandot“ auf mehreren TV-Kanälen gleichzeitig


„Turandot“ wird zudem zum TV-Medienereignis, wenn die zweite Vorstellung als Dreiländerprojekt von SWR, ORF 2, SRF zwei und 3sat in zwei Versionen gesendet wird – von 3sat als komplette Liveübertragung mit deutschen Untertiteln, von den anderen Stationen als kommentierte Reportage, die dem Zuschauer zwischendurch auch einen Blick hinter die Kulissen und damit einen näheren Zugang erlaubt.

Die neue Festspielintendantin Elisabeth Sobotka erzählt in diesem Zusammenhang über eine Begegnung mit der großen Opernsängerin Brigitte Fassbaender, die zur Vorbereitung einer „Cosi fan tutte“-Aufführung der Festspiele in Bregenz weilt und angesichts der riesigen chinesischen Mauer spontan meinte: „Das ist ja das perfekte Bühnenbild für den Ort – und  funktioniert sogar ohne Beleuchtung!“ Ein Kompliment, wie es für Sobotka kein schöneres geben kann.

Beide Opern sind Fragmente geblieben


„Turandot“ von 1920 und „Hoffmanns Erzählungen“ von 1881 – zwei Werke aus dem Bereich der romantischen italienischen, bzw. französischen Oper in Originalsprache.  Ein orientalisches Märchen und eine phantastische Vorlage um die Geschichte des Dichters E. T. A. Hoffmann, die als Musikdramen beide unvollendet geblieben sind, weil ihre Komponisten nicht mehr weiter wussten (Puccini) oder darob verstarben (Offenbach). In beiden Fällen wird eine „Bregenzer Fassung“ erstellt, die dem Ort und dem Ereignis gerecht wird und zumindest als eine Art Teil-Uraufführung gelten kann. Was die Psychologie des Handlungsablaufs betrifft, so agieren die beiden Regisseure unterschiedlich. Während Marco Arturo Marelli bei „Turandot“ angesichts der Größe und Weite der Seebühne eine intensive psychologische Deutung für ziemlich wirkungslos hält, ist Stefan Herheim im Haus penibel um eine starke Deutung in diese Richtung bemüht.

Marelli, der erstmals in Bregenz arbeitet und dies zugleich als Bühnenbildner und Regisseur, über den Stand der Probenarbeiten: „Es ist halt schwer, in dieser kurzen Zeit mit drei verschiedenen Besetzungen der Hauptpartien dieses Stück einzustudieren. Auch das Wetter macht es uns nicht einfacher – die letzten Tage war es so heiß auf der Bühne, dass wir nicht draußen bleiben konnten. Heute ist es wieder zu kalt.“ Dirigent Paolo Carignani, der ebenfalls in Bregenz debütiert, freut sich auf die berühmte „Bregenz Open Acoustics“-Anlage: „Wir werden zusammen mit der Technik für einen optimalen Sound sorgen.“

Turandots Entwicklung zur liebenden Frau


Die Sopranistin Katrin Kapplusch, eine der drei „Turandots“ am See: „Mir ist es wichtig, dass wir es gemeinsam geschafft haben zu zeigen, dass die eisumgürtete Prinzessin es am Schluss wirklich schafft, zu ihrem eigenen Menschsein vorzudringen. Sie schält sich aus ihrer Rolle, überwindet ihre Panik und geht auf diesen Menschen Kalaf zu. Und so wird das ein Happy End, wie es sich die meisten erwarten und erwünschen, aber es ist dennoch Entwicklung nötig.“ Welche Rolle spielt denn eigentlich Mike Galeli, der türkischstämmige „Mister Austria“, TV- und Filmschauspieler und Model, in dieser Runde? Axel Renner, schmunzelnd: „Er wird als persischer Prinz diesen Sommer 26 Mal geköpft!“ Galeli ergänzt, Festspielpräsident Hans-Peter Metzler habe ihn für diese Rolle angeworben, die keinerlei sängerische, aber schauspielerische Anforderungen an ihn stellt: „Es ist eine große Ehre für mich, hier mitzuwirken, auch wenn ich einiges dafür verschieben musste. Es ist eine zwar kleine, aber dramatische Rolle und für mich einfach ein ‚geiles‘ Gefühl!“ Und Regisseur Marelli ergänzt: „Ich wollte einfach den schönsten Mann von Vorarlberg für diese Rolle haben.“

Stefan Herheims Abenteuer


Im Festspielhaus wird ebenso intensiv geprobt wie am See, für „Hoffmanns Erzählungen“ vor einer riesigen, verwandelbaren Treppe als zentralem Bühnenelement. Für den international höchst gefragten norwegischen Regisseur Stefan Herheim, der ebenfalls zum ersten Mal in Bregenz arbeitet, ist es die erste Inszenierung dieser Oper, die ihn seit seiner Kindheit fasziniert: „Diese Inszenierung ist für mich ein Abenteuer mit offenem Ausgang. Aber wir packen es an in einer Art, die sich in den letzten 21 Tagen als sehr vielversprechend erwiesen hat. Ich habe auf den vielen komplexen Ebenen dieses Stückes versucht, mit dem Bruch des Unfertigen, aber auch der unglaublich tiefsinnigen Struktur Offenbachs umzugehen. Wir wollen in unserer Fassung das Unfertige dieses Stücks nicht vollenden, sondern einfach begreifen mit seiner glänzenden Offenbachschen Fassade und ihren tiefen Abgründen. Das Stück ist ein Aufbruch in die moderne Psyche, auch in der Genderfrage, die da drinsteckt. Für mich etwa ist Stella ein Mann, ein Travestiekünstler, in seiner Mehrdeutigkeit als perfekter Illusionist. Also eine Art Conchita-Wurst-Geschichte – aber ohne Bart!“

Dirigent Johannes Debus war bereits in Wien, um mit den Wiener Symphonikern dieses Werk vorzuproben: „Es ist aus meiner Sicht echtes Musiktheater, die Musik ist generiert aus dem Bühnengeschehen und umgekehrt. Das Stück wurde ja nicht nur für die Pariser Opéra Comique geschrieben, sondern auch für die Hofoper in Wien, also ein Werk, das nach Wien gehört und das auch ein Wiener Orchester als Seins zu verstehen hat. Die Musiker haben einen Sinn vor allem auch für den Humor dieser Musik, ein sehr wichtiges Element bei Offenbach.“

Michael Volle ist auf Finsterlinge abonniert


Bariton Michael Volle, der die vier Bösewichte als Rollendebüt singt: „Es ist für mich wahnsinnig spannend, man macht sich viele Gedanken darüber. Ich kannte Stefan Herheim schon von zwei wunderbaren Produktionen und wusste, dass einem da sehr viel abverlangt wird. Aber man will es ja auch gar nicht anders. Da ist alles sehr differenziert, nicht bloß als schablonenhaftes Abbild eines Finsterlings.“

Und Elisabeth Sobotka entkräftet bei dieser Gelegenheit Vorwürfe, sie wäre bei ihrer Planung nach den spannenden Uraufführungen Pountneys als Hausopern nun zum bloßen Repertoire zurückgekehrt, wie man es überall auf der Welt sehen könnte: „So kann niemand argumentieren, der das Stück genauer kennt. Ich habe gehofft, dass da etwas ganz Spezielles, Eigenes daraus entstehen wird, und das wird jetzt durch diesen ganz konzentrierten, kreativen und spannenden Entwicklungsprozess bei den Proben bestätigt, wie ich ihn noch nie erlebt habe.“

Hauptproduktionen der Bregenzer Festspiele 2015:

„Turandot“, Oper von Giacomo Puccini
Premiere: Mi, 22. Juli, 21.15 Uhr, Seebühne, weitere 25 Folgeaufführungen bis 23. August

„Hoffmanns Erzählungen“, Oper von Jacques Offenbach
Premiere: Do, 23. Juli, 19.30 Uhr, Festspielhaus, weitere 4 Folgeaufführungen

www.bregenzerfestspiele.com