Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Fritz Jurmann · 02. Nov 2010 · Musik

Späte Ehrenrettung für einen Barockkomponisten - Werke von Pergolesi und Vivaldi bei "Musik in Herz Jesu"

Fast wie im richtigen Leben: Freude und Schmerz, Jubel und Trauer liegen oft so eng beieinander wie in jenen beiden berühmten Werken des Barock, die am Sonntag in der Bregenzer Reihe „Musik in Herz-Jesu“ das dortige Konzert prägten. Giovanni Battista Pergolesis „Stabat mater“ und Antonio Vivaldis „Gloria“ erklangen unter der Gesamtleitung von Wolfgang Schwendinger auf exzellentem Niveau und, dank der Mitwirkung des heimischen Originalklangensembles Concerto Stella Matutina, auch erstmals in diesem Rahmen in authentischer Wiedergabe. Neben Schwendingers sehr verlässlichem KornmarktChor sorgten vor allem die beiden international gefragten Vokalsolisten, die Bregenzer Sopranistin Miriam Feuerstein und der Innsbrucker Altus Markus Forster, für Glanzlichter.

Mit Pergolesi ist das freilich so eine Sache. Die Musik des mit nur 26 Jahren frühvollendeten italienischen Barockmeisters polarisiert noch heute, im Jahr seines 300. Geburtstags. Da scheiden sich die Geister und die Geschmäcker: Die einen finden sie zu fad, zu schal – andere wiederum können nicht genug davon kriegen. Anlass für Schwendinger als „Haus-Dirigent“ von Herz-Jesu, mit einer Rückführung des „Stabat mater“, Pergolesis oftmals bearbeitetem bekanntesten Werk, auf seine Originalgestalt auch die letzten Zweifler zu überzeugen und dem Komponisten damit gewissermaßen zu einer späten Ehrenrettung zu verhelfen.

Vokalsolisten erwiesen sich als Glücksfall

Schwendinger tat dies aber ebenso, indem er dem Werk neben Entdeckerfreude  auch viel Liebe, Ernst und eine unglaubliche Portion an Aufführungsqualität mit auf den Weg gab, wobei er all die feinen kompositorischen Fassetten der Partitur freilegte und auskostete, die Pergolesis Anhänger bis heute so entzückt: Die lautmalerische Symbolik um den Schmerz der Muttergottes, die ihren Sohn am Kreuz betrauert („Christi Mutter stand mit Schmerzen“), das Leid in den seufzend ausgekosteten Dissonanzen, aber auch die lichtvolle Hoffnung, die in einem tief begründeten Glauben verankert ist. Als Glücksfall erwiesen sich dabei die beiden Vokalsolisten, die in ihren tragenden Partien diese Wiedergabe entscheidend prägten, getragen von einer kleinen Streicherbesetzung mit Orgelcontinuo des Concerto Stella Matutina unter Führung von Konzertmeisterin Silvia Schweinberger.
Miriam Feuersinger, die heute bei Basel lebt und in ihrer Konzentration auf Alte Musik eine fantastische Karriere macht, setzte ihren kostbaren Sopran stilistisch überzeugend und ausdrucksvoll ein, mit Wärme und Anteilnahme die Gefühlslage dieser Situation beleuchtend. Ihre Höhe ist wunderbar leicht, die Koloraturen sind geschmeidig. Zusammen mit dem Altus Markus Forster und seiner kunstvoll  beherrschten, farbenreichen männlichen Altstimme nach originalen Vorgaben entstand so gleich das erste Duett „Stabat mater“ in wunderbarer imitatorischer Umschlingung der beiden Stimmen wie aus einem Guss, die Aussprache blieb auch in der monumentalen Kirchenakustik stets verständlich. Zum eindrucksvollen dramaturgischen Höhepunkt wurde dann das gemeinsame „Fac, ut ardeat cor meum“ in der inhaltlichen Erkenntnis, dass irdischer Schmerz nur in der Liebe zu Gott überwunden werden kann.

In einem überirdischen Schwebezustand

Stand dieses Werk von seinem Stimmungsgehalt her dem Gedanken des Totengedenkens von Allerseelen nahe, so konnte das folgende „Gloria“ von Vivaldi als Verherrlichung der Auferstandenen im Geiste des Festes von Allerheiligen gelten, der Erfüllung in der himmlischen Erlösung bei Gott. Und diese gedachte Achse vom  Dunkel ins Licht erstrahlte imponierend. Selten einmal hat man dieses oft strapazierte Werk so sinnerfüllt vernommen wie hier: jubelnd im Bewusstsein der Verklärung im Lob Gottes, losgelöst von allem Irdischen, oft fast wie in einem musikalischen Schwebezustand. Wolfgang Schwendinger ist es auch hier gelungen, die Sänger und Musiker auf seine Intentionen einzuschwören und diese mit einer kompetenten, überlegenen Führung perfekt abzurufen.
Sein bewährter KornmarktChor von 24 ausgesuchten Stimmen zeigte sich schlank und dennoch durchschlagskräftig, so dynamisch und beweglich im Ansatz, wie man es sich nur wünschen kann, und in bester stimmlicher Verfassung. Das war auch notwendig, denn Vivaldis „Gloria“ ist in erster Linie ein höchst anspruchsvolles Chorwerk. So gelang das Herzstück des Werkes, das ganz dem Friedensgedanken verpflichtete „Et in terra pax“, in imponierender Geschlossenheit, die „Cum sancto spiritu“-Fuge in drängender Dramatik. Das nun auf volle Stärke aufgerüstete Orchester samt Trompete und Oboe verströmte barocke Klangpracht, ohne dass die Transparenz darob abhanden gekommen wäre. Die Solisten erfüllten auch hier ihre Aufgaben wie das terzenselige „Laudamus te“ oder den Ohrwurm „Domine Deus“ als Duett von Sopran und konzertierender Oboe in glänzender Weise. Schade, dass genau in diesem Moment das Vollgeläute der Herz-Jesu-Kirche zum folgenden Feiertag einsetzte. Nach kurzer Pause wurde das Konzert fortgesetzt, die Zustimmung der voll besetzten Kirche am Schluss war bewegend.