Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 28. Jul 2009 · Musik

Sinn & Sinnlichkeit hautnah erfahrbar gemacht - Das erste Orchesterkonzert im Rahmen der Bregenzer Festspiele wurde zu einem frenetisch gefeierten Ereignis

Im ersten Orchesterkonzert der diesjährigen Bregenzer Festspiele erlebte das Publikum die dem Festival zugrunde gelegten Leitgedanken „Sinn & Sinnlichkeit“ überaus imposant mit. Die Wiener Symphoniker musizierten unter der Leitung von Paul Daniel das „Stabat Mater“, op. 53 und die dritte Sinfonie, „Das Lied von der Nacht“ von Karol Szymanowski. Eine faszinierende Begegnung ermöglichte Martin Fröst. Er interpretierte auf der Bassetklarinette Mozarts berühmtes Klarinettenkonzert auf bisher ungehörte Art und Weise und riss damit die KonzertbesucherInnen von den Sitzen.

Meine anfängliche Skepsis zur Programmgestaltung mit Werken von Szymanowski und Mozarts berühmtem Klarinettenkonzert wich schon während der ersten Konzerthälfte einer hellen Begeisterung, denn schon mit Szymanowskis „Stabat Mater“, op. 53 (1925) ermöglichten die Wiener Symphoniker gemeinsam mit den SolistInnen Tatiana Serjan (Sopran), Liubov Sokolova (Alt) und Scott Hendricks (Bariton) sowie dem Sängerensemble der Stadt Kattowitz und dem Polnischen Rundfunkchor Krakau ein eindringliches Musikerlebnis. Ein fein gesponnener Pianoklang in den Holzbläsern und emotional tiefgründige chromatische Linien nach unten schufen die Grundstimmung für Szymanowskis „Stabat Mater“, das die herausragende Sopranistin mit einem bewundernswert ausdrucksstark gestalteten Sopransolo mit Chor einleitete. Transparent formte das Orchester die harmonisch bedeutenden Schaltstellen und der Chor setzte Wortbetonungen und -rhythmisierungen akzentuiert. Mit kraftvollen Tonballungen bäumte sich die Musik in Fortepassagen auf, in denen die parallel geführten Chorstimmen eine besondere Tragkraft bewiesen.

Mächtig und geheimnisvoll

Den zweiten Eckpfeiler des Konzertabends bildete die dritte Sinfonie, „Das Lied von der Nacht“, ebenfalls von Karol Szymanowski. Dieses Werk entstand elf Jahre vor dem „Stabat Mater“ und zeigte eindrücklich, wie modern und auf der Höhe seiner Zeit Szymanowski komponiert hat. Als Reverenz an den persischen Dichter und Mystiker Jalal-al-din Rumi legte der Komponist seiner Sinfonie einen arabischen Text zugrunde. Dieser wurde vom Tenor Will Hartmann beeindruckend gedeutet. Der riesige Orchesterapparat bot vielschichtige Möglichkeiten, um den dicht durchwobenen Satz mit übereinander gelagerten melodischen Linien und Rhythmen variantenreich auszugestalten. So erreichte die Werkdeutung eine unterschwellige Spannung, mit präsenten Trommelrhythmen, rezitierenden Chorpassagen und einem in den Vordergrund gestellten Violinsolo. Allmählich führte das Orchester den musikalischen Strom zum Kulminationspunkt, der sich mit gleißenden Klängen schubartig entladen konnte. Besonders beeindruckend vollzogen die Symphoniker die Stimmungswechsel mit den vielgestaltigen Klangfarbenspektren vom vollen Orchestereinsatz zu reduzierten Tonlinien im Piano. Spannend waren überdies der Verlauf der Themenzusammensetzungen und deren Zergliederung nachvollziehbar. Dies war auch dem Engagement und der genauen Diktion des Dirigenten Paul Daniel zu verdanken, der mit ganzem Körpereinsatz das Orchester und den Chor dirigierte.

Musik strömte durch den Körper hindurch

Körpereinsatz bestimmte über weite Strecken dieses herausragende Konzertereignis. Denn als Martin Fröst mit seiner Klarinette auf die Bühne trat, wurde durch seine Körpersprache sofort klar, dass hier ein Ausnahmemusiker auf der Bühne steht. Schöner und ausgeklügelter in sämtlichen Details der Motivgestaltung, der Klangfarbemodulation am Instrument und der Phrasierung kann man Mozarts Klarinettenkonzert wohl nicht spielen. Das ergreifende Pianissimo, mit dem der Solist viele Passagen auch ganz neu beleuchtete, stellte die Orchesterpartner vor enorme Herausforderungen. Martin Fröst kommunizierte mit den einzelnen MusikerInnen direkt, und seine Körperhaltung gab analytische Aufschlüsse darüber, wie der klassische Satz aufgebaut ist. Diejenigen, die diese Werkdeutung erlebt haben, werden sie wohl nicht mehr vergessen. Die KonzertbesucherInnen applaudierten glücklich und frenetisch, da passte die Klezmermelodie „Let’s be happy“ ausgezeichnet als Zugabe. Auch über dieses Musikstück ließen sich Lobeshymnen schreiben.