Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 13. Feb 2022 · Musik

Sie ließen sich den Mut nicht rauben – eindrucksvolles Musik-Theater-Konzert mit Liedern und Texten von Verfolgten im Vorarlberger Landestheater

Zu einer ebenso aufrüttelnden wie informativen Musik-Theaterperformance lud das Vorarlberger Landestheater. Unter dem Titel „Ach, schön ist die Welt“ führten die Mezzosopranistin Natascha Petrinsky und Thomas Kamper als Conférencier, am Klavier begleitet von Willi Konstantin in die Welt des Kabaretts und des Wiener Liedes in den 1930-er Jahren. Dabei zeichneten sie die Schicksale der jüdischen Schriftsteller, Librettisten und Sänger Franz Engel, Fritz Grünbaum und Louis Taufstein nach. Texte der Schriftstellerin Tamar Radzyner beschrieben die dunkelsten Abgründe menschlichen Leids. Hermann Leopoldis Lieder, Texte und Aufzeichnungen bildeten den roten Faden. Trotz der mitunter furchtbaren Inhalte verströmte die feinsinnige Dramaturgie des Musik-Theaterprojektes von Sibylle Fritsch eine unterhaltsame und zuversichtliche Grundstimmung.

Die gesellschaftlichen und politischen Lebensumstände in den 1930er Jahren mit dem immer stärker zu Tage tretenden Antisemitismus, den schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen und der wirtschaftlichen Not, verstärkte die Kreativität von Künstler:innen in bewundernswertem Maß. Kabarett, Chanson, Comedy, Varieté, Schlager und Wienerlied bereicherten damals musikalisch die von vielen Seiten bedrohten Lebenswelten.
Protagonist:innen dieser Zeit waren unter anderem Franz Engel, Fritz Grünbaum, Fritz Löhner-Beda und Louis Taufstein, Hermann Leopoldi und die Schriftstellerin Tamar Radzyner. Ihnen setzte Sibylle Fritsch mit ihrem Musik-Theater „Ach, schön ist die Welt“, Lieder aus Zeiten von Kabarett und Verfolgung, ein vielschichtiges musikalisch-literarisches Denkmal, das im Theater-Café des Vorarlberger Landestheaters in der Dramaturgie von Karl Baratta zu erleben war.
Thomas Kamper spannte als sensibel und hintergründig agierender Conférencier und Sänger den großen inhaltlichen Bogen. In den Liedern, die Natascha Petrinsky vielgestaltig interpretierte, wurden im Wesentlichen drei Wirkzusammenhänge der Musik erlebbar. Musik als Mittel, widrige Zeitumstände mit einem hintergründigen Humor zu meistern, Musik als Mittel eines mutigen Widerstandes auch in aussichtslosen Situationen sowie Musik als Mittel zur Erniedrigung und Demütigung.
Einen tiefen Eindruck hinterließ jener Teil, in dem die Schicksale der jüdischen Künstler:innen in den Konzentrationslagern aufgezeigt wurden. Häftlinge mussten bis zur totalen Erschöpfung Volkslieder singen und ständig wiederholen. Im Konzentrationslager Buchenwald wurde befohlen, ein Lagerlied zu komponieren. Daraufhin schufen Hermann Leopoldi und Fritz Löner-Beda das berühmte Buchenwaldlied, das zur heimlichen Hymne der Inhaftierten avancierte. Aus dem Konzentrationslager Stutthof stammt der erschütternde Text von Tamar Radzyner. Mit monotonem Grundton wurde er von Thomas Kamper rezitiert, wobei die Kernaussage, „ich hatte zwei lange blonde Kinderzöpfe | mein Schädel ist abrasiert | Ich hatte die verschämte junge Weiblichkeit | Nun bin ich keine Frau. Ich bin ein Tier“ besonders nahe ging. Überdies unterstrichen das jiddische Lied „Vayl ikh bin a Yidale“ und die vorgetragenen Erinnerungen Hermann Leopoldis aus dem Konzentrationslager die menschenverachtenden Zustände. Wort und Musik verbanden sich zu einem Ganzen.

Unterschiedliche Lebenswelten

Doch das Musik-Theater von Sybille Fritsch zeigte nicht nur die erschütternden Schicksale auf, sondern gewährte auch ironisch-humorvolle Einblicke in die Zeit vor und nach dem Weltkrieg. Beispielsweise das aufkommende Freiheitsgefühl mit Liedern wie „Ich hab das Fräulin Helen baden sehn“, in dem auch über den sogenannten „Zwickelerlass“ gelacht werden konnte. Die widrigen Lebensumstände in wirtschaftlich schlechten Zeiten kamen in Franz Engels Couplet „Mir Is Alls ans“ vielsagend zur Geltung.
Hermann Leopoldi war sehr präsent im Rahmen des tiefsinnigen Programms. In seinem Stück „Die Novaks aus Prag“ war die Vieldeutigkeit seiner Kunst gut nachvollziehbar, zuerst die sehnsuchtsvolle Projektion nach fernen Ländern und schließlich die Sehnsucht der Geflüchteten nach ihrer Heimat. Gegensätze wurden im humorvoll frivolen Lied „Mein Schatz, der muss ein Russe sein“ und mit dem Couplet „Ein Mädel aus Mödling, ein Bursch aus St. Veit“ aufgezeigt. „Ich bin ein unverbesserlicher Optimist“ sowie das Wiener Lied „Ich riech‘ an Wein kilometerweit“ oder „Ich bin ein stiller Zecher“ rundeten das Programm ab, das zum Weiterdenken anregte.
Am Klavier spielte Willi Konstantin. Er begleitete Natascha Petrinsky und Thomas Kamper sehr präsent, drängte sich nie in den Vordergrund und ließ mit manchen musikalischen Wendungen aufhorchen.