Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Anita Grüneis · 25. Mai 2021 · Musik

Schlossmediale Werdenberg: Armenische Musik mit einem Schuss Jazz

Das Motto der 9. Schlossmediale lautet: «Gross und Klein». Dazu passt ein kleines Land wie Armenien mit seiner großen Musiktradition. Wie hochwertig die zeitgenössische armenische Musik ist, bewies das Nagash Ensemble mit dem Konzert «Songs of Exile». Lieder, die der Komponist John Hodian geschrieben hat, der an diesem Abend selbst am Klavier saß. Aufgrund der zahlenmäßigen Publikums-Beschränkungen, spielte das Ensemble zweimal am gleichen Abend, beide Konzerte waren im Nu ausverkauft.

John Hodian wurde in den USA geboren, seine Großeltern waren nach dem Genozid 1915 aus Armenien geflüchtet. Er hat einen Master-Abschluss in Komposition und Dirigieren vom Philadelphia College for the Performing Arts und studierte danach in Boulder Klavier, Improvisation, Literatur und Poesie bei Allen Ginsberg und William Burroughs. Das alles prägte ihn – wie auch die Kindheit mit armenischer Musik. Als er bei einem Besuch in Armenien in einem alten Tempel außerhalb von Jerewan die Stimme der Sängerin Hasmik Bagdasaryan hörte und ihn die Klänge nicht mehr losließen – «sie schienen direkt vom Himmel zu kommen», beschloss er, etwas Spezielles zu komponieren. Die Texte dazu fand er in den rund 600 Jahre alten Werken des Priesters und Dichters Mkrtich Naghash. Sie beschreiben die Sündhaftigkeit des Menschen, das Seelenheil und die Habgier, den Zorn, die Armut, die Vergänglichkeit, den Tod und das Leid der Menschen im Exil. So entstanden vor einigen Jahren die «Songs of Exile», mit denen John Hodian nun bei der Schlossmediale Werdenberg gastierte.

Fremdvertraute Stimmen und Klänge

Mit dabei waren auch besagte Sängerin Hasmik Bagdasaryan, die ihren Sopran ruhig und schnörkellos, aber auch mal zornig und aufgebracht führen kann. Dann die Altistin Arpine Ter-Petrosyan, die mit ihrer Stimme mühelos in unglaublich tiefe Lagen kommt. Die dritte im Bunde war Tatevik Movsesyan, die mit ihrer Stimme die Brücke zwischen den beiden baute. Außerdem gehörten zum Naghash Ensemble: Tigran Hovhannisyan mit der Dhol (Röhrentrommel), die er mit großen Feingefühl für Improvisationen spielte. Aram Nikoghosyan hatte den Part mit der Oud, einer Knickhalslaute mit birnenförmigem Korpus, übernommen, blieb mit seinem Spiel eher im Hintergrund, setzte aber dennoch Akzente. Emmanuel Hovhannisyan beherrschte gleich vier verschiedene Holzblasinstrumente (Duduks) und schuf auf ihnen mit seinem langen Atem die typische armenische Stimmung. Die Texte des Dichters wurden auf Deutsch von Wiebke Zollmann gelesen, bevor die Musiker die Worte in ihre Sprache umsetzten.

Stimmen aus anderen Sphären

Dabei dominierten großenteils die Sängerinnen mit ihren perfekt ineinanderfließenden Stimmen. Armenisch waren ihre Worte, voller Weichheit und Wohlklang ihr Gesang, es war eine Art «Liedgesang», mit denen sie die Gedichte in der Vertonung von John Hodian vortrugen. Dabei achteten sie jedoch genau auf das Spiel der Musiker und schienen mit ihnen im Gleichklang zu atmen. Manchmal klangen diese „Songs of Exile“ wie ein Aufschrei, ein Klageruf an die Welt, dann wieder wie ein Wiegenlied. Eine Musik voller Melancholie und dann wieder voller Elan – alles behutsam aufeinander abgestimmt. John Hodian führte das Ensemble vom Klavier aus feinfühlig und doch zugleich kraftvoll. Er schuf mit seinen Kompositionen einen Sound, der aus der Ruhe heraus strömte und an das Hochland in Armenien gemahnte. Doch dieses ist voller Canons, und so bricht auch die Musik immer wieder ein und baut unglaublich rasch einen echten Groove auf. Dann erinnerte sie an Werke von Leonard Bernstein, war funky wie dessen «West Side Story». Aber es blieb dann doch die «East Side Story» von John Hodian, trotz aller Jazzelemente, klassischer Musikansätze und ein bisschen Folk. «Songs of Exile» eben. Dicht und voller Wehmut. Zornig und liebevoll. Ein feingesponnenes Gewebe, das sich an diesem Abend im Dachgeschoss des Schlosses Werdenberg in die Holzbalken verzog und das Publikum begeisterte.

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