Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 22. Aug 2020 · Musik

Schlaglichter auf den Kunstbetrieb und die Gesellschaft – Ľubica Čekovskás Oper „Impresario Dotcom“ wollte viel, erreichte aber eher wenig

Die Komponistin Ľubica Čekovská hat keine Mühen gescheut, um gemeinsam mit ihrem Team und den Bregenzer Festspielen die Auftragsoper „Impresario Dotcom“ in eine der Zeit entsprechende, verkürzte Version zu bringen. Im Rahmen der „Festtage im Festspielhaus“ wurde die Opera buffa uraufgeführt. Gemischte Gefühle stellten sich ein: Auf der einen Seite wirkten das Libretto und die kompositorische Grundidee allzu konstruiert und verlor bald den Reiz. Auf der anderen Seite überzeugten die Sängerinnen und Sänger sowie das Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung von Christopher Ward sowie die szenische Umsetzung.

Die Librettistin Laura Olivi versetzte die berühmte Komödie des italienischen Dichters Carlo Goldoni „Der Impresario von Smyrna“ aus dem Jahr 1759 in die heutige Zeit. Darin nehmen Sängerinnen und Sänger mit überzogenen Karrierevorstellungen und vor Selbstüberschätzung strotzend, an einem Casting teil. Karrieregeil und egozentrisch geben sie sich jede Blöße und gehen auch auf irrwitzige Forderungen des vermeintlich neuen Arbeitgebers ein. Die Geschichte endet mit der Einsicht, dass das Zusammenwirken der Künstlerinnen und Künstler im Ensemble aus egoistischen Gründen nicht möglich ist und mit der Conclusio: „Es lebe das Kollektiv?!“
Als Opera buffa in vier Bildern wurde die Oper von den Bregenzer Festspielen angekündigt, doch diese Bezeichnung traf den Kern des Musiktheaters nicht. Viel mehr vermittelt das Werk einen tragikomischen Eindruck. Der Plot hätte viel Potential, um allgemein auf gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen anzuspielen, denn viele Menschen werden in eigentlich ungewollte Handlungen und Verhaltensweisen gezwungen, um im Arbeits- und gesellschaftlichen Alltag eine möglichst gute Rolle spielen zu dürfen und zu können. Doch die Musik von Ľubica Čekovská und auch die Regisseurin Elisabeth Stöppler zielten wenig darauf ab, die Geschichte in dieser Form in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen.

Zitattechnik mit Verschleißerscheinungen

Gemäß der historischen Vorlage trägt die Oper von Ľubica Čekovská komödiantische Züge und sie findet auch Anleihen an der Comedia dell‘Arte. Stilistisch setzte die Komponistin auf die Zitattechnik. Hierfür erklangen Arien aus Verdis „La Traviata“, „Carmen“ von Bizet, Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, „Orpheus und Eurydike“ von Gluck und Mozarts „Zauberflöte“ in originaler Form. Fragmente, Idiome und Allusionen daraus verwendete Ľubica Čekovská als Ausgangsmaterial für den Orchesterpart. Mit diesem Spiel auf mehreren Ebenen sollten die handelnden Personen charakterisiert werden. Dies ergab zu Beginn ein reizvolles Changieren zwischen Bekanntem und der eigenen musikalischen Sprache. Doch ziemlich rasch erschöpfte sich die Idee, denn die Zitate und musikalische Demontage wurden schnell durchschaubar. Zahlreiche perkussive Passagen mit Rhythmuswechseln sowie effektvolle Klangfarbenspiele ließen zwar immer wieder aufhorchen, doch sie boten nicht wirklich tragfähige musikalische Anreize.
Freilich wirkte das klein besetzte Orchester im Graben und vor der riesigen Bühne etwas verloren. So gesehen hätte zumindest die Instrumentation an einem kleineren Aufführungsort – ursprünglich hatte die Oper im Theater am Kornmarkt über die Bühne gehen sollen – wohl präsenter und stringenter gewirkt.

Höhepunkte mit plakativem Anstrich

In der Schlüsselstelle der Oper wurden die Protagonisten dazu angehalten, ihre Arien zusammen darzubieten, weil sich der Impresario avantgardistische Sänger wünsche, die im Stande seien, eine „Kakophonie auf höchstem Niveau“ zu fabrizieren. Auf mich wirkte diese Passage als eher plumpe Anspielung auf den Kunstbetrieb. Ebenso überzeugten mich die übersteigerten Anforderungen und die Videozuspielungen wenig, die die Sänger unter Wasser agierend darstellen sollten. Musikalisch kamen diese Momente nicht zum Ausdruck und blieben deshalb buchstäblich an der Oberfläche hängen.
Insbesondere die Figuren des Orfeo und der Olympia machten die Grundzüge der Opera buffa greifbar. Allerdings kam die Komponistin auch in dieser Hinsicht nicht ohne plakative Anspielungen aus, wenn beispielsweise Olympia vor lauter übertriebener Koloraturen völlig übers Ziel hinausschoss und schließlich x-beinig zusammensackte und in Ohnmacht fiel.
Abwechslung bot die Rolle des Impresario Dotcom, dessen diabolischer Auftritt mit den coronabedingten Anweisungen an das Publikum für Schmunzeln sorgte. Auch das mehrsprachige Spiel mit dem Goldoni-Zitat „Singen ist eine Sache auf Leben oder Tod“ lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. Bemüht wirkten jedoch die expliziten Sprachverballhornungen zu parodistischen Zwecken.

Hervorragende Interpreten, aussagekräftige Regie

Die Sängerinnen und Sänger überzeugten durchwegs. Hagen Matzeit als Orfeo, Eva Bodorová als Olympia, Terezia Kružliaková und Adriana Kučerová, sie verkörperten Violetta und Carmen, sowie Simeon Esper in der Rolle des Tamino und Christoph Pohl als Conte Lasca füllten ihr Parts hervorragend aus. Auch die Qualitäten von Zeynep Buyraç als Dotcom kamen gut zur Geltung. Ebenso professionell gestaltete das Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung von Christopher Ward den Orchesterpart.
Elisabeth Stöppler schuf prägante und gut nachvollziehbare Bilder, um das Spiel mit Masken, die Illusionen und das Wunschdenken sowie die weit auseinanderdriftende Selbst- und Fremdsicht von Carmen, Violetta, Olympia, Orfeo und Tamino darzustellen.