Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Silvia Thurner · 25. Okt 2021 · Musik

Raumgreifende Klangfülle – Rudolf Berchtel brachte die Behmann-Orgel in Dornbirn St. Martin zum Strahlen

Seit dreißig Jahren schaltet, waltet und musiziert Rudolf Berchtel an der großen Behmann-Orgel in der Stadtpfarrkirche St. Martin Dornbirn. Das zweitgrößte Instrument des Landes kennt er in- und auswendig. Nach einer gründlichen Renovierung durch die Schweizer Orgelbaufirma Kuhn spielte Rudolf Berchtel ein Festkonzert, das die Orgel mit ihrem großen Klangfarbenspektrum zum Klingen brachte. Die musikprogrammatischen Grundpfeiler boten drei imposant ausgedeutete Teile aus den 24 „Pièces de Fantaisie“ des französischen Komponisten Louis Vierne. Zudem präsentierte Rudolf Berchtel Werke von Thomas Thurnher und Christine Szécsényi. Beide stammen aus Dornbirn und sind auch als Organisten in der Stadtpfarrkirche tätig.

Rudolf Berchtel hat ein Gespür und eine große Vorliebe für Klarbenfarbenspiele und den Einsatz von wirkmächtigen Steigerungen mittels virtuos entfalteten Tongirlanden, imposanten Klangsäulen sowie spezifischen Registrierungen. Der französische Komponist Louis Vierne bietet all dies in seinen monumental angelegten Fantasiestücken für Orgel. Daraus interpretierte Rudolf Berchtel zuerst die „Hymne au soleil“ und sodann „Clair de lune“, zwei Werke, die sich wunderbar ergänzten. Die Charakterstücke erklangen plastisch ausgeformt, insbesondere in der Hymne an die Sonne kamen die Positionen der Stimmregister der großen Orgel auch räumlich hervorragend zur Geltung. Die chromatischen Schübe und die markanten Rufmotive am Ende des Werkes verbreiteten im Kirchenraum eine raumgreifende Klangfülle. Ebenso entfalteten die absteigende Linie und die kreisenden melodischen Floskeln in „Mondlicht“ eine stimmungsvolle Wirkung. Viernes „Carillon de Westminster“ setzte dem berühmten Westminsterschlag des Big Ben ein musikalisches Denkmal und bot Rudolf Berchtel die Gelegenheit, das Glockenspiel „seiner“ Orgel erklingen zu lassen.
In das Programm integrierte der Organist auch die drei Choralvorspiele „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ“, „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ und „Nun danket alle Gott“ von Johann Sebastian Bach. Mit viel Bedacht auf die musikalische Aussagekraft registrierte Rudolf Berchtel die Choralvorspiele. Doch in den Werkdeutungen zeigte sich, dass die barocke Formensprache ihm selbst, aber insbesondere auch der pneumatischen Orgel nicht besonders gut liegen.
Vom Dornbirner Komponisten Thomas Thurnher fanden sich schon öfters Werke in den Programmen der „Symphonischen Orgelkunst“, dem Festival, das Rudolf Bechtel initiierte und seit achtundzwanzig Jahren kuratiert.

Anschauliche musikalische Bilder

Thomas Thurnher zeichnete in seiner „Meditation zu Sisyphos“ den Prozess musikalisch nach, wie Sisyphos der mythologischen Sage nach den schweren Stein mühevoll in die Höhe hievt, um schließlich immer wieder von vorne beginnen zu müssen. Plastisch führten aus einem charakteristischem Tonschritt sowie einem sich stetig weitenden Ambitus und nach oben hin immer „gewichtiger“ werdenden Akkordballungen musikalische Zustandsbeschreibungen. Dem Werk „Cantus luminum“ legte Thomas Thurnher eine eingängige melodische Phrase zugrunde. Die musikalischen Linien wurden transparent geschichtet und verwoben sowie klanglich verdichtet. Auf diese Weise versinnbildlichte der musikalische Verlauf, wie immer mehr Lichter erstrahlen. Eindrücklich interpretierte Rudolf Berchtel die beiden Kompositionen und brachte deren Aussagegehalt hervorragend zur Geltung. 
Ein unbekümmertes, musikalisches Stimmungsbild bot Christine Széncsényis Werk „Eager Child“, das im Rahmen des Festkonzertes zur Uraufführung gelangte. Darin erklang eine tänzerische Melodie, deren Duktus mit einem Wiegenlied kurz zur Ruhe gebracht wurde. Doch recht bald bahnte sich die ursprüngliche Tanzmelodie wider ihren Weg in den Klangvordergrund.
In der Zugabe erwies Rudolf Berchtel der Schweizer Orgelbaufirma Kuhn mit den berühmten „Kuhreigen“-Motiven sowie dem Galopp aus Rossinis Ouvertüre „Wilhelm Tell“ seine Reverenz. Die Zuhörenden applaudierten lange und dankten herzlich.