Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Fritz Jurmann · 13. Nov 2010 · Musik

Pianist und Dirigent in Personalunion - Howard Shelley machte das Bregenzer Meisterkonzert zum Ereignis

Man kennt ihn hierzulande nicht, obwohl er bereits seit 1971 eine beachtenswerte Biografie mit vielen internationalen Verpflichtungen vorzuweisen hat. Der Brite Howard Shelley verfügt über ausgeprägte pianistische Fähigkeiten und betreibt zudem das Dirigieren nicht bloß so nebenbei hobbymäßig wie manche seiner berühmteren Kollegen, sondern mit fundierter Kompetenz. In dieser Doppelfunktion brillierte er am Freitag beim jüngsten der Bregenzer Meisterkonzerte im ausverkauften Festspielhaus und machte den dortigen Auftritt des renommierten English Chamber Orchestra zum Ereignis.

Transparenter Klang, kerniger Zugriff

Der 60-jährige smarte Musiker gibt sich dabei vom gepflegten Scheitel bis zur Sohle  als englischer Sir, den in seiner britischen Coolness nichts und niemand aus der Ruhe zu bringen vermag. In seiner Musikauffassung allerdings ist "Sir" Shelley das genaue Gegenteil. Er gibt zunächst mit dem Taktstock bei Joseph Haydn den Ton an in seiner späten Symphonie Nr. 96, „Le Miracle“ und führt das mit doppelten Bläsern relativ groß besetzte Kammerorchester mit großer Lebendigkeit zu transparentem Klang und kernigem Zugriff. Ein erster Eindruck von den viel gerühmten Qualitäten dieses Klangkörpers, der heute als eines der weltbesten Kammerorchester gilt, mit dem exzellent ausmusizierten Oboensolo im Trio des Menuetts als Sahnehäubchen.
Dann kommt der Steinway ins Spiel, der Dirigent setzt sich nach barocker Kapellmeistermanier mit dem Rücken zum Publikum an den Flügel. Hat so das Orchester im Halbkreis um sich, das er von hier aus in einer fast artistischen Leistung, oft nur mit einer Hand oder einem Kopfnicken, auf erstaunlichen Gleichklang mit seiner ungemein ausgewogenen und dennoch sprühend animierten Spielweise bringt. Er macht dies einmal im Stehen, dann im Sitzen, vergisst nie, beim Niedersetzen auch die Frackschöße hinter sich in Ordnung zu bringen, und hat zudem auch noch die im Flügel liegende Partitur umzublättern. Ganz schön viel Arbeit auf einmal – doch Shelley hat, wie gesagt, die Ruhe weg. Und da ist ja auch noch die attraktive Konzertmeisterin des ECO, die charmant fallweise das Kommando übernimmt.

Ein kleines Wunder

Jedenfalls gelingt Felix Mendelssohn-Bartholdys Klavierkonzert Nr. 1 in g-Moll von 1930, ein etwas verhaltenes Werk, das stellenweise an Weber und Hummel erinnert, auf imponierendem Niveau und in großer Ausgewogenheit. An ein kleines Wunder grenzt es, dass auch das weit komplizierter gestrickte, sehr virtuose Klavierkonzert Nr. 2 in g-Moll von Camille Saint-Saens mit seiner bewegten Agogik und den vielen Tempowechseln ohne Qualitätsverlust in einer mitreißend kompakten, farbenreichen Wiedergabe entsteht. Eine Gelegenheitsarbeit übrigens, die 1868 innerhalb von nur zwei Wochen entstand und zu einem großen Wurf wurde.  
Das interessante Konzept dieses Konzertes bot übrigens bekannte Komponistennamen, aber keinerlei ausgeleierte Konzertsaalhits. Auch die „Achte“ in F-Dur von Ludwig van Beethoven ist gegenüber anderen Symphonien des Meisters ein nicht allzu viel gespieltes Werk. Trotz des populären zweiten Satzes, in dem der Komponist vermutlich in Verehrung für Johann Nepomuk Mälzel dessen Erfindung, das Metronom, in einem tickenden Allegretto-Grundrhythmus antönen ließ. Mit dieser oft an Haydn gemahnenden klassizistischen Symphonie schließt sich der Kreis innerhalb des Programms, wird mit schroffen Konturen und hart punktierten Rhythmen aber auch die aktuell historisierende Sichtweise dieses English Chamber Orchestra und seines nun wieder am Pult agierenden Leiters Howard Shelley deutlich. Mit solchem Glanz in Blech und Pauken, soviel gelebter Dynamik könnte diese bewegliche kleine Truppe wohl auch manchem groß besetzten Orchesterapparat Paroli bieten.
Zum Drüberstreuen dann noch Mozarts „Figaro“-Ouvertüre in einer so tempogeladenen Präzision, dass einem schier der Atem stockt. Die Begeisterung ist groß. Und beim Hinausgehen sieht man nur fröhliche Gesichter.