Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Fritz Jurmann · 16. Aug 2020 · Musik

Nach der Schockstarre trumpft das SOV bei den „Festtagen“ mit einem kräftigen Lebenszeichen auf

Mit einer mitreißenden „Siebten“ von Beethoven schlug das Symphonieorchester Vorarlberg bei seiner Sonntagsmatinee im gut besuchten Festspielhaus mit einem Schlag alle Bedenken in den Wind, diese „Festtage“ seien bloß ein Stück Pseudo-Festival, ein billiger Ersatz für die aus Coronagründen heuer abgesagten Bregenzer Festspiele. Entscheidend für diesen grandiosen Höhenflug war die Idee der Festspiele, dem SOV erstmals den internationalen Stardirigenten Enrique Mazzola beizugeben, der schon mit Orchesterkonzerten, der Hausoper „Moses in Egypt“ von Rossini 2017 und im Vorjahr als „Rigoletto“-Dirigent am See die Wiener Symphoniker zu glänzenden Leistungen animiert hatte. Mit ihm hat nun auch unser Symphonieorchester gleich bei dessen Debüt seinen Meister gefunden.

Hoch respektabler Versuch

Die Vorgeschichte: Salzburg hat es unter dem Beifall der internationalen Presse der Welt imponierend vorgezeigt, wie man auch in Coronazeiten Festspiele machen kann, während zunächst die meisten anderen Festivals entnervt resignierten. Freilich, die haben alle auch keinen „Rigoletto“ am See als Mammutprogramm mit jeweils 7.000 Besuchern zu stemmen wie Bregenz, was sich künstlerisch und wirtschaftlich als absolut unkompatibel mit dem Virus erwiesen hat.
Abgesehen davon haben sich unsere Festspiele, so wie das Festival von Grafenegg oder die Wiener Staatsoper, nach einer kurzen Schockstarre erholt und starten diese Woche mit ihren „Festtagen“ einen späten, aber hoch respektablen Versuch, den man als „Lebenszeichen“ verstanden wissen will. Das ist natürlich alles weit von den glanzvollen Salzburger Vorgaben entfernt, die dafür auch mit einem Vielfachen des Bregenzer Budgets ausgestattet sind. Aber auch kleinere Brötchen müssen nicht unbedingt schlechter schmecken.  
Diese Woche umfasst eine Auswahl von Formaten, wie man sie sonst regelmäßig auch im Normalprogramm findet, inhaltlich und in der Durchführung freilich zugeschnitten auf die besondere Situation. Denn auch hier geht, so wie in Salzburg, die Angst um vor Ansteckung, denn Covid19 wird bekanntlich noch lange ein Thema sein. Die Präventionsmaßnahmen sind sogar mit personalisierten Eintrittskarten umfassend und einem unbeschwerten Konzerterlebnis nicht unbedingt förderlich. Doch lieber so als gar nicht, lautet die Devise für das kulturhungrige Publikum, das sich brav Masken aufsetzt, Hände desinfiziert und Abstände einhält, um heuer doch noch das Symphonieorchester Vorarlberg als langjähriges zweites Festspiel-Orchester neben den Wiener Symphonikern zu erleben.

Freude diesseits und jenseits der Rampe

Und da ist von Anfang an vor allem Freude zu spüren, diesseits und jenseits der Rampe. Beim Publikum, das das erste groß besetzte Orchesterkonzert im Land nach dem Lockdown live erleben darf genauso wie bei den Musikern des SOV mit ihrer überbordenden Spiellust. Sie mussten monatelang auf ihre bewährten Abo-Konzerte verzichten, schmerzlich verbunden mit einem emotionalen, für viele oft auch einem existenziell bedrohlichen finanziellen Manko.
Allerdings wurde das Programm dieses Konzertes coronabedingt gegenüber der vorgesehenen Erstfassung total verändert. Da es keine Pause geben darf, besteht es nur noch aus zwei Werken und dauert 75 Minuten. Anstelle des neuen SOV-Chefs Leo McFall agiert der in Spanien geborene Italiener Enrique Mazzola, der offenbar auf Anhieb einen guten Draht zum Orchester gefunden hat und sein angeborenes Temperament, seine Körperspannung und seine Gestaltungsansätze auf sehr unmittelbare Weise auf die Musiker überträgt.     

Transparente kindliche Schlichtheit

Er bringt auch gleich zu Beginn seine bekannte Kompetenz für das französische Repertoire ins Spiel. Die „Chants d’Auvergne“ sind farbenreiche Orchesterlieder und eines der typischen Werke von Joseph Canteloube (1879 – 1957). Neun dieser romantisch volkstümlichen musikalischen Genre-Bilder von Bauern, Hirten und Arbeitern in den Bergen kommen durch die zierliche französische Sopranistin Mélissa Petit transparent, oft fast kindlich zum Leuchten. Die in jeder Hinsicht höhensichere und schwindelfreie Gilda vom See, die diese Eigenschaften hier nicht unbedingt braucht, verfügt mit einer schlichten Natürlichkeit in Stimme, Diktion und Ausdruck und ihrer verspielten Koketterie auch noch über ganz andere bemerkenswerte Eigenschaften. Das Orchester mit seinem exzellenten polnischen Konzertmeister Pawel Zalejski grundiert im Softsound flirrend und sirrend, penibel und zurückhaltend diese naturhaft aufmunternde Einstimmung in den Vormittag.

Kompetenzzentrum bei Beethoven

Noch kräftiger ist der Schub an Optimismus in Beethovens „Siebter“. Die abgedroschene Einschätzung als „Apotheose des Tanzes“, die Richard Wagner nachgesagt wird, greift zu kurz. Denn in diesem Werk, das Mazzola ganz zögernd, wie in einer Fragestellung beginnen lässt, steckt viel mehr an Ideen und komplexer kompositorischer Verarbeitung, als es das tänzerische Element allein zum Ausdruck bringen könnte. Der Dirigent, dem nie sein aufmunterndes Lächeln abhandenkommt, kennt seinen Beethoven in- und auswendig und dirigiert ihn auch so, als uneingeschränktes Kompetenzzentrum am Pult.
Mazzola nutzt die fast körperlich spürbare Bereitschaft der Musiker zum Besonderen, entlockt ihnen im letzten Takt des Kopfsatzes ein zartes Verlöschen des Klanges, zu Beginn des stilisierten Trauermarsches ein fast unhörbares Pianissimo der tiefen Streicher, gibt dann aber vor allem im Scherzo dem Affen Zucker. Dort peitscht er das Orchester zu Tempi an, die knapp an der Grenze des noch Spielbaren liegen und dennoch mit der Präzision eines gut geölten Schweizer Uhrwerks umgesetzt werden. Das Finale schließlich formt er straff, klar und schnörkellos zum rhythmisch aufgeladenen, hymnischen Triumph an beherrschter Klangkultur als dreifaches Fortissimo im strahlenden Blech, dem flinken Holz und den satten Streichern. Eine große, kompakte Gemeinschaftsleistung, die vom Publikum ausgiebig bejubelt wird.   

Die Festtage im Festspielhaus enden am Samstag, 22. August, mit dem Konzert der Wiener Symphoniker unter Philippe Jordan. Details unter www.bregenzerfestspiele.com