Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 31. Jän 2020 · Musik

Musikalischer Klangsinn aus Estland – das Tallinn Chamber Orchestra unter der Leitung von Risto Joost und die Geigerin Carolin Widmann wurden herzlich gefeiert

Zum dritten Konzert der aktuellen Abonnementkonzerte „Dornbirn Klassik“ gastierte das Tallinn Chamber Orchestra mit seinem Chefdirigenten Risto Joost im Kulturhaus. Zu hören gab es ein exklusives Programm mit Werken von Arvo Pärt, Erich Korngold und Felix Mendelssohn Bartholdy. Dessen Violinkonzert in d-Moll interpretierte die vielbeachtete deutsche Geigerin Carolin Widmann mit einer sensiblen Spielart. Darüber hinaus bescherte das Zusammenwirken des Streichorchesters unter der Leitung von Risto Joost, der die Spannung über den gesamten Abend aufrecht hielt, eindrückliche musikalische Erlebnisse.

Gleich zwei Werke des estnischen Komponisten Arvo Pärt bildeten den Kern des Programms. Den „Cantus in Memoriam Benjamin Britten“ intonierte das Kammerorchester aus Tallinn mit einer sensiblen Klangbalance zwischen den einzelnen Stimmgruppen. Die zuerst vollkommen vibratolos erklingenden Töne machten den filigranen und ebenmäßigen Klangcharakter der Musik deutlich. Allmählich öffnete sich der Klangraum des kanonartig angelegten Werkes nach unten. Ab diesem Zeitpunkt wirkte die Linienführung weniger ausgelotet, weil sich die Musikerinnen und Musiker bezüglich einer einheitlichen Tonqualität nicht ganz einig waren.

Vitale Werkdeutungen

Aufhorchen ließ die Interpretation von Arvo Pärts berühmtem Werk „Fratres“, denn das Streichorchester musizierte es zusammen mit der Violinistin Carolin Widmann. Der Komponist selbst sah für „Fratres“ vor, dass es in jeglicher Besetzung gespielt werden kann und soll. In den meisten mir bekannten Werkdeutungen bilden die Spieler ein homogenes Ganzes, in dem die in sich ruhenden Klangmuster aus der Stille heraus geformt und entfaltet werden. Dieses stimmliche Gleichgewicht war in dieser Interpretation nicht gegeben, denn die Solovioline brach aus dem vorgegebenen Klanggefüge aus. Carolin Widmann spielte mit einem feinsinnig zelebrierten Ton, gab den arpeggierenden Klängen viel Raum und betonte den atmenden Duktus der Musik durch die transparent geformten Intervalle, das Streichorchester bildete den Klanggrund. Dadurch erhielt die Komposition einen gänzlich neuen, nicht unattraktiven Charakter.
Im Mittelpunkt des Abends stand die Werkdeutung des ersten Violinkonzertes von Felix Mendelssohn Bartholdy. Als dreizehn Jähriger hatte er dieses Werk komponiert, das seit jeher im Schatten des berühmten e-Moll Violinkonzertes steht. Carolin Widmann artikulierte die Hauptthemen im ersten Satz hervorragend und unterstrich mit plastischen Gegensätzen die aufgewühlte Stimmung, so dass der „Sturm und Drang“ in der Musik gut nachvollziehbar war. Eine variantenreich nuancierte Tongebung mit einer ausgeklügelten Vibratogestaltung verlieh jedem Ton im liedartig gesungenen langsamen Mittelteil seinen individuellen Charakter. Den Solopart im Rondo musizierte Carolin Widmann virtuos. In einem spannungsgeladenen Geben und Nehmen formten sie und die Orchestermusikerinnen und -musiker das schwungvolle Hauptthema. Die Freude am gemeinsamen Gestalten kam vor allem an den Nahtstellen der einzelnen Satzteile zur Geltung.

Spannende Bezüge

Risto Joost leitete das Orchester mit viel Elan und forderte die Musikerinnen und Musiker immer wieder aus der Reserve. Mit dieser Spannkraft wendeten sie sich schließlich der symphonischen Serenade, op. 39 von Erich Korngold zu. Die kontrastreichen musikalischen Pole im ersten Teil ergaben eine interessante Reminiszenz zum ersten Satz des Violinkonzertes von Mendelssohn Bartholdy. Eine ebenso bemerkenswerte Klammer zur Musik von Arvo Pärt bildete sich im „Lento religioso“ heraus. Auch hier war erlebbar, wie gut aufeinander hörend das Streichorchester die Musik entfaltete.
Zwei Zugaben setzten dem Konzert die Krone auf. Zuerst bedankten sich das Tallinn Chamber Orchestra und Risto Joost mit „Melody“ der estnischen Komponistin Lydia Auster, und mit dem köstlichen musikalischen Spaß „Yellow Media“ von Jonas Tarm brachten die Musikerinnen und Musiker die Zuhörenden zum Lachen.