Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Fritz Jurmann · 01. Feb 2020 · Musik

Mozart reloaded: Seine Oper „Titus“ erlebte am Landestheater eine begeistert aufgenommene Neudeutung

Puristen mögen bei der aktuellen jährlichen Opernproduktion des Landestheaters mit dem Symphonieorchester Vorarlberg, die am Freitag am Kornmarkt Premiere hatte, an Mozarts letzter Oper „La Clemenza di Tito“ von 1791 das Original mit jeder geschriebenen Note als unantastbares Heiligtum vermisst haben. Die anderen, und das dürfte, dem minutenlangen Schlussbeifall nach zu schließen, der Großteil des Publikums im ausverkauften Haus gewesen sein, erfreuten sich drei spannende Stunden lang an einer mutigen inszenatorischen Neudeutung des Werkes durch den deutschen Regisseur Henry Arnold. Das Wichtigste dabei: Die in dieser entschlackten Fassung verbliebene Musik Mozarts wurde von einem international hochkarätigen, wunderbar aufeinander eingestimmten Ensemble und einem in der Höchstliga agierenden SOV unter Dirigent Karsten Januschke auf Topformat realisiert. Besser hat man Mozart am Landestheater noch nie gehört.

Who’s who der Bühnenfiguren

Freilich muss man als Besucher am Beginn verdammt gut aufpassen bei diesem Who’s who der Bühnenfiguren: Frauen in Männerkleidern als gängiges Format der so genannten Hosenrollen, dazu mit Schauspielern nicht immer desselben Geschlechts verdoppelte Sänger, die auch sprechen, und Sprecher, die nicht singen, sich aber miteinander unterhalten. Alles klar? Dieses Gender-Ping-Pong in einem etwas versponnenen psychologischen Konstrukt entwirrt sich trotz des nicht eben einfach gestrickten Librettos des bekannten Dichters Pietro Metastasio aber bald zu einer spannenden Geschichte, Henry Arnold sei Dank.

Dieser legt ein Sittenbild aus dem alten Rom frei, bei dem ein gegenüber seinem als Wüterich bekannten historischen Original durchaus mildtätiger Kaiser Titus als ausgewiesener Gutmensch seine Macht auch ganz ohne Gewalt und Diktatur ausüben möchte. Das von Intendantin Stephanie Gräve dazu formulierte Motto: „Wie kann man ein guter Herrscher sein in einer Welt, die nicht gut ist?“ Das reicht so weit, dass er schließlich sogar jenen verzeiht, die ihn meucheln. Freilich nur, weil Titus dieses Attentat heil überlebt, nach der Pause wie Jesus an Ostern aufersteht und weiter mildtätig sein kann. Allerdings traut er, wenn auch die Liebe obsiegt, der Sache nicht ganz – er verlässt das Spiel.

Schauspieler als Alter Ego

Das ist alles sehr kompliziert, wie schon Fred Sinowatz sel. gemeint hat, und da wird nun rasch die ordnende und klärende Hand des Regisseurs Henry Arnold in dieser Inszenierung deutlich. Er hat im Einvernehmen mit dem musikalischen Leiter die eher flachen, auch gar nicht von Mozart selbst, sondern von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayer stammenden Rezitative gestrichen, die dem Fortgang der Handlung eher hinderlich schienen. Anstelle dessen gesellte er jeder der beiden wichtigsten Handlungsträger, dem in einem Spannungsfeld bis zum Zerreißen ineinander verliebten Paar Sesto und Vitellia, einen Schauspieler, bzw. eine Schauspielerin als eine Art Alter Ego zur Seite.

So werden die entfallenen Rezitative nun nicht einfach gesprochen, sondern in eigens für diese Fassung erstellten, erweiterten deutschen Dialogen ausgeführt, angereichert mit philosophisch verbrämten Gedanken samt ironischen Seitenhieben. Das funktioniert sehr gut und trägt viel zum besseren Verständnis nicht nur der Handlung, sondern auch der seelischen Befindlichkeiten der Protagonisten bei und wird von den Singschauspielern mit spürbarem Engagement umgesetzt. Freilich wird die gesprochene Textmenge vor allem im ersten Akt dadurch so groß, dass man sich mit der Zeit frägt, ob man nun wirklich noch einer Opera seria beiwohnt oder nicht vielmehr einem Schauspiel mit Musik.  

Sei’s drum, dieser „Mozart reloaded“ hat was für sich und gewinnt durch diese Duplizität auch ungemein an Spannung und Drive. Die beiden Schauspieler sind auch nicht nur hingestellte Sprechpuppen, sondern greifen energisch in die Handlung ein und geben dem blässlich dargestellten Kaiser Titus in seinem schäbigen Pelzmantel als einzigem Attribut seiner Macht ordentlich Zunder.

Mozart braucht keine Illustration

Dass dieses dichte Kammerspiel der Gefühle zwischen Zuneigung, Hass und Menschenliebe in einem total abstrahierten Bühnenbild (Bartholomäus Martin Kleppek) stattfindet, das mit ein paar stets umgeschichteten Metallgerüsten als Thron und Totengruft und rauf- und runtergezogenen weißen Tüllvorhängen nur das Notwendigste bietet, kann man bei etwas gutem Willen als durchaus gewollt beurteilen, um durch Opulenz der Bühne nicht von den ausufernden seelischen Konflikten der Protagonisten abzulenken. Dafür fallen die diesmal wirklich ausgeklügelten Lichtstimmungen (Arndt Rössler) positiv ins Gewicht, die Kostüme (Gabriele Kortmann) deuten auf eine zeitlose Gegenwart hin.

Dagegen sind die Übertitel der im italienischen Original gesungenen Arien in dieser Form kaum lesbar. Überflüssig erscheinen auch die hektischen Video-Zuspielungen vom drohenden Brand des Kapitols während der vom Orchester mit Elementen der historischen Aufführungspraxis angereicherten, göttlich gespielten Ouvertüre: Mozart braucht für seine Musik keine Illustration, sie spricht ganz für sich.

Ein wahres Fest der Stimmen

Damit zum musikalischen Teil des Abends, der ohne jeden Einwand einfach reine Freude macht und auf der Basis von Mozarts kompositorischer Vollendung im letzten Lebensjahr immer wieder sogar echte Begeisterung auslöst. Da gibt es ein wahres Fest der Stimmen in einer absolut typengerechten Besetzung mit der gutgläubigen, in seinen eigenen Zweifeln verstrickten Titelfigur des US-amerikanischen Tenors Christopher Sokolowski, der sich nach einer überstandenen Erkältung im Laufe des Abends noch zu einer wunderbar koloraturfreudigen Arie aufschwingt.

Die blendend aussehende Armenierin Narine Yeghiyan führt als quicklebendige Intrigantin Vitellia ihren dramatisch aufgeheizten Sopran unangestrengt in höchste Höhen. Die virtuos fordernde Partie des Sesto wird von der deutschen Mezzosopranistin Annelie Sophie Müller in einer Hosenrolle mit beeindruckender Bühnenpräsenz erfüllt. In zwei großen Arien der beiden Rollen assistiert der am Konservatorium tätige Francesco Negrini als Gast des SOV mit betörenden Klängen an der obligaten Klarinette, bzw. dem Bassetthorn, das Mozart so geliebt hat. Die beiden Schauspieler Zoe Hutmacher als Vitellia II und David Kopp als Sesto II gehen voll in ihren unüblichen Rollen auf.

Beeindruckend gemeisterte Kantilenen

Das zweite Liebespaar mit der deutschen lyrischen Sopranistin Sophia Körber als Servilia mit beeindruckend gemeisterten Kantilenen und ihrer Landsfrau Sarah Romberger in der Hosenrollen-Altpartie als anmutiger Annio sowie der zupackende Publio des in München geborenen Quasthoff-Schülers Thomas Stimmel, Bass, fügen sich perfekt ins Ensemble. Der relativ klein besetzte Bregenzer Festspielchor in der Einstudierung von Benjamin Lack löst seine Einsätze klangschön, kräftig und spielfreudig.

Aus einer großen Anzahl kostbarer Arien, Duette, Ensembles und Chöre stechen als Höhepunkte der Trauerzug zum Finale des 1. Aktes heraus, mit dem Mozart etwas von seinem späteren Requiem vorweggenommen hat, oder das Finale des 2. Aktes mit seinem traumhaft gestrickten Sextett. Das Orchester entwickelt dazu von Anfang an einen wunderbar transparenten, fein differenzierten Mozartklang. Dirigent Karsten Januschke, zum dritten Mal bei einer Opernproduktion in Bregenz am Pult, hat sich mit den ihm inzwischen vertrauten Musikern auf einen flexiblen, niemals zu lauten und doch stets hoch präsenten Klang verständigt. Eine Produktion, die man nicht versäumen sollte!

Weitere Termine: Fr, 7., Di, 11., Do, 13., Sa, 15., Mo, 17., Mi 19. und Fr, 21. Februar, jeweils 19.30 Uhr; So, 2. und So, 9. Februar, jeweils 16.00 Uhr, Großes Haus, Vorarlberger Landestheater
Spieldauer: ca. drei Stunden inkl. Pause
Tickets unter www.landestheater.org
Weitere Details unter https://landestheater.org/spielplan/stuecke/detail/la-clemenza-di-tito/